Tale · 24.08.2011 Gesetzentwürfe der Fraktion SPD und der Landesregierung zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften

Der SSW hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir mit der indirekten Legitimation der Amtsausschüsse, dem ausufernden System der Aufgabenübertragungen und den unübersichtlichen Zweckverbandslösungen unsere Probleme hatten. Als wir die Antwort auf unsere Große Anfrage zu den Aufgaben der Ämter und Gemeinden Ende 2008 bekamen, wurde klar, dass das vom Bundesverfassungsgericht bereits 1979 festgestellte kritische Maß der Aufgabenübertragung noch weiter überschritten wurde. Die Ämter waren schon lange nicht mehr nur die Schreibstuben der Gemeinden, sondern agierten de facto als Gemeindeverbände. Der Erfolg vor dem Landesverfassungsgericht gegen diese verfassungswidrige Handhabung der Amtsordnung war daher ein Erfolg für die kommunale Demokratie. Ein Erfolg für den Einfluss des Einzelnen auf sein Leben, weil die Entscheidungsträger in den Gemeinden vom Volk legitimiert sind.

Das Urteil des Landesverfassungsgerichts hat mehrere Optionen eröffnet, wie wir zurück zu einer verfassungskonformen Zusammenarbeit auf der kommunalen Ebene kommen können.
Der Aufgabenkatalog für die Zusammenarbeit der Gemeinden ist nur eine Möglichkeit. Die Wahl der Amtsebene oder eine Gebietsreform sind weitere Möglichkeiten.

Aus Sicht des SSW hat die Landesregierung mit der Wahl des Aufgabenkatalogs eine Kleinklein-Lösung gewählt, die zwar den Anforderungen des Landesverfassungsgerichts formal entspricht, die politisch und praktisch gesehen aber weder konstruktiv noch zukunftsfähig ist. Selbstverwaltungsaufgaben dürfen grundsätzlich nicht an die Ämter übergeben werden. Aber maximal fünf Aufgaben aus dem Katalog, der diese genau festlegt, dürfen doch übergeben werden und eine Aufgabenübertragung an Zweckverbände ist auch möglich; die Verwaltung kann dann wieder beim Amt liegen. Dies ist nicht in die Zukunft gerichtete Kommunalpolitik, sondern ein Herumdoktern an den Symptomen, denn wer weiß schon heute, was in drei Jahren als grundlegende Selbstverwaltungsaufgabe einzuordnen ist.

Statt das Urteil des Landesverfassungsgerichts zu nutzen, um die kommunale Struktur Schleswig-Holsteins endlich funktionsfähig und fit für die Zukunft zu machen, stellt die Landesregierung alles zurück auf Anfang. Fakt ist aber gerade, dass die Gemeinden ihre Aufgaben nicht allein bewältigen können und diese deshalb die Aufgaben nach und nach an die Ämter abgeschoben haben. Und genau zu diesem Problem sollte sich die Landesregierung verhalten.

Die möglichen Aufgaben der Übertragung wie zum Beispiel „Förderung des Tourismus“ oder „Gesundheitspflege“ sind gute Beispiele dafür, dass es sinnvoll und notwendig für die Gemeinden ist, zusammenzuarbeiten. Zudem sind die Gemeinden in den letzten Jahren - nicht nur vom Landesrechnungshof - immer wieder aufgefordert worden, effizientere Strukturen aufzubauen, Bürokratie zu minimieren und gemeinsam Aufgaben anzugehen. Dies spricht eindeutig dafür, dass die Gemeinden zu klein sind, um zu überleben, sowohl personell als auch finanziell, und dass hier das eigentliche Problem liegt. Darüber hinaus ist die zukünftige Funktion der Ämter völlig unklar. Weder sind sie die Schreibstuben der Gemeinden noch sind sie die Ausführenden der kommunalen Aufgaben. Viel mehr werden die Ämter zu Zwittern degradiert, die ein bisschen hiervon und ein bisschen davon, aber nicht zu viel und nicht zu wenig machen dürfen. Keiner weiß, wie die Unterstützung der Gemeinden durch die Ämter zukünftig aussehen soll. Mit der Möglichkeit, Zweckverbände zu bilden, wird außerdem eine parallel-bürokratische Struktur aufgebaut, da jeder Verband seine eigene Satzung, eine Verbandsversammlung und einen Vorsteher braucht. Wir verlieren uns hier also in Problemen der täglichen Praxis und des Miteinanders, weil keiner mehr weiß, was jetzt wie und überhaupt gemacht werden darf, weil die Bürokratie einfach Überhand nimmt. Auch nimmt der Entwurf keine Rücksicht auf die in einigen Ämtern bereits laufende Diskussion zum Zusammenschluss zu einer Gemeinde. Hier wäre es gut, den Gemeinden Rüstzeug mitzugeben.

