Speech · 22.05.2025 Im Justizbereich scheint es überall zu brennen
„Ist die Justiz in Schleswig-Holstein also am Limit? …Wir wissen es nicht.“
Sybilla Nitsch - TOP 34 - Der Überlastung von Strafjustiz und Justizvollzug begegnen (Drs. 20/ 3058)
Die Öffentlichkeit bekommt über die Zeitungsberichterstattung folgendes mit: Zehntausende Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte seien offen, Strafverfahren dauern immer länger und werden komplexer, die personelle Lage in der Justiz werde immer schlechter. Und das sind nur die Aussagen in einem einzelnen Artikel der KN von vor ein paar Wochen.
Dabei ist das Thema an sich kein Neues. Steigende Fallzahlen und immer komplexer werdende Ermittlungsverfahren werden schon lange aus Reihen der Strafjustiz und der Polizei moniert. Und auch die Strafvollzugsbediensteten warnen seit geraumer Zeit vor Überbelegungen im Strafvollzug.
Was sicher ist: die Gefängnisse sind zu voll. Ansonsten hätten die Ersatzfreiheitsstrafen zu Beginn des Jahres nicht ausgesetzt werden müssen. Von den 1116 Plätzen im geschlossenen Männervollzug waren im Januar 1069 belegt und im geschlossenen Frauenvollzug zeitgleich alle 60 Plätze. Das Ministerium ließ verlauten, dass Behelfsbelegungsplätze genutzt würden, um der Situation zu begegnen.
2024 sind in Schleswig-Holstein sieben Angeklagte vorzeitig aus der U-Haft entlassen worden.
Und während das Ministerium bisher bestreitet, dass es eine strukturelle Überlastung der Strafkammern gebe, sehen der Richterverband und die Gewerkschaft der Polizei den Personalmangel bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten als ausschlaggebend dafür an.
Ist die Justiz in Schleswig-Holstein also am Limit? Sind Strafjustiz und Justizvollzug momentan strukturell überbelastet?
Diese und ähnliche Fragen werden seit ein paar Monaten ja mal sehr deutlich, mal zwischen den Zeilen gestellt und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich finde, von Regierungsseite konnte das bisher nicht wirklich ausgeräumt werden. Und das ist ein Problem.
Gleichzeitig habe ich aber auch noch im Ohr, wie Herr Güntge als Leitender Oberstaatsanwalt uns erst vor kurzem versicherte, dass beispielsweise die vorzeitigen Entlassungen aus der Untersuchungshaft vor allem an individuellen Fehlentscheidungen gelegen hätten und nicht an strukturellen Problemen.
Die Antwort auf die eben gestellte Frage wäre aus meiner Sicht momentan daher ehrlich gesagt noch: Wir wissen es nicht.
Man merkt das auch dem von der SPD eingebrachten Antrag an, den ich in seiner Intention gut verstehen kann. Es „ist zu befürchten“, es „scheint gefährdet“, man äußert sich „besorgt“.
Wirklich diskutieren können wir, fürchte ich, erst in ein paar Monaten, wenn die Ergebnisse der Großen Anfrage von Bernd Buchholz zur Lage der Justiz in Schleswig-Holstein vorliegen.
Der Bund der Strafvollzugsbediensteten warnt schon lange vor der angespannten Belegungssituation der Justizvollzugsanstalten im Land. Doppelbelegungen fänden teilweise ohne die Zustimmung der betreffenden Gefangenen statt, man kann sich vorstellen, für welche Art von Belastungen das vor Ort sorgt.
Ich für mich kann feststellen, dass ich mich einzig über die personelle und räumliche Situation in den Justizvollzugsanstalten wirklich gut informiert fühle, wohlbemerkt eine Kleine Nachfrage, die noch Lars Harms gestellt hat.
Die personelle Situation in den Justizvollzugsanstalten stellt sich zum Stichtag 31.12.2024 an einigen Orten besonders schlecht dar. Die JVA’en Itzehoe und Flensburg waren mit einer Quote von 0,88 besetzt.
JAA Moltsfelde lag bei 0,89.
Ebenfalls hatten wir die Lage für die Abschiebungshafteinrichtung Glücksstadt, hier beträgt die Besetzungsquote 70,79%. Die Bewerbersituation ist laut Aussage der Landesregierung weiterhin „schwierig“.
Wenn wir uns die Altersabgänge anschauen, beruhigt das auch nicht: 36,3% der Bediensteten sind 50 Jahre oder älter.
Guckt man dann auf den Gesundheitszustand und die Arbeitszufriedenheit, lassen einen folgende Ergebnisse aufhorchen: Nur 49% der Bediensteten schätzen ihre Arbeitsfähigkeit als gut bis sehr gut ein. Nur 73% der Bediensteten schätzen ihre Gesundheit als gut bis ausgezeichnet ein. Und nur 68% der Bediensteten sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden.
Es gibt offensichtlich einige Bereiche, in denen nachgesteuert werden muss. Wir brauchen mehr Haftplätze, die angekündigte Gerichtsstrukturreform hat für enorm viel Wirbel und Frust gesorgt und die Skandale einer einzelnen Jugendanstalt möchte ich heute gar nicht weiter thematisieren. Ich erhoffe mir von den anstehenden Beratungen, dass wir auch parlamentarisch noch einen besseren Eindruck davon bekommen, wo der Schuh gerade am meisten drückt.
Von daher passt es ja gut, dass Marc Timmer die Landesregierung auffordert, bis zum Ende des Jahres einen Aktionsplan zur Entlastung von Strafjustiz und Strafvollzug auszuarbeiten.
Bis dahin würde ich mich freuen, wenn wir im Innenausschuss das Thema erneut im Rahmen einer Anhörung aufnehmen könnten, um die Zeit konstruktiv zu nutzen, bis die Ergebnisse der Großen Anfrage vorliegen.