Tale · 27.10.2021 Endlich anpacken statt rumschnacken für die Biodiversität

„Wenn wir landesweit eine Trendumkehr erreichen wollen, wird der Erfolg der Biodiversitätsstrategie davon abhängen, was uns die Maßnahmen wert sein werden.“

Christian Dirschauer zu TOP 37 - Landesstrategie zur Sicherung der Biologischen Vielfalt (Drs. 19/3266)

Es ist schon bezeichnend, wenn im Bericht der Landesregierung gleich im ersten Satz des Vorwortes darauf hingewiesen wird, dass sich die biologische Vielfalt bei uns im Land überwiegend in keinem guten Zustand befindet. Dies sei das Ergebnis nach Bewertung aller vorliegenden Daten und Unterlagen. 
Und wenn wir zu uns selbst ehrlich sind, kann uns diese Aussage nicht überraschen, denn es ist keine neue Entwicklung, die wir verzeichnen. Bereits mit der ersten bundesweiten Wahl zum Vogel des Jahres – das war 1971 – hat der Nabu mit der Nominierung auf die Gefährdung der Art und des jeweiligen Lebensraumes aufmerksam gemacht. Und auch die erste Rote Liste wurde in der Bundesrepublik bereits Mitte der 1970’er Jahre herausgegeben. Soll heißen, bedrohte Arten bis hin zu verschollenen Arten sind lange bekannt. Nun sind bedrohte oder ausgestorbene Arten nicht nur weltweit oder deutschlandweit zu verzeichnen, auch Schleswig-Holstein hat Rote Listen – die im Bericht beispielhaft aufgeführt werden. 
Der Verlust oder die Gefährdung von Arten, deren Gene oder Lebensräumen ist nicht neu. Aber Jahr für Jahr werden die Listen länger – bei uns in Schleswig-Holstein, bundesweit und global. Was einmal verloren gegangen ist, kommt nicht wieder. Der Verlust ist irreversibel. 
Rote Listen sind mehr als nur eine Einteilung der unterschiedlichen Arten oder Lebensräume von ungefährdet bis ausgestorben. Rote Listen sind ein Instrument zur Sicherung und zum Erhalt. Aus den verschiedenen Gefährdungskategorien lassen sich Vorgaben für den Schutz der Arten und speziell deren Lebensräume herleiten. Aber dafür muss etwas getan werden.
Der politische Wille, etwas zu ändern, ist vorhanden. Es gibt nationale und internationale Übereinkommen und Beschlüsse, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und nach Möglichkeit umzukehren. Deutschland hat sich verpflichtet nationale Strategien und Pläne zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt aufzustellen. Im Grundgesetz, aber auch in unserer Landesverfassung ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verankert. 
Darüber hinaus gibt es die konkreten rechtlichen Schutzkategorien. Wir haben die nationalen Schutzgüter wie Nationalpark sowie Natur- oder Landschaftsschutzgebiete. Und es gibt die EU-Schutzausweisungen, wie Flora-Fauna-Habitate oder Vogelschutzgebiete sowie die Zielvorgaben für die aquatischen Bereiche, mit der Wasserrahmenrichtlinie und der Meeresstrategie-Richtlinie. Damit haben wir eigentlich alle rechtlichen Instrumente, um Lebensräume sowie deren Arten und deren genetische Vielfalt zu schützen. Eigentlich, denn trotz aller Bemühungen und Anstrengungen stellen wir fest, dass immer mehr Lebensräume und Arten verloren gehen oder in ihren Beständen weiter gefährdet sind. 
Um diesen fortwährenden Rückgang der Arten- und Lebensraumvielfalt aufzuhalten, wurde von den Vereinten Nationen die „UN-Dekade Biologische Vielfalt 2011 bis 2020“ ausgerufen. Die EU hat jüngst die europäische Biodiversitätsstrategie 2030 vorgelegt. Die nationale Biodiversitätsstrategie des Bundes liegt vor und auch Schleswig-Holstein soll seine Landesstrategie zur Sicherung der biologischen Vielfalt erhalten. 
Wir als SSW haben zu Beginn der Legislaturperiode ausdrücklich die Forderung nach so einer Landesstrategie gelobt. Und mein Vorgänger, Flemming Meyer, hat ausdrücklich begrüßt, dass Jamaika damit weiterführt, was die Küstenkoalition bereits angefangen hat. Soll heißen, Biodiversität war seinerzeit in der Ausgestaltung der naturschutzfachlichen relevanten Landesgesetze für uns maßgeblich. 
So wurde im Landeswaldgesetz seinerzeit festgelegt, dass bei Neuanpflanzungen und Wiederaufforstungen ein hinreichender Anteil standortheimischer Baumarten genutzt wird. Sowie die Festlegung, dass 10 % des Staats- und Körperschaftswaldes als Naturwälder auszuweisen sind. Oder die Verankerung des Biotopverbundes im Landesnaturschutzgesetz. 
