Speech · 19.06.2025 Gender-Health Gap endlich ernst nehmen!
„Ein Lehrstuhl für geschlechtersensible Medizin kann dazu beitragen, dass diese Probleme in der Medizinerausbildung nicht weiter reproduziert werden. Zumal Studien festgestellt haben, dass Frauen, die von Ärztinnen behandelt werden, eine höhere Überlebenschance bei bestimmten Erkrankungen haben. Das darf so nicht sein!“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 18 - Geschlechtersensible Medizin in Schleswig-Holstein stärken (Drs. 20/3293)
Dass wir im Jahr 2025 noch immer darüber klagen müssen, dass Frauen eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten als Männer, ist, um es mit direkten Worten auszudrücken, beschämend für unser Land. So klafft die Lücke des Gender Health Gaps weiter vor sich hin und nimmt zahlreichen Frauen die Lebensqualität – wenn nicht gar das Leben.
Dabei ist diese schlechtere medizinische Versorgung keine gefühlte Wahrheit, sondern etwas, was sich durch Studien und Erhebungen beweisen lässt.
Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Autorinnen haben die Probleme bereits thematisiert, doch Veränderungen sind kaum spürbar. Denn wir leben scheinbar noch immer in einer Welt von Männern für Männer. Als wären wir der archaischen Definition des Menschen niemals entwachsen, halten wir uns auch heutzutage noch am Mann als Prototyp Mensch fest. Und das zum Leidwesen der Frauen.
Nun kann man denken: Aber Männer sterben doch früher als Frauen. Und das stimmt. Aber das liegt nicht an einer schlechten medizinischen Versorgung, sondern vor allem an den Männern, die den Besuch beim Arzt auf die lange Bank schieben und seltener medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
Dadurch leben Frauen zwar länger, jedoch in schlechter Gesundheit. Das heißt, durchschnittlich verbringt das weibliche Geschlecht knapp 20 Jahre in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit – bei Männern sind es immerhin fünf Jahre weniger.
Es ist nachgewiesen, dass vor allem frauenspezifische Erkrankungen wie etwa die Endometriose, aber auch manche Autoimmunerkrankungen, die deutlich häufiger Frauen betreffen, weniger erforscht werden als die typischen Männerkrankheiten.
Im Schnitt vergehen für eine Frau 7,5 Jahre, bis sie die Diagnose Endometriose erhält. Jahre bei schlechter Gesundheit, mit massiven Schmerzen und deutlich verminderter Leistungsfähigkeit.
Wenn Frauen mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und dadurch Risiken übersehen werden, ist das nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem.
Auch bei der Nachsorge vieler Erkrankungen kommen Frauen zu kurz. Nur selten fahren Frauen zur Reha, entweder weil es ihnen nicht angeboten wird oder weil sie das Gefühl haben, zu Hause nicht ausfallen zu können. Männer scheinen sich hierum deutlich weniger Sorgen zu machen.
Das ist das Ergebnis einer männerzentrierten Medizin, wo lange Zeit von männlichen Ärzten für neue männliche Ärzte gelehrt wurde.
Und in der die medizinische Forschung den Mann zum Prototypen erklärt hat. Das alles ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.
Umso wichtiger ist es, bei der Lehre anzusetzen. Ein Lehrstuhl für geschlechtersensible Medizin kann dazu beitragen, dass diese Probleme in der Medizinerausbildung nicht weiter reproduziert werden. Zumal Studien festgestellt haben, dass Frauen, die von Ärztinnen behandelt werden, eine höhere Überlebenschance bei bestimmten Erkrankungen haben. Das darf so nicht sein!
Der Alternativantrag der Koalition schlägt hier leider genau in die falsche Kerbe, indem er das Problem zwar nicht verleugnet, aber abschwächt. Sagt man, Alte, Migranten und weitere Gruppen werden ja auch nicht ideal behandelt, dann relativiert man damit den Gender-Health Gap. Das passiert schon viel zu lange.
Eine Gruppe von Patientinnen liegt mir aber besonders am Herzen: das sind Frauen mit einer Behinderung, denen teilweise wegen unzureichender Barrierefreiheit in Arztpraxen nur eine unzureichende medizinische, vor allem gynäkologische Versorgung zur Verfügung steht.
Auch das dürfen wir nicht hinnehmen. Alle Menschen müssen einen gleichberechtigten Zugang zu guter medizinischer Versorgung haben. Wir unterstützen daher den Antrag der SPD in allen Punkten. Wir können es uns bei diesem wichtigen Thema nicht weiter leisten wegzuschauen.