Rede · 27.05.2005 Branchenspezifische Mindestlöhne

Betrachtet man die Forderung nach Mindestlöhnen und nach der Ausweitung des Entsendegesetzes, so prallen in Deutschland immer noch Welten aufeinander. Während man in vielen europäischen Nachbarländern schon Mindestlöhne hat, die von einem breiten politischen Konsens getragen werden, und während der liberale dänische Wirtschaftsminister für Deutschland die Einführung von Mindestlöhnen wie in Dänemark fordert, prophezeit manch einer noch immer das Ende des Abendlandes, wenn die Menschen in unserem Land flächendeckend einen auskömmlichen Lohn erhalten sollen.

Meistens wird, wie auch heute teilweise, angeführt, dass die deutsche Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig sei, wenn man den Lohn nicht noch weiter senken könne. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit verlange nach Lohnanpassungen, wie man sich vornehm ausdrückt. Doch wie steht es wirklich um unsere internationale Konkurrenzfähigkeit?

Es lässt sich feststellen, dass unsere Lohnkosten pro Stunde wirklich zu den höchsten in Europa zählen. Dies gilt aber auch für die wirtschaftlich erfolgreichen Länder Dänemark, Schweiz oder Norwegen. Trotz dieser hohen Lohnkosten sind wir immer noch Exportweltmeister. Und selbst, wenn Deutschland irgendwann einmal nur noch den zweiten, dritten oder vierten Platz hierbei belegen sollte, wären wir immer noch besser als viele anderen Staaten mit denen wir uns normalerweise vergleichen. Das heißt, dass unsere Produktivität höher ist als andernorts. Das was die arbeitenden Menschen hier erschaffen, ist vom Ergebnis her immer noch besser als das was man mit billigen Arbeitnehmern in anderen Ländern erwirtschaften kann. Unser Schlüssel zum Erfolg ist somit Ausbildung und Weiterbildung und nicht die Senkung des Lohnes.

Dies wird auch dadurch deutlich, dass andere Länder in Osteuropa – aber auch Spanien oder Griechenland – trotz niedrigster Löhne immer noch schlechter dastehen als die Bundesrepublik. Und selbst in unserem eigenen Land haben wir ein Beispiel dafür, dass niedrige Löhne nicht automatisch zu wirtschaftlichem Aufschwung führen. In Ost-Deutschland sind die Löhne wesentlich niedriger als im Westen und trotz hoher Subventionen will sich dort so schnell kein wirtschaftlicher Aufschwung einstellen. Im Gegenteil, der Westteil der Republik mit seinen höheren Löhnen ist immer noch der wirtschaftliche Motor des ganzen Landes. Wir können also feststellen, dass wir durchaus mit dem Ausland und mit Niedriglohnregionen wettbewerbsfähig sind und unsere Stärke darin liegt, unseren Menschen ein Maximum an Bildung in der Breite zu ermöglichen, damit wir den Produktivitätsvorsprung, den wir noch haben, auch erhalten können.

Unser Problem ist also nicht die angeblich mangelnde Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ausland, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Binnennachfrage in den letzten Jahren massiv zurückgegangen ist. Das ist das Problem, dass der Mittelstand in Deutschland und in Schleswig-Holstein hat. Wo nichts gekauft und konsumiert wird, kann es keine wirtschaftliche Entwicklung für den Mittelstand geben. Sozialabbau, Unsicherheit und jahrelange Lohnzurückhaltung haben dazu geführt, dass mehr gespart wird und weniger konsumiert wird. Was für ein einzelnes Unternehmen Sinn machen kann, nämlich Lohnzurückhaltung, ist für eine Volkswirtschaft nicht immer erstrebenswert. In dem Moment, wo breiten Bevölkerungsschichten die Kaufkraft entzogen wird, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Binnennachfrage zurückgeht.

Für Schleswig-Holstein ist dies umso schlimmer, weil gerade wir ein Land sind, das in besonderem Maße von der Binnennachfrage abhängig ist. Unsere Exportwirtschaft ist kleiner im Vergleich zu anderen Bundesländern und der Anteil der Wirtschaftszweige, die von der Binnennachfrage leben, ist verhältnismäßig hoch bei uns. Die Politik darf also eben nicht nur betriebswirtschaftlich denken, sondern sollte auch die volkswirtschaftliche Sicht im Auge haben. Und vor diesem Hintergrund kann die Landesregierung auf Bundesebene eigentlich nur der Einführung von Mindestlöhnen und der Erweiterung des Entsendegesetzes zustimmen. Für uns liegt es im ureigensten Landesinteresse diese Initiative auf Bundesebene zu unterstützen.

Bei der Initiative für einen Mindestlohn und für die Erweiterung des Entsendegesetzes geht es ja gerade nicht nur darum, eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern aus dem In- und Ausland herzustellen, was alleine schon aus Gerechtigkeitserwägungen und aus sozialer Verantwortung ein wichtiger Grund an sich gewesen wäre. Es geht zusätzlich darum, dass die Binnenkonjunktur hierdurch gestärkt werden soll. Das alles darf aber nicht von oben her diktiert werden, sondern es muss zum System der sozialen Marktwirtschaft passen. Deshalb ist es wichtig, dass die Position der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände in diesem Zusammenhang gestärkt wird. Das was diese beiden Partner konkret aushandeln, soll maßgeblich sein. Ein Mindestlohn kann sich somit von Branche zu Branche und von Region zu Region unterscheiden und darf nicht einheitlich festgelegt werden. Damit wird Rücksicht auf die Wirtschaftskraft der jeweiligen Branche genommen und gleichzeitig trotzdem fairer Wettbewerb wieder ermöglicht. Deshalb ist die Lösung, wie sie jetzt auf Bundesebene angedacht ist, eine gute Lösung, die sowohl den Menschen als auch der Wirtschaft zugute kommen wird und insbesondere schleswig-holsteinischen Interessen dient. Wir werden daher dem Antrag zustimmen

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