Das Ziel, die nationale Biodiversitätsstrategie zu erfüllen, zog sich wie ein roter Faden durch die genannten Gesetzesänderungen. Und so falsch können wir damit ja nicht gelegen haben, denn Jamaika hat diese Änderungen nicht rückgängig gemacht. Aber, zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass es nicht ausreicht. Daher ist es gut und richtig, wenn nun mit der Landesstrategie darauf weiter aufgebaut wird, denn auch die bisherigen Anstrengungen zeigen, dass noch mehr getan werden muss. Denn klar ist, biologische Vielfalt ist keine Selbstverständlichkeit, wenn wir sie erhalten und sichern wollen, müssen wir unseren Einsatz verstetigen und ausweiten. Aus dem vorliegenden Bericht geht deutlich hervor, dass alle bisher verfolgten Ziele, sei es von Seiten der EU, der Bundesrepublik oder Schleswig-Holsteins, nicht annähernd erreicht wurden. Er spricht von dramatischen Entwicklungen bezüglich der Lebensraumverluste und der Artenvielfalt und dass die gesteckten Ziele mit den bisher getroffenen Maßnahmen bis 2030 nicht erreicht werden. Es soll nicht fatalistisch klingen, aber zuversichtlich klingt das nicht. 
Daher teilen wir den im Bericht genannten ganzheitlichen Ansatz, dass ein konsequentes Umdenken und ein innovatives Handeln von Politik und Gesellschaft dringend erforderlich sind.
Die Landesstrategie, mit ihrem integrativen und sektorübergreifenden Ansatz, kann hier das richtige Instrument sein, mit dem ein Trendstopp und eine Umkehr bis 2030 gelingen kann. Gleichwohl sind es dicke Bretter die dafür gebohrt werden müssen, aber ein „weiter so“, ist keine Option. Daher gilt unser Dank allen Beteiligten, die an dem Bericht und insbesondere an der Ausgestaltung der Landesstrategie mitgearbeitet haben. Und ich gebe zu, angesichts des bisher Erreichten oder eben auch nicht Erreichten, war die Aufgabenstellung, wie wir die biologische Vielfalt in Schleswig-Holstein erhalten können durchaus komplex. Daher von unserer Seite große Anerkennung für das, was im Bericht vorgelegt wurde. 
Dabei möchte ich die Gelegenheit nutzen, am Beispiel der Modellregion Schlei deutlich zu machen, dass es mit einer Maßnahme allein nicht getan ist. Denn gerade die Schleiregion zeigt exemplarisch, woran es bisher mangelt. Trotz verschiedener Schutzgebietsausweisungen – nationaler oder internationaler Art – wissen wir, dass die Schlei sich in einem schlechten Zustand befindet. Aber Dank des Einsatzes regionaler Akteure und Vereine sowie der politischen Ebenen ist es gelungen, für die Schlei ein integriertes Programm auf die Beine zu stellen, mit den grundsätzlichen Zielen des Biodiversitäts-, Wasser-, Klima- und Bodenschutzes. Der ganzheitliche Ansatz, der dort verfolgt wird, also über das eigentliche Gewässer hinaus, mit seinen angrenzenden Flächen und Zuläufen, ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Synergieeffekte zwischen dem biologischen Klimaschutz, dem Natur- und Insektenschutze sowie der Verbesserung der Wasserqualität werden, da bin ich sehr zuversichtlich, sich positiv auf die Biodiversität auswirken. 
Das was dort bisher erreicht wurde, ist beispielhaft für Schleswig-Holstein. Aber auch bundesweit kann die Schleiregion damit zu einem „best practice“ Modell werden, wie sie es auch im Rahmen der HELCOM-Zusammenarbeit geworden ist. Aber wir wissen auch, dass neben dem enormen Einsatz der beteiligten Akteure und Vereine, der Erfolg maßgeblich davon abhängt, dass wirtschaftlich Verluste ausgeglichen werden. Das heißt, der finanzielle Einsatz ist für den Erfolg nicht unerheblich. Auch dafür ist die Modellregion beispielhaft. 
Wenn wir landesweit eine Trendumkehr erreichen wollen, wird der Erfolg der Biodiversitätsstrategie davon abhängen, was uns die Maßnahmen wert sein werden. Denn neben dem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens, steht der Erfolg unter dem Vorbehalt, dass genügend Mittel für Maßnahmen sowie personelle und organisatorische Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, das Land Schleswig-Holstein muss für den Erfolg richtig Geld in die Hand nehmen, auch zur Kofinanzierung von Bundes- und EU-Mitteln. 
Da uns die Landesstrategie zur Sicherung der biologischen Vielfalt noch lange beschäftigen wird, halten wir es für sinnvoll, dass dem Parlament in regelmäßigen Abständen ein Evaluationsbericht vorgelegt wird. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

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