Rede · 24.02.2023 Wir brauchen grenzüberschreitende Verkehrskonzepte

„Insgesamt müssen wir bei allen Planungen und Wunschvorstellungen stets alle Verkehrswege und Verkehrsmittel zusammendenken und miteinander vernetzt ausbauen. Dies gilt insbesondere auch für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr in unserer Grenzregion. Wir wollen im Wind stehen und nicht im geografischen Windschatten.“

Sybilla Nitsch zu TOP 7+19+28 - Mobilitätsgarantie für Schleswig-Holstein; Für einen qualitativ hochwertigen und gut ausgebauten Nahverkehr mit effizienten und transparenten Strukturen; Ein Bildungsticket für Schleswig-Holstein; Für grenzüberschreitenden Schienenverkehr mit Halt in Schleswig-Holstein (Drs. 20/572; 20/294; 20/563; 20/689; 20/709(neu); 20/750

Mobilität bleibt vollkommen zurecht ein Dauerbrennerthema. Schon lange fordern wir hier alle regelmäßig, dass gerade in Sachen Mobilität nicht gekleckert, sondern endlich geklotzt werden muss. Schleswig-Holstein ist ein Flächenbundesland und ein Pendlerland. Der ÖPNV ist noch immer –beschönigend ausgedrückt – ausbaufähig. Mobilitätswende, Energie- und Kraftstoffpreise, Fachpersonal, Taktverdichtungen, Elektrifizierung, der Anschluss einer jeden sprichwörtlichen Milchkanne auf dem Dorf – wir müssen hier richtig viel Geld in die Hand nehmen. Von daher klingt so ein Stichwort wie eine „Mobilitätsgarantie“ auf den ersten Blick natürlich großartig. Gleichzeitig müssen wir aber auch stets die Zeitschiene ebenso wie unsere finanziellen, personellen und baulichen Möglichkeiten im Hinterkopf behalten. 

Verstehen Sie mich nicht falsch – all die genannten und vorgestellten Ziele klingen großartig und darauf wollen wir ja auch alle hinarbeiten. Ein großflächig ausgebauter, umweltschonender, sozial gerechter und zuverlässig bedienbarer ÖPNV, ergänzt durch strategisch günstig ausgebaute Radschnellwege sowie On-Demand-Verkehre, ist unser aller Ziel. Um eine Mobilitätsgarantie verlässlich aufbauen zu können, müsste das Streckennetz ja nicht nur massiv ausgebaut, sondern in erster Linie ja erst einmal modernisiert bzw. teilweise gegebenenfalls reaktiviert werden. 
Und dann ist da noch der Landesnahverkehrsplan. Wie werden die Prioritäten angepasst? Wie sieht die Finanzierung aus? Müssen wir uns gegebenenfalls von Projekten verabschieden? Die Antworten fehlen.
Außerdem haben wir schon jetzt mit einem besorgniserregenden Fachpersonalmangel in der Branche zu kämpfen. Ob Lokomotivführer, Busfahrer, Zugbegleiter, Gleisbauer oder, oder, oder – überall herrscht Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Und auch wenn wir sehen, dass Betriebe wie auch das Land hier große Anwerbekampagnen auffahren, so müssen wir doch leider auch erkennen, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einmal der Status Quo verlässlich bedienbar ist. Wie gesagt, natürlich müssen wir auch den Ausbau weitervorantreiben, keine Frage. Aber eine flächendeckende Mobilitätsgarantie, die diese Bezeichnung in der Praxis verdient, bleibt auf absehbare Zeit leider eine Utopie. Entschuldigen Sie, aber der vorliegende Antrag kommt an der ganz falschen Stelle und wirkt schleswig-holstein-fremd. 
Die Akteure im Land und vor allem die Nutzer des ÖPNV erwarten Folgendes: Investitionen in Ausbau und Modernisierung von Strecken, Anwerbung von Personal, gute Arbeitsbedingungen und eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Und die Ära der Modellprojekte sollte im Jahre 2023 auch der Vergangenheit angehören.

Eine weitere Wahrheit, die zu diesem Themenkomplex gehört, ist: Der Individualverkehr, sprich das Auto, wird auch langfristig noch ein wichtiges Verkehrsmittel in unserem Flächenland bleiben. Wir müssen uns ja nichts vormachen: Solange es bequemer und kostengünstiger ist, mit dem Auto von A nach B zu kommen, werden die allerwenigsten auf den ÖPNV umsteigen. Und selbst mit einem perfekt engmaschig ausgebauten ÖPNV gibt es einfach Erledigungsfahrten, für die viele lieber auf das eigene Auto zurückgreifen; man denke nur an das beliebte Beispiel des Wochengroßeinkaufs einer Durchschnittsfamilie. Das Auto gehört daher nicht grundsätzlich verteufelt. Wir müssen auch für die vielen Autofahrer in unserem Land eine gute Infrastruktur vorhalten, aber die Entwicklung sollte natürlich Richtung umweltschonender Antriebsarten und entsprechender Tank- bzw. Ladesäuleninfrastruktur gehen. 

