Tale · 09.10.2002 Landesverfassung und Volksabstimmungsgesetz

„Es ist nicht leicht zu ver­mitteln, dass die Vertreter des Volkes sich über eine Willensbekundung des Volkes hin­weg­set­zen können. Das Unbehagen dabei bleibt.“


Zu den weniger angenehmen Momenten in diesem Haus gehört der Ablauf in Verbindung mit der Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung im September 1999. Damals entschied sich der Landtag für die Einführung der reformierten Schreibweise, obwohl die Bürgerinnen und Bürger sich in einem Volksentscheid dagegen ausgesprochen hatten.

Die Entscheidung dürfte keinem der Abgeordneten leicht gefallen sein. Schließlich wurde nur wenige Jahre nach Einführung von Volksentscheiden in Schleswig-Holstein der Wille des Volkes vom Parlament willentlich beiseite gesetzt. Bei einer Abwägung zwischen Pest und Cholera kamen die Kolle­gin­nen und Kollegen aber zum Ergebnis, dass die Zukunftschancen der Schul­kinder noch schwerer wiegen als die Achtung des Volksentscheids. Dass dieses viele zornig gemacht hat, dass sie sich veräppelt gefühlt haben, ist nur allzu nachvollziehbar. Ich kann aber auch verstehen, dass der Landtag nicht anders entscheiden konnte.

Besonders kontrovers wurde diese Entscheidung dadurch, dass gesetzlich keine Regeln für einen solchen Fall vorgesehen waren. Auch der SSW hat damals gefordert, dass wir klare Regelungen brauchen, wann der Landtag einen Volksentscheid ändern kann. Deshalb begrüßen wir diese Initiative. Allerdings ist auch diese Regelung nicht unproblematisch. Es bleibt nach wie vor so, dass der Landtag durch eine 2/3 Mehrheit auch innerhalb von zwei Jahre nach einem Volksentscheid die Entscheidung umwerfen kann. Es wird nicht leicht zu ver­mitteln sein, dass die Vertreterinnen und Vertreter des Volkes sich in einer konkreten Frage über eine Willensbekundung des Volkes hin­weg­set­zen können. Ein namhafter Zeitungskommentator des Landes hat dieses damit verteidigt, dass es in der Regel um komplexe Zusammen­hänge geht, in denen nur die Abgeordneten genug Einsicht und Expertenwissen für eine fundierte Entscheidung haben. Das mag eine zutreffende Begründung sein, aber das Unbehagen dabei bleibt. Letztlich befinden wir uns in einem Dilemma, dass sich nicht zufriedenstellend auflösen lässt.

Der Gesetzentwurf enthält aber auch noch weitere Änderungen, die weniger problembehaftet sind. Uneingeschränkt positiv ist, dass die Initiatoren von Volksinitiativen, ein Recht auf Beratung durch das Innenministerium bekommen. Erfreulich ist auch der Anspruch auf eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der Argumente. Zu einer direkten Demokratie gehört selbst­verständlich, dass die Bürgerinnen und Bürger eine aufgeklärte Entscheidung treffen und nicht nur aus dem Bauch heraus entscheiden. Deshalb müssen sie auch umfassend über das Für und Wider ihrer Wahl informiert werden.

Auch die übrigen Änderungsvorschläge des vorliegenden Gesetzentwurfs können wir unter­stützen. Im Ausschuss werden wir zudem die Gelegenheit haben, über weitere Verbesserungen nachzu­denken. Zum Beispiel haben wir in Verbindung mit der Gemeindeordnung eine interessante Klausel eingeführt: Während eines laufenden Bürgerentscheids dürfen keine Entscheidungen gefällt werden, die dem Ziel der Bürgerinitiative widersprechen – mit Ausnahme von gesetzlich vor­ge­schriebenen Handlungen. Wir sollten darüber beraten, welche Vor- und Nachteile eine solche Regelung für die Landesebene hätte.

Insgesamt lässt sich aber jetzt schon urteilen: Der vorliegende Gesetzentwurf kann einige der schlimmsten Mängel beseitigen, die sich seit Einführung von Volksinitiativen, Volksbegeh­ren und Volksent­scheiden offenbart haben. Die größten Probleme lassen sich aber nicht lösen.

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