Speech · 16.10.2025 Kinderreiche Familien mitdenken!

„Kinderreiche Familien sind überproportional von Armut betroffen und in vielen Bereichen benachteiligt – sie müssen stärker in unseren Fokus und brauchen Unterstützung“

Christian Dirschauer zu TOP 38 - Bericht über die Situation kinderreicher Familien in Schleswig-Holstein (Drs. 20/3360)

Nur für den Fall, dass nicht alle Anwesenden die Eckdaten des Berichts vor Augen oder sich intensiver mit der Situation kinderreicher Familien befasst haben: Als „kinderreich“ oder „Mehrkindfamilien“ gelten Familien, in denen drei oder mehr zum Teil minderjährige Kinder leben. Das findet man zwar immer seltener, trifft aber noch für etwa jede sechste Familie hier in Schleswig-Holstein zu. Die regionale Verteilung dieser Familien ist relativ ausgewogen. Laut dem vom SSW geforderten Bericht ist aber deutlich zu erkennen, dass Mehrkindfamilien, ich zitiere, „stets in einem höheren Grade als Familien mit einem oder zwei Kindern (…) auf laufende staatliche Geldleistungen angewiesen sind“. Obwohl ich auch aus persönlicher Erfahrung sagen kann, dass es sehr erfüllend und schön ist, mehrere Kinder zu haben, kann diese familiäre Konstellation also durchaus auch mit Herausforderungen verbunden sein.

Hand aufs Herz: Trotz so mancher Ankündigung, familienfreundlichstes Bundesland sein zu wollen, müssen wir nüchtern feststellen, dass auch Schleswig-Holstein nicht den allerbesten Rahmen für Familien bietet. Leider gilt das für Familien mit 3 oder mehr Kindern in besonderem Maße. In konkreten Zahlen gesagt, beziehen mit 23 Prozent mehr als doppelt so viele dieser Familien Grundsicherung als jene mit nur ein oder zwei minderjährigen Kindern. Noch dazu lässt sich klar belegen, dass ihr Pro-Kopf-Einkommen mit jedem weiteren Kind sinkt. Während 1-Kind-Familien im Jahr 2023 ein Durchschnittseinkommen von 2.124 Euro pro Person zur Verfügung stand, lag dieses bei Familien mit drei oder mehr Kindern bei nur noch 1.488 Euro. Loblieder auf Familien als unverzichtbare Grundpfeiler unserer Gesellschaft sind also das eine. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Kinder nach wie vor ein Armutsrisiko bedeuten. Und das ist zwar keine neue, aber eine wirklich traurige Erkenntnis. 
Viele kinderreiche Familien sind aber nicht nur in finanziellen Fragen benachteiligt. Der Bericht macht deutlich, dass sie in ihrem Alltag oft auf gesellschaftliche Vorurteile und durch einen verengten Fokus auf 1- oder 2-Kind-Familien zum Beispiel im Wohnungsbau oder bei Urlaubsangeboten auf handfeste Barrieren stoßen. Auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, am Arbeitsmarkt oder bei Fragen der Mobilität haben Kinderreiche oft das Nachsehen. Dabei sollte allen klar sein, dass wir hier über eine sehr heterogene Gruppe sprechen. So zählen zum Beispiel auch viele Patchwork-Familien dazu. Und es ist zum Beispiel klar belegt, dass fast drei Viertel der kinderreichen Frauen der Jahrgänge 1965 bis 1969 einen mittleren oder hohen Bildungsabschluss haben und ihre Familien damit eben gerade nicht pauschal irgendwelchen bildungsfernen Schichten zugeordnet werden können.

Diese genannten Herausforderungen für Kinderreiche sind nicht neu. Und doch danke ich der Landesregierung natürlich für den Bericht und für ihre Zusage, nicht zuletzt auch kinderreiche Familien im Blick zu haben. Laut Sozialministerium ist es ja offenbar auch notwendig, die benannten Probleme zu fokussieren und im weiteren Verlauf transparent und planvoll vorzugehen. In der Theorie können kinderreiche Familien also hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Auf der praktischen Ebene sieht das allerdings anders aus. Denn hier werden gedeckelte Kita-Beiträge, Geschwisterermäßigungen oder feine, aber leider doch recht überschaubare Fördermaßnahmen im Bereich der Ferien- und Freizeitangebote als Unterstützungsmaßnahmen aufgezählt, von denen naturgemäß auch Kinderreiche profitieren. Eine gezielte Politik und konkrete Maßnahmen, die eben auch genau die Gruppe der Mehrkindfamilien adressieren, sehen anders aus.

Gerade mit Blick auf die wichtige Aufgabe der Armutsvermeidung reicht es nicht, auf gesetzliche und systemische Änderungsbedarfe auf Bundesebene zu verweisen. Die Zahl armer oder von Armut bedrohter Kinder stagniert auch hier bei uns seit Jahren auf einem viel zu hohen Niveau. Viele dieser Kinder haben 2 oder mehr Geschwister. Wir reden nicht über Sonderfälle oder Randphänomene. Fast jedes vierte Kind wächst mit zwei oder mehr Geschwistern auf. Gleichzeitig werden diese Familien bislang aber nicht ausreichend in der entsprechenden Förder- und Familienpolitik berücksichtigt. Explizit auch nicht auf Landesebene. Aus Sicht des SSW muss sich das endlich ändern. Egal ob in der frühkindlichen Bildung oder beim Ganztag, im Wohnungsbau oder bei Fragen der Mobilität: Überall sollte die Perspektive kinderreicher Familien mitgedacht werden und vor allem auch in konkreten Maßnahmen zu ihrer Unterstützung münden. Für mich und meine Fraktion kann ich zumindest sagen, dass wir uns genau in diesem Sinn einsetzen werden. 

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