Tale · 31.01.2008 Leukämiefälle in der Elbmarsch müssen aufgeklärt werden


Vor gut einem Jahr haben wir den Bericht der Landesregierung zu Leukämiefällen im Raum Geesthacht/Elbmarsch debattiert. Der Bericht machte deutlich, dass frühzeitig und sehr intensiv mit der Ursachenforschung der Leukämie-Erkrankung in der Elbmarsch begonnen wurde. So wurden insgesamt 17 Studien im Zeitraum von 1992 bis Ende November 2005 durchgeführt.

Sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen haben Expertenkommissionen eingesetzt, die zahlreiche potentielle Ursachen für die Leukämieerkrankungen untersuchen sollten. Dazu zählten unter anderem radioaktive Strahlenbelastungen sowie epidemiologische Untersuchungen. Darüber hinaus wurden auch natürliche Gegebenheiten wie beispielsweise Wasser, Boden oder Luft und Nahrungsmittel untersucht. Doch keine der durchgeführten Untersuchungen lieferte eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für die Ursache der Häufung kindlicher Leukämien in dieser Region.

Die neueste Untersuchung des Bundesamtes für Strahlenschutz – die Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK) – hat Ende letzten Jahres neue Ergebnisse ans Licht gebracht. Die Studie bestätigt, „dass in Deutschland ein Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Risiko, vor dem 5. Geburtstag an Krebs (bzw. Leukämie) zu erkranken, beobachtet wird.“ Aber die Studie gibt keine Aussage darüber, durch welche Ursachen diese Beziehung zu erklären ist. – Auch wenn es immer noch keine Kenntnis über die Ursachen gibt, darf uns das Ergebnis der Studie nicht in Ruhe lassen. Denn der Zusammenhang zwischen Wohnort und Entfernung zum AKW ist auffallend. Das heißt, hierin muss der weitere Forschungsauftrag liegen, damit diese Frage endgültig geklärt wird.

Auch wenn die Studie keine Aussage über Ursachen zwischen den Leukämiefällen und den Kernkraftwerken trifft, beschleicht einen aber trotzdem ein Verdacht. Und eben dieser Verdacht lässt die Bevölkerung in der Region auch nicht zur Ruhe kommen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass die Untersuchungen nicht gestoppt werden dürfen, bevor der schlüssige Beweis vorliegt, dass AKWs oder das GKSS nichts mit den Leukämiefällen zu tun haben, oder andere Ursachen für die häufigen Erkrankungen gefunden werden konnten. Auch wenn bisher keine Zusammenhänge wissenschaftlich belegbar sind, können wir letztendlich nicht ausschließen, dass sie vorhanden sein können. Denn an einen puren Zufall mag angesichts der Ergebnisse niemand denken. Wer sich aber hinstellt und behauptet, dass die Studie keine neuen Erkenntnisse liefert, verharmlost das Problem.

An der Studie beteiligt wurden sowohl Atomkraft-Kritiker wie auch –Befürworter und man hat eine von allen akzeptierte Methodik gefunden, die Studie durchzuführen. Daher sollten wir das Ergebnis ernst nehmen.
Im Umkreis von fünf Kilometern um die deutschen Kernkraftwerke wurde für den Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2003 ermittelt, dass 77 Kinder an Krebs – davon 37 an Blutkrebs erkrankt sind. Nach dem statistischen Durchschnittswert wären nach Darstellung der Wissenschaftler 48 Krebs- beziehungsweise 17 Leukämiefälle zu erwarten gewesen. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir von Clusterbildungen sprechen können.

Es klingt dann nahezu wie Hohn, wenn von Seiten des Bundesumweltministeriums gesagt wird, dass der Anstieg bei den Krebserkrankungen nach derzeitigem Kenntnisstand der Wissenschaft nicht durch die Strahlenbelastung aus einem Atomkraftwerk erklärt werden können. Um das erhöhte Krebsrisiko zu erklären, müsste angeblich demnach die Strahlenbelastung der Bevölkerung um mindestens das Tausendfache höher sein. Nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Aus unserer Sicht darf die Frage der Leukämiefälle keine ideologische Frage sein, sondern eine Sachfrage, der unbedingt nachgegangen werden muss. Wir müssen die Thematik sachorientiert und emotionsfrei aufarbeiten. Diese Zielsetzung hat auch der von uns und den anderen Oppositionsparteien eingebrachte Antrag – der einstimmig so auch in Niedersachsen verabschiedet wurde. Daher ist es aus unserer Sicht mehr als bedauerlich, dass wir es hier nicht hinbekommen haben, einen interfraktionellen Antrag zu diesem Thema zu stellen. Leider war die Große Koalition hier nicht gewillt, den Antrag der Oppositionspartein mit zu tragen. Stattdessen haben sie einen eigenständigen Antrag eingebracht.

Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Anhörung der zuständigen Ausschüsse in Hannover, hätte ich mir hier mehr politisches Verständnis für die Sache von der Großen Koalition versprochen. Denn ich finde, dass es uns als Schleswig-Holsteinischer Landtag gut zu Gesicht gestanden hätte, wenn wir ein einstimmiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger im Raum Geesthacht und Elbmarsch und an unsere Kollegen im Niedersächsischen Landtag gegeben hätten. Diese Chance haben die Kollegen von der Großen Koalition bisher nicht genutzt. Das ist bedauerlich, denn ich glaube, dass wir in der Sache gar nicht weit auseinander liegen.

Angesichts der Tatsache, dass die SPD seinerzeit selbst den Vorschlag eingebracht hat, eine gemeinsame Anhörung der Sozialausschüsse zur Untersuchung der rätselhaften Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch durchzuführen, um Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Vorgehensweisen und Untersuchungsmethoden aus dem Weg zu räumen, ist es unverständlich, dass wir in Schleswig-Holstein jetzt nicht an einem Strang ziehen. Nur dann können wir den Menschen in der Elbmarsch deutlich machen, dass das Problem von Seiten der Politik ernst genommen wird. Gegenseitige Kritik und Missverständnisse helfen hier nicht weiter. Wir sollten auch künftig gemeinsam und länderübergreifend das Problem angehen.
Deswegen hoffe ich, dass wir im Ausschuss noch einen gemeinsamen Beschluss hinbekommen.

Für uns steht fest, dass wir die Sorgen und Ängste der Menschen im Raum Geesthacht und der Elbmarsch ernst nehmen müssen. Wir müssen alles daran setzen, die Ursachen für die diese Leukämie-Cluster zu erforschen. Und wir dürfen mit den Untersuchungen solange nicht aufhören, bis der Beweis für die Ursachen erbracht wurde. Nur so werden wir der Verantwortung den Menschen gegenüber gerecht, die sich dort um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen.

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