Tale · 08.03.2019 Bundesnetzagentur ist in Sachen Netzneutralität ein zahnloser Tiger

Wer die allgegenwärtige Werbung der Telekom für StreamOn kennt, kann sich wohl ausrechnen, was das kostet, tagesdeckend auf allen Sendern zu werben. Das kostet sicherlich Millionen. Ein Zwangsgeld ist da schon eingepreist.

Rede zu Protokoll gegeben

Lars Harms zu TOP 11 - Netzneutralität bewahren (Drs. 19/1230) 

(Nr. 081-2019) Der neue Dienst der Telekom, Stream On, verletzt die Netzneutralität. Nachzulesen im Jahresbericht der Bundesnetzagentur. Die Datenflatrate schloss nämlich bestimmte Formate aus. StreamOn ermöglicht die Nutzung von YouTube, aber beim Konkurrenten Vimeo ist das nicht möglich. Die Telekom weiß durchaus, dass das rechtlich unzulässig ist. Ihr ist das aber egal.

Dagegen ist die Bundesnetzagentur vorgegangen. Das Kölner Verwaltungsgericht hat im November die Telekom zur Einhaltung der Neutralität verurteilt: Beim Angebot StreamOn darf die Videoqualität nicht gedrosselt werden und das Roaming im Ausland muss ebenfalls gewährt werden. Das ist konkreter Verbraucherschutz, der nicht zuletzt auf sehr aufmerksame Nutzerinnen und Nutzern zurückgeht, die Verletzungen der Neutralität bei der Bundesnetzagentur melden. Dennoch sind die Verfahren langwierig und kompliziert. Die Branchenriesen Vodafone und Telekom versuchen die Grenzen immer wieder neu zu definieren und reagieren manchmal erst nach Monaten. 
Eine effektive Kontrolle ist also besonders wichtig. Wie diese durchzusetzen ist, ist aktuell die große Frage. Vor diesem Hintergrund  erscheint mir der vorliegende Antrag etwas aus der Zeit gefallen; zumindest die ersten Absätze. Das Prinzip der Netzneutralität ist ja überhaupt nicht umstritten. Der Landtag muss sich nicht dazu bekennen, weil er das schon getan hat. Wir haben dieses Prinzip in vorherigen Debatten bekräftigt. Immer mal wieder. Ein Blick in die Protokolle der Landtagssitzungen zeigt das. Wir müssen nicht über einen diskriminierungsfreien Zugang zu Netzangeboten für alle streiten. Die Netzneutralität ist Konsens. So gesehen gibt der Antrag nur noch einmal einen schönen Anlass für viele Reden, die alle schon mal gehalten worden sind. Mehrmals. Sonntagsreden ohne Belang.

Strittig ist dagegen die Frage, wie die Einhaltung der Netzneutralität zu gewährleisten ist. Es geht darum, wie die „Netzneutralität gesetzgeberisch wirksam durchgesetzt“ werden soll, um einmal aus dem Antrag zu zitieren; also genauer gesagt aus dem vorletzten Absatz. Erst am Ende des Antrags geht es nämlich um wirksame Sanktionsinstrumente. Die Zwangsgelder sind bislang lächerlich gering. Ein Zwangsgeld von 200.000 Euro bezahlt die Telekom aus der Portokasse. Auch eine halbe Million schmerzt nicht so sehr, als dass der Konzern einen Rechtsbruch nicht zumindest versucht. Wer die allgegenwärtige Werbung der Telekom für StreamOn kennt, kann sich wohl ausrechnen, was das kostet, tagesdeckend auf allen Sendern zu werben. Das kostet sicherlich Millionen. Ein Zwangsgeld ist da schon eingepreist. Der Konzern lotet frech aus, wie weit er gehen kann und wie lange er die Verletzung der  Netzneutralität unbemerkt betreiben kann.

Dass er das kann, liegt an schwachen Sanktionen. Die Bundesnetzagentur ist in Sachen Durchsetzung der Netzneutralität ein zahnloser Tiger. Die Aktivisten von Netzpolitik.org bescheinigen der Bundesnetzagentur nur begrenzte Möglichkeiten, sich gegen die Netzbetreiber wirksam durchzusetzen. Die EU-Verordnung sieht zwar ausdrücklich wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vor, doch die Mitgliedsländer zögern und zaudern. Sie knicken vor den Konzernen ein. Deutschland könnte ganz anders vorgehen, tut es aber nicht. Dabei wäre es durchaus möglich, Sanktionen gemäß des Jahresumsatzes zu verhängen. Man müsste es bloß gesetzgeberisch in Berlin festlegen. Das würde zeigen, dass die Kontrolle ernst genommen wird. Aber genau daran hapert es. Höhere Zwangsgelder werden in der Bundesregierung nicht einmal diskutiert.

Die Folge: die Konzerne verletzen dauernd und unverhohlen die Netzneutralität. Beispiel Vodafone mit seinem Angebot VodafonePass. Verbraucherschützer kritisieren, dass die Nutzung des Vodafone Passes auf das Handy beschränkt wird. Wer auf Laptop oder Tablet über einen Hotspot surfen möchte, kann das nicht. Freie Endgerätewahl? Fehlanzeige! Ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht. Bleibt aber ungestraft.

Ein solches Konzernverhalten lässt erahnen, wie konzernfreundlich der neue 5G-Standard in Deutschland umgesetzt werden wird. Schaut man sich an, wie lasch der deutsche Telekommunikationsmarkt derzeitig reguliert wird, erahnt man, was uns da ins Haus steht. Wo andere Länder eine Flächendeckung vorschreiben, wird das wohl in Deutschland ein Wunschtraum bleiben, dass also die Anbieter Nutzer konkurrierender Anbieter über ihre Antennen leiten. Die Datenlöcher auf dem Land werden damit zementiert, allen Bekundungen der Bundesregierung zum Trotz. Es ist vor diesem Hintergrund wichtig, den Verbraucherschutz auf dem Telekommunikationsmarkt zu stärken und endlich den Kampf mit den Konzernen aufzunehmen. Dazu sind wirkungsvolle Sanktionen angezeigt.

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