Weitere Probleme wie die Anpassungsbedürftigkeit solcher Aufgabenkataloge werden zwar im SPD-Gesetzentwurf mit einer Überprüfung geregelt, der große Wurf ist aber auch dieser Entwurf nicht. Auch ist unklar, wie trennscharf die Grenze zwischen primär technischen Aufgaben und Aufgaben gezogen werden kann, die einen herausragenden gestalterischen Spielraum haben. Anpassung und Trennschärfe hin oder her – klar ist, dass es so keine Verbesserung für die Einwohnerinnen und Einwohner vor Ort gibt.

Mit einer Struktur- und Gebietsreform sähe dies anders aus. Aus Sicht des SSW bietet das Urteil des Verfassungsgerichts eine Steilvorlage, um endlich eine Reform der kommunalen Verwaltung und Strukturen durchzuführen. Der SSW geht davon aus, dass Gemeinden mit einer Bevölkerung von mindestens 8.000 Einwohnern ihre Bürgerinnen und Bürger kompetent und eigenverantwortlich beraten und bedienen können. Deshalb fordern wir, dass die heutigen Ämter zu leistungsfähigen Gemeinden umgewandelt werden. Durch so eine Kommunalreform werden die Gemeindevertretungen wieder in den Mittelpunkt gerückt; sie wären in der Lage, ihre Aufgaben eigenständig zu erledigen. Dies wäre ein Schritt in die Zukunft, um voran zu kommen. Denn eines ist heute schon sicher: mit dem Aufgabenkatalog wird uns diese Problematik spätestens in der nächsten Legislaturperiode wieder vor die Füße fallen!

Die Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen: „die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und das kommunale Verfassungsrecht von einengenden Vorgaben zu befreien, den Kommunen mehr Handlungsspielräume zu verschaffen und die kommunale Eigenverantwortung zu stärken.“ Dies sieht dann in der Praxis so aus, dass die Gemeinden eigenständig entscheiden können, wie und wann sie ihre Einwohnerinnen und Einwohner über bedeutsame Angelegenheiten informieren und Einwohnerversammlungen oder Fragestunden durchführen, wobei der Hinweis auf die Rechte durch das Informationsfreiheitsgesetz entfällt. Diese Änderungen in der Gemeindeordnung haben somit einen schalen Beigeschmack: Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was auf den verschiedenen Verwaltungsebenen geleistet wird – und wie sie diese kontrollieren können. Statt ihnen mit dem Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz ein Werkzeug in die Hand zu geben, wie sie an Informationen gelangen können, sollen die kommunalen Verwaltungen entlastet werden. Das ist eine falsche Prioritätensetzung.

Der SSW bedauert sehr, dass die Landesregierung das Urteil des Verfassungsgerichtes nicht nutzt, um endlich inne zu halten und zu überlegen, wohin die kommunale Struktur des Landes gehen soll. Der Wirrwarr, den sie hier schaffen, kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Die Halbherzigkeit des SPD-Entwurfs macht es leider nicht besser. Wir brauchen mit anderen Worten eine umfassende und langfristige Strategie, wie die kommunale Struktur insgesamt aussehen soll und kein bürokratisches Kleinklein. Wir brauchen eine Gebiets- und Strukturreform - nur so kann handlungsfähige, gestaltungsstarke und bürgernahe kommunale Demokratie funktionieren. Der Landtag hat für die Zukunftsfähigkeit der Gemeinden und der kommunalen Strukturen das Heft in der Hand, er sollte es auch nutzen.

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