Tale · 06.10.2011 Für eine tolerante und offene Gesellschaft, Rechtspopulismus entschlossen entgegentreten

Der Bombenanschlag in Oslo und der Massenmord auf der Insel Utøya am 22. Juli dieses Jahres führten reflexartig dazu, dass viele Medien gen Mekka schauten und die Täter in islamistischen Kreisen vermuteten. Anders Breivik aber ist kein islamistischer Terrorist, der gegen die westliche Welt und ihre Werte kämpft; er ist Anti-Islamist und Norweger durch und durch. Gleichwohl fand seine Tat nicht im luftleeren Raum statt. In Norwegen hat es in den letzten Jahren eine polarisierende öffentliche Diskussion um Einwanderung und Islamisierung der Gesellschaft gegeben, hebt der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder hervor. In so einem Klima werden den Hasstiraden eines Breiviks keine Grenzen gesetzt, was bei ihm letztlich in Gewalt umschlug.

Auch der Beschluss der ehemaligen rechtskonservativen Regierung Dänemarks, wieder feste Grenzkontrollen an den dänischen Außengrenzen einzuführen, fand nicht im luftleeren Raum statt. Er war bekanntlich das Ergebnis eines faulen Kompromisses, den die dänische Minderheitsregierung unter Lars Løkke Rasmussen mit der Dansk Folkeparti eingegangen war, weil er ihre Stimmen bei der Abschaffung der bisherigen Vorruhestandsregelung brauchte. Zur Vorgeschichte gehört, dass die Dänische Volkspartei seit 2001 fester Tolerierungspartner der Mitte-Rechts-Regierung war und in den letzten zehn Jahren bei Wahlen immer zwischen 13% und 15% der abgegebenen Stimmen erhielt. Erst bei der Folketingswahl am 15. September wurde dieser Trend gebrochen – aber trotz eines Verlustes von 3% erhielt die Dänische Volkspartei immerhin noch 12,3% der Stimmen und 22 Mandate im Parlament. Wer den Werdegang von Dansk Folkeparti verstehen will, muss aber weiter zurück gehen in die politische Geschichte unseres nördlichen Nachbarlandes: In den 1970er Jahren gab es dort eine Welle von Steuerrevolten, die zur Gründung der dänischen Fortschrittspartei führten, die 1973 einen sogenannten „Erdrutsch-Wahlsieg“ erzielte. Aus dieser Fortschrittspartei von Mogens Glistrup entstand später die Dänische Volkspartei. Sie repräsentiert mit anderen Worten einen Bestandteil des dänischen politischen Systems, der von vielen nicht wirklich in Frage gestellt wird. Dennoch ist Dansk Folkeparti eine rechtspopulistische Partei, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass unter dem Deckmantel der Meinungs- und Pressefreiheit in Dänemark ein zunehmend einwanderungsfeindliches Klima entstand.

Obwohl die Gewalttätigkeit eines Anders Breivik und der politische Einfluss der Dänischen Volkspartei erst einmal nichts miteinander zu tun haben, finden beide ihren Ursprung darin, dass es auch in den „offenen Gesellschaften“ der skandinavischen Länder rechtspopulistische Kräfte gibt, die nicht isoliert betrachtet werden können. Anders herum gilt aber auch, dass wir nicht weiter kommen, wenn nur aus der Vogelperspektive heraus analysiert wird. Der SSW teilt die Auffassung, die im vorliegenden SPD-Antrag zum Ausdruck kommt: Auch wir nehmen mit Besorgnis zur Kenntnis, dass rechtspopulistische Strömungen in Europa auf dem Vormarsch sind. Sie sind eine Bedrohung unserer demokratischen Werte und sie gefährden den gesellschaftlichen Frieden in unseren Ländern. Um die Ursachen zu verstehen, müssen wir aber einen Schritt weiter gehen: Wir brauchen die Froschperspektive.

Aus wissenschaftlichen Studien wissen wir: Populistische Parteien und Bewegungen entstehen im Fahrwasser von Modernisierungsprozessen. Da, wo Entwicklungen und Umwälzungen so schnell passieren, dass Menschen mit ihren Werten nicht mehr hinterher kommen, entstehen Zukunftsängste. Die Politik schafft es nicht immer, zeitnah und nachhaltig auf diese Ängste der Bürgerinnen und Bürger zu reagieren. Manchmal kann sie es einfach nicht, manchmal will sie es nicht. Der Populismus greift diese Ängste allerdings auf und präsentiert einfache Schwarz-Weiß-Lösungen. Komplexe soziale und ökonomische Herausforderungen werden nicht gelöst, sondern es werden ganz populistisch die Schuldigen und Verantwortlichen benannt, an denen man sich abarbeiten kann. Gängige Klischees werden dabei ebenso bedient wie Stammtischparolen.

