Tale · 16.12.2022 Wir brauchen ein lebensnahes Staatsangehörigkeitsrecht

„Die derzeitigen Pläne im Bund ändern nicht viel, außer, dass die, die ohnehin schon integriert sind, auch auf dem Papier früher Deutsche werden können. Was ist das, wenn nicht Bürokratieabbau at its best.“

Lars Harms zu TOP 28 - Für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht (Drs. 20/498)

Aus Sicht des SSW ist der Antrag der SPD zum Staatsangehörigkeitsrecht hier im Landtag vor allem eins: eine Bekenntnisfrage. Und daher möchte ich dazu inhaltlich vorab eines sagen: 
Ja, ja und nochmal ja! Eine Reform ist überfällig. 
Es ist an der Zeit, dass wir in Deutschland neue Einbürgerungsregeln bekommen, die der Lebenswirklichkeit der Leute gerechter wird. Denn die Realität ist, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist. 

Wir alle kennen vermutlich folgende Zahlen: etwa 10,7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben in Deutschland. Mehr als die Hälfte von ihnen sind seit mindestens zehn Jahren hier. Gleichzeitig ist der prozentuale Anteil von Einbürgerungen schon seit langer Zeit auf einem niedrigen Niveau. 2021 wurden nur 2,45 Prozent der seit mindestens zehn Jahren hier lebenden Bevölkerungsgruppe eingebürgert. Eine unnötig niedrige Zahl. In der EU wurden durchschnittlich zwei Prozent der im jeweiligen Land lebenden Bevölkerung eingebürgert, während es im Vergleichszeitraum in Deutschland nur 1,3 Prozent waren.  

Die Aufregung, die da vor allem aus den Reihen der CDU gekommen ist, habe ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen können. „Lob von Experten, Kritik von der Union“, fand ich eine ganz treffende Überschrift in einem Kommentar dazu. Besonders Alexander Dobrindt hat es ja mit seiner Infragestellung der Wertigkeit der deutschen Staatsbürgerschaft mit seinen unsäglichen Kommentaren auf die Spitze getrieben. Einige seiner Parteikollegen sprangen ihm mit Erklärungsansätzen beiseite; Dobrindt habe nur gemeint, dass Staatsangehörigkeit weiter an klare Regeln geknüpft sein soll. Und damit könnten sich eigentlich alle wieder beruhigen. Denn was wird sich denn konkret ändern? Wenn wir über den Bundeskoalitionsvertrag und den bekannt gewordenen Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium sprechen, soll sich folgendes ändern: Verkürzung von Fristen, Anreizsetzung durch Anerkennung von Leistung und Realitätsbezug auf die Lebenssituation angeworbener Einwanderer. 

Also: Die Fristen, wie lange man in Deutschland leben muss, um eingebürgert zu werden, werden etwas verringert, fortan wohl 5 statt 8 Jahre. Menschen, die besondere Anstrengungen vorweisen können, also etwa durch schulische oder berufliche Leistungen, ehrenamtliches Engagement oder besonders gute Sprachkenntnisse, sollen die Möglichkeit bekommen, die Frist auf drei Jahre zu verkürzen. Was ist das, wenn nicht eine Anerkennung von bereits Geleistetem. 

Der Grundsatz zur Vermeidung von Mehrfachstaatsbürgerschaft soll aufgegeben werden. Ein lebensnaher Ansatz, der Einbürgerungsverfahren vereinfacht und beschleunigt. Viele, so ist es immer wieder zu hören, haben die deutsche Staatsangehörigkeit nicht, weil das komplizierte Verfahren sehr lange dauert, oder die Antragssteller ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssten, wenn sie die deutsche annehmen. Ich zeige da immer gerne ins Grenzland. Wir in Schleswig-Holstein wissen eigentlich schon sehr lange, dass man keine Angst vor Mehrfachstaatsangehörigkeit oder nationalen Identitäten haben muss. 
Meine Damen und Herren, die derzeitigen Pläne im Bund ändern nicht viel, außer, dass die, die ohnehin schon integriert sind, auch auf dem Papier früher Deutsche werden können. 
Was ist das, wenn nicht Bürokratieabbau at its best. 

Und für Menschen über 67 soll es einige Erleichterungen beim Sprachnachweis und bei der Einbürgerung geben. Warum diese Altersgrenze? Betroffen sind die ehemaligen sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Unsere Nachbarinnen und Nachbarn und Mitbürger, die seit Jahrzehnten mit uns zusammen leben. Mehr als zwei Drittel der über 67-Jährigen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind seit über 25 Jahren in Deutschland, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 31 Jahren. Gleichzeitig haben sie, weil damals ursprünglich nur ein vorrübergehender Aufenthalt zu Arbeitszwecken angedacht war, keine vernünftigen Sprachförderangebote erhalten. Wenn hier nun also künftig ein Sprachtest ausreicht, der nachweist, dass diese Menschen sich im Alltagsleben in deutscher Sprache verständigen können, dann reicht das aus. 
Die Bundesrepublik Deutschland hat von ihren verschiedenen Anwerbeabkommen mit anderen Staaten massiv profitiert. Angeworbene Arbeitskräfte haben den Arbeitskräftemangel in der Nachkriegszeit aufgefangen und im hohen Maß zum „Wirtschaftswunder“ beigetragen. Ohne sie wäre dieses Land nicht da, wo es heute steht. Was ist das also, wenn nicht die Anerkennung von Lebensleistung.

Mittlerweile lebt die dritte Generation der sogenannten "Gastarbeiter" in Deutschland. „Gastarbeiter“ wurden zu Kollegen, zu Nachbarn, zu Freunden und zu Familie. Eine Reform der Einbürgerungsverfahren macht Sinn, das Staatsangehörigkeitsrecht muss angepasst werden und es wird Zeit, dass auch die CDU der Realität ins Auge blickt.

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