Speech · 26.09.2001 Ehrenamtliche Tätigkeit in Schleswig-Holstein

Der SSW hat ja seine kulturellen Wurzeln in einer Gesellschaft, die ganz anders mit Staat, Markt und dem bürgerschaftlichen Engagement umgeht, als wir es aus Schleswig-Holstein kennen. Trotzdem können auch wir nur beipflichten, wenn die unermessliche Bedeutung des Ehrenamtes für das Zusammenleben im Land unterstrichen wird. Wir alle können aus eigener Erfahrung erzählen, dass Schleswig-Holstein ohne das freiwillige Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger arm dran wäre. Gerade wir in den Minderheiten wissen nur allzu gut: Ohne die vielen Menschen, die ihre freie Zeit den anderen opfern und dieses auch noch gerne tun, wäre die Welt wohl grau und unmenschlich wie im Märchen von Momo. Dafür schulden wir ihnen Dank und Anerkennung.

Auch ich werde jetzt nicht allen ehrenamtlich Tätigen gebührend meinen Respekt zollen können. Die Antwort auf die große Anfrage macht deutlich, dass das bürgerschaftliche Engagement im Land viele Facetten hat. Die Vielfalt ist so groß, dass sie sich einer Aufzählung entzieht.

Sie ist sogar so groß, dass der Landesregierung entgangen ist, dass es in Schleswig-Holstein ein Spendenparlament gibt. Obwohl auf Seite 30 festgestellt wird, dass es keine solche Initiative im Land gibt, haben wir in Flensburg seit Jahren eins. Ein waschechtes Spendenparlament, dem nebenbei bemerkt die Kollegin Silke Hinrichsen vorsitzt. Aber da sieht man wie groß und unüberschaubar die Welt des Ehrenamts ist, dass so etwas nicht bis nach Kiel vordringt.

Das bürgerschaftliche Engagement blüht aber nicht nur im zwischenmenschlichen Miteinander, es ist seit über einem Jahrzehnt auch zu einem wichtigen politischen Konzept geworden. Insbesondere nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Entstehung der jungen osteuropäischen Demokratien ist das bürgerschaftliche Engagement zu einem hochgelobten Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaften geworden. Es bildet das Fundament der „Zivilgesellschaft“, die auch in Zukunft Demokratie und Wohlfahrt sichern soll. Auch deshalb ist das Ehrenamt zum Gegenstand eines internationalen Jahres der Vereinten Nationen geworden, und das ist auch einer der Gründe weshalb sich der Landtag und die Landesregierung so intensiv mit diesem Thema beschäftigen.

Denn es ist noch nicht gesagt, dass das bürgerschaftliche Engagement in Zukunft wirklich eine solche Entwicklung tragen kann. Der Feststellung der ernormen Bedeutung des Ehrenamts steht die bange Frage nach der Zukunft des ehrenamtlichen Engagements gegenüber. Die Welt verändert sich, und die Menschen mit. Wir wissen mit Sicherheit, dass die Zukunft des Ehrenamtes anders aussieht als das, was wir bisher kennen. Wir alle kennen Menschen, die ihr ganzes Leben einer oder mehreren Sachen geopfert haben. Die Minderheiten leben von Ehrenamt, wir waren bisher ohne exzessives Ehrenamt gar nicht denkbar. Aber auch wir werden uns aber daran gewöhnen müssen, dass sie seltener werden - die Menschen, die sich in jeder freien Minute für eine Sache aufschleißen.

Die Menschen von heute haben andere Lebensstile entwickelt, sie haben andere Ziele in ihrem Leben. Sie werden sicherlich immer noch ehrenamtlich tätig sein, aber sie Stellen sich unter Ehrenamt etwas anders vor, als heute. Die potentiellen Ehrenamtlichen der Zukunft lassen sich nicht mehr so gern in feste Strukturen dauerhaft einbinden. Ihre ehrenamtliche Arbeit ist zielorientiert, soll in sich sinnstiftend sein, ist weniger zeitaufwendig und flexibler. Die Politik für das Ehrenamt muss sich auf diese neuen Bedingungen einstellen.

Das Ehrenamt ist wichtig für unsere Zukunft, und deshalb müssen die Weichen gestellt werden. Das Jahr des Ehrenamts ruft uns ins Bewusstsein, dass wir uns nicht einfach zurücklehnen können. Die Politik ist aufgerufen, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um ehrenamtliche Arbeit zu unterstützen und zu fördern.

Das kann natürlich zum einen durch Geld geschehen. Der Antrag der FDP macht deutlich, dass sie hierin ein zentrales Element sieht. Andere Möglichkeiten bestehen zum Beispiel darin, dass man das Ehrenamt als Qualifikation für Berufsausbildungen oder Erwerbsarbeit anerkennt. Es ist zum Beispiel gut, dass Schülerinnen und Schüler ab diesem Schuljahr solche Tätigkeiten ihrem Zeugnis hinzufügen lassen können. Der SSW meint auch immer noch, dass Ehrenämter im Rahmen der Hochschulzulassung als Zusatzqualifikation anerkannt werden sollten. Solche Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements in anderen Lebensbereichen sind eine Möglichkeit, das Engagement zu fördern.