Der Rechtspopulismus richtet sich vor allem gegen gesellschaftliche und soziale Minderheiten. Bei diesen Anschuldigungen gibt es von Seiten der Rechtspopulisten keine Tabus mehr. Frei nach dem Motto „Alles muss raus“ werden Probleme personalisiert und die Schuldigen anschließend diskriminiert. Norwegen, Dänemark, Ungarn, Rumänien, Frankreich - die Aufzählung könnte beliebig fortgeführt werden - machen vor, was es heißt, wenn Diskriminierung nicht mehr per se geächtet wird, sondern es „so ´ne und so ´ne“ Diskriminierung gibt. Mit anderen Worten: rechtspopulistische Diskriminierungen sind in manchen europäischen Ländern längst salonfähig geworden, obwohl sie menschenfeindlich sind und zu gewaltsamen Konsequenzen führen. Anders Breivik war ein Einzeltäter, aber der Kontext seiner Tat ist in allen europäischen Ländern vorhanden: Verbale Ausfälle, Vergiftung des politischen Klimas, das Schüren von Ängsten; Vorurteile und Hass gegen bestimmte Minderheiten; Erbitterung über die Politik anderer Parteien; nicht mehr nur EU-Skepsis, sondern sogar EU-Feindlichkeit - das ist die Systematik, die in allen europäischen Ländern vorhanden ist.

Zur Froschperspektive gehört, dass die Geschichte der einzelnen Länder mit-gedacht werden muss. Dänemark hat mit Dansk Folkeparti zum Beispiel eine Partei, die es wie keine andere geschafft hat, Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit stubenrein zu machen. Es gab in unserem Nachbarland lange keine nachhaltige gesellschaftliche Debatte, keine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der rechtsgerichteten Politik im Land oder dem fremdenfeindlichen Bild Dänemarks in der Welt. Auch die Geschichte Ungarns muss man kennen, um den Vormarsch der Rechtspopulisten im Land zu verstehen. Ungarn ist erst seit 1989 eine demokratische und parlamentarische Republik. Demokratische Werte wie zum Beispiel das Recht auf Gleichwertigkeit sind noch nicht so tief in der Gesellschaft verwurzelt und dementsprechend auch krisenanfälliger. Wirtschaftsrückgang, Arbeitslosigkeit und verbreitete Korruption führen in Ungarn dazu, dass die Menschen für rechtspopulistische Tendenzen empfänglich sind und ihre Wut an den Schwachen in der Gesellschaft auslassen.

In Deutschland hat der Rechtspopulismus zwar noch keine tragenden Strukturen entwickeln können. Dennoch möchte ich an die öffentliche Diskussion um das Buch von Thilo Sarrazin erinnern. Es gibt also genügend Gründe, vor unserer eigenen Haustür zu kehren und konsequent gegen Rechtspopulismus vorzugehen, damit auch zukünftig ganz klar ist, dass in Deutschland kein Platz für rechtspopulistische Menschenfeindlichkeit ist.

Die Ausrichtung der Finanz-, Bildungs- und Förderpolitik auf die Erhaltung und Verbesserung der Lebensgrundlagen aller Bevölkerungsgruppen ist vor diesem Hintergrund eine wichtige Perspektive. Wir wissen aber auch, dass die Fürsprecher von rechtspopulistischen Parolen sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Das Unbehagen am politischen Ist-Zustand ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite führt zu einer Aushöhlung der politischen Demokratie, weil der politische Diskurs banalisiert wird. Der Weg zur rechtpopulistischen Politik ist dann nur noch kurz. Um gegen Rechtspopulismus anzugehen, muss also die demokratische Politik bereit sein zur Selbstkontrolle. Wir alle müssen uns ein Stück weit fragen, ob wir eigentlich noch nah genug an den Bürgerinnen und Bürgern dran sind und für sie arbeiten, oder ob wir nur noch am eigenen Macherhalt interessiert sind. Sonst tragen wir nämlich weiterhin zu unserer eigenen Unglaubwürdigkeit bei. Wir achten nicht mehr auf die Inhalte, sondern die Verpackung - die übergeordnete Themenwahl, die Rhetorik und die äußerliche Erscheinung stehen an erster Stelle.

Darüber hinaus muss es darum gehen, Teilhabe an dieser Gesellschaft im Kleinen sicherzustellen. Kultur und Sport, aktives bürgerschaftliches Engagement auf kommunaler Ebene, aufgeklärte Journalisten mit Medienkompetenz, die die Opfer zu Wort kommen lassen, das sind alles Teile einer möglichen Strategie. - Und wir müssen als Politikerinnen und Politiker gerade für die Minderheiten, die Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung ausgesetzt sind, Strukturen schaffen, um gesellschaftliche Akzeptanz und Gleichwertigkeit zu unterstützen.

Wenn als Ergebnis dieser Landtagsdebatte mehr heraus kommen soll als eine Grundsatzdebatte, dann ist es mit anderen Worten notwendig abzuschichten, wo wir als Landtag gestaltend tätig werden können. Der Antrag stellt bildlich gesprochen einen Spagat dar - auf der einen Seite die europäische Ebene, auf der anderen die regionale und lokale Ebene - der nicht einfach zu bewältigen ist, wenn es das Ziel sein soll, auch Strategien zu entwickeln. Dabei steht fest, dass es kein Handbuch gegen Rechtspopulismus gibt.

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