Tale · 26.04.2012 Menschenwürdige Unterbringung

Flüchtlinge leben in Schleswig-Holstein unter Bedingungen, die man als Besucherin kaum ertragen kann: eng, abgeschieden und mit abgewohnten Mobiliar. Wir sollten nicht einmal versucht sein zu denken, dass das normal ist. Das ist es nämlich nicht.
Der Sächsische Ausländerbeauftragte Prof. Martin Gillo hat vorgeschlagen, Standards für die Unterkünfte festzulegen und diese bei allen umzusetzen. Das Ganze ähnelt ein wenig einem Einrichtungs-TÜV. Nur so kann man offenbar die Wahrung des Rechts auf menschenwürdige Behandlung sicherstellen. Wie beim Auto gilt: werden bestimmte Standards nicht eingehalten, muss nachgebessert oder geschlossen werden. Damit ist sichergestellt, dass es keine Anpassung der Standards nach unten gibt.
In Sachsen hat das funktioniert: in der Folge wurden Einrichtungen geschlossen. Überall dort, wo es keine hygienischen Sanitärbereiche, moderne Küchen oder angemessene Wohnquartiere gab, wurde der Schlüssel umgedreht. Richtig so.
Auch in Schleswig-Holstein sind wir auf dem besten Weg hin zu verbindlichen Standards. Ein Bericht vom Ausländerbeauftragten und dem Flüchtlingsrat mit entsprechenden Empfehlungen liegen bereits seit letztem Jahr vor. Auf dem Titel der Broschüre sieht man ein Foto von einer Unterkunft in einem Container, den man wirklich nicht als Zuhause bezeichnen kann. Dass hier mehrere Menschen über Monate oder Jahre leben müssen, kann man sich kaum vorstellen. Abseits der Innenstädte gewähren einige Unterkünfte ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nur einen groben Schutz gegen die Widrigkeiten von Wind und Wetter. Das ist Unterbringung auf unterstem Zeltplatz-Niveau. Für eine soziale Integration sind diese Unterkünfte völlig ungeeignet.
Der Flüchtlingsrat schilderte in seiner Stellungnahme für den Innenausschuss erschreckende Beispiele für die Überforderung einzelner Kommunen und empfiehlt die fachaufsichtliche Begleitung der Kommunen durch das Innenministerium, um den gröbsten Missständen Herr zu werden. Es drängt sich geradezu die Frage auf, wie es so weit kommen konnte, dass Menschen abgeschoben und vergessen werden können. Nicht einmal die zuständige Sozialarbeiterin scheint zu wissen, wie viele Personen nun tatsächlich in einem Container wohnen. Das sind Anzeichen für ein Systemversagen.
Die dezentrale Unterbringung ohne feste Standards und ohne fachaufsichtliche Begleitung bewährt sich also nicht - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie führt dazu, dass sich Kostenaspekte in den Vordergrund drängen und dass menschliche Fragen beiseite geschoben werden. Dabei sollte die Umstellung auf dezentrale Unterbringung die Asylbewerber gerade aus der Isolierung hinaus und in die Gesellschaft hinein führen. Die Kommunen werden allein gelassen und fühlen sich in Stich gelassen.
Darum unterstützt der SSW nachdrücklich die systematische Bestandsaufnahme aller Unterkünfte. Das ist allerdings nur der erste Schritt. So wie in Sachsen müssen auch bei uns aus den Daten die richtigen Schlüsse gezogen werden und Taten folgen. Das heißt, dass bei Mängeln die Unterkünfte innerhalb einer festgelegten Frist baulich verbessert werden müssen. Ist das nicht möglich oder zu aufwendig, müssen sie geschlossen werden.
Ein abschließendes Wort zum Menschenrecht auf medizinische Versorgung. Der SSW hält seine Kritik aufrecht, dass dieses Problem nicht nur Ausländer ohne Papiere betrifft. Eine wachsende Zahl von Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern hat keine Krankenversicherung. Die Malteser Migranten Medizin sagt, dass inzwischen jeder zehnte ihrer Patienten ein Deutscher sei, darunter Selbständige, die den Basistarif der PKV nicht zahlen können.
Wir müssen dieses Problem im Rahmen einer Krankenversicherungsreform lösen. Dann haben alle etwas davon: die Ausländer ohne Papiere und die Deutschen ohne Krankenversicherung.

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