Ich glaube allerdings nicht, dass die meisten potentiellen Ehrenamtlichen sich wegen Geld, steuerrechtlicher Regelungen oder ähnlicher Vorteile für oder gegen das Engagement entscheiden. Ich glaube vielmehr, dass sie vor allem gute Rahmenbedingungen erwarten. Sie wollen vor allem dass das Ehrenamt so strukturiert ist, dass es ihnen erlaubt, wirklich den angesprochenen nicht-materiellen Nutzen aus dem Engagement zu ziehen. Es geht also darum, dass man sie zuerst darin unterstützt, sich wirklich über die ehrenamtliche Tätigkeit selbst zu verwirklichen. Dazu gehören sinnvolle Strukturen, die das Ehrenamt erleichtern. Dazu gehören z. B. Fortbildung und Qualifizierung. Und dazu gehört vor allem die Möglichkeit, auf die ehrenamtliche Tätigkeit Einfluss nehmen zu können und selbst Entscheidungen zu treffen.

Zu einer konsequenten Förderung des Ehrenamts gehört eben auch, dass man erkennt, dass modernes Ehrenamt und Mitsprache zwei Seiten der selben Medaille sind. Die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler wollen natürlich nicht nur als billige, voraussetzungslose Arbeitskraft in Vereinen arbeiten. Die Zukunft des Ehrenamts hängt unter anderem maßgeblich davon ab, ob die Menschen demokratisch mitreden können. Gerade in dieser Hinsicht ist es auch Aufgabe der Politik, hier nicht nur schöne Sonntagsreden zu schwingen sondern mit gutem Beispiel voranzugehen.

Die Demokratie lebt nicht nur vom Ehrenamt in Jugendverbänden und Bürgerinitiativen. Auch wenn es durch die große Politik im Fernsehen mit ihren Bodyguards und dunklen Limousinen in den Hintergrund rückt, sind der weit größte Teil der Politikerinnen und Politiker ehrenamtlich tätig. Zur politischen Mitsprache gehört zum einen, dass Kinder und Jugendliche an die Teilhabe herangeführt werden. Hier liegt Schleswig-Holstein bundesweit an der Spitze. Zur Mitsprache gehört zum anderen aber auch, dass erwachsene Menschen, die sich in die Demokratie einbringen wollen, auch wirklich Einflussmöglichkeiten erhalten.

In diesem Sinne kann man nicht ignorieren, was gegenwärtig in unseren Kommunen abläuft. Verwaltungsreformen, die Städte, Kreise und Gemeinden am Modell eines Wirtschaftsunternehmens ausrichten und hierarchische Managementstrukturen einführen, machen vielleicht den Job des Verwaltungschefs attraktiver. Sie tragen kaum dazu bei, das ehrenamtliche Engagement in der Demokratie zu fördern. Und das dürfte immerhin das wichtigste Feld der Ehrenamtlichkeit überhaupt sein. Hier haben wir einen Bereich, in dem alle Mitglieder in diesem Hause konkret und unmittelbar dafür arbeiten können, die Bedingungen des Ehrenamts zu verbessern.

Wie eingangs erwähnt beruht SSW-Politik auf einem Gesellschaftsverständnis, das anders mit dem bürgerschaftlichen Engagement umgeht. In unseren Augen dürfen wichtige gesellschaftliche Aufgaben nicht im Sinne der Subsidiarität den Betroffenen und ihren Nächsten überlassen werden, sondern die Gesellschaft tritt solidarisch für Mitmenschen ein, auch bevor die allerletzten Reserven in deren Umgebung erschöpft sind.
Deshalb sind wir auch froh, dass die Landesregierung deutlich macht, dass Ehrenamt für sie kein Ersatz für staatliche Verantwortung sein kann. Ehrenamt ist ein Bereich, der sich nicht staatlich steuern lässt, sondern allenfalls über Rahmenbedingungen beeinflussbar ist. Sonst würde es auch seinen Charakter verlieren. Und die Zukunft des Ehrenamts lässt weniger Kontinuität in den Tätigkeiten erwarten. Deshalb kann sich der Staat nicht zurückziehen.

Ehrenamt ist keine Alternative zum staatlichen Handeln. Insbesondere in teuren Bereichen wie Gesundheit und Soziales ist die Versuchung heute groß, die Hilfen auf den Dritten Sektor auszudehnen und zu verschieben. Es bleibt aber Aufgabe der Politik zu definieren, welche Bereiche von zentraler Bedeutung sind, und die Sicherstellung dieser Bereiche selbst zu gewährleisten.

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