Insgesamt müssen wir bei allen Planungen und Wunschvorstellungen daher stets alle Verkehrswege und Verkehrsmittel zusammendenken und miteinander vernetzt ausbauen. 
Apropos: Profitieren wollen wir hier in Schleswig-Holstein natürlich auch vom vernetzten, grenzüberschreitenden Bahnverkehr, wie im vorliegenden Antrag beschrieben und gefordert. Ehrlicherweise muss man hier ja feststellen, dass wir uns für verschiedene Bahnlinien vorbereiten sollten, die unsere Grenzregion auf der Jütlandroute durchqueren werden und es womöglich sinnvoller wäre, für diese verschiedenen Linien verschiedene Bahnhöfe in Schleswig-Holstein als Zwischenhalte vorzuschlagen – je nach Routenverlauf. Aber in den anstehenden Gesprächen und Verhandlungen mit der EU-Ebene und den Betreibern wird es ja nun erst einmal darum gehen, überhaupt Zwischenhalte hier in Schleswig-Holstein durchzusetzen. Dies muss das Ziel sein – und als SSW werden wir Sie ja kaum damit überraschen können, dass wir an dieser Stelle für zumindest einen Halt in Südschleswig plädieren. Jeder wird einsehen, dass vor allem deutsch-dänische Grenzpendlerinnen und Grenzpendler dieses Angebot freudestrahlend annehmen und nutzen werden. Ein solcher Halt würde ganz konkret unsere Grenzregion stärker zusammenbinden und die grenzüberschreitende Mobilität für viele Menschen zugänglich machen, auch in den ländlichen Räumen. 
Flensburg ist die größte Stadt im Grenzland und gerade hier wäre eine Begünstigung mit einem Halt sinnvoll, da es eine große Anzahl von Menschen aus Nord und Süd an die grenzüberschreitende Schiene bringen würde. 
Wir wollen im Wind stehen und nicht im geografischen Windschatten.
Gleiches gilt im Übrigen auch für den Nachtzugverkehr, bei dem Schleswig-Holstein auch mit mindestens einem Systemhalt berücksichtigt werden sollte. Einen Hoffnungsschimmer gibt es beim Nachtzug von Hamburg nach Stockholm, denn wir konnten den Medien ja entnehmen, dass Herr Callsen als Deutschland-Dänemark-Koordinator eine Zusicherung bekommen hat, dass ein Halt in Schleswig-Holstein angestrebt wird. 

Gespräche können wir vom SSW uns darüber hinaus auch zu einem wie im SPD-Antrag vorgeschlagenen Bildungsticket sehr gut vorstellen. Es ist richtig, dies im Zuge der Einführung des Deutschlandtickets nun rechtzeitig zu diskutieren. Auch wir machen uns seit Jahren für sozial gerechte, vergünstigte Tickets stark, beispielsweise mit unserem alljährlichen Haushaltsantrag, dass Freiwilligendienstleistende den ÖPNV kostenlos nutzen können sollten. In Hinblick auf Schülertickets ist allerdings zu beachten, dass dies aktuell die Kreise alle eigenständig und entsprechend unterschiedlich handhaben. Hier könnte es daher sinnvoll sein, dass man sich mal mit allen Kreisen zusammensetzt und schaut, ob man nicht eine landesweit einheitliche Lösung findet. Und bei einer solchen wären selbstverständlich auch alle dänischen Schülerinnen und Schüler mitzuberücksichtigen! Wir müssten auch schauen, inwiefern bei einem solchen Bildungsticket grenzüberschreitende Tarifzonen miteingebunden wären – mindestens nach Tønder, Åbenrå und Sønderborg müsste ein solches Ticket gelten, um die entsprechenden Bildungsinstitutionen mitbedienen zu können. Zudem dürften natürlich all diejenigen, die aktuell schon von Vergünstigungen profitieren, am Ende nicht schlechter gestellt werden; dies wäre dann für jede Personengruppe gegebenenfalls eine Rechenarbeit, aber das sollte es uns ja wert sein. 

Insgesamt halten wir zu diesem Thema also ein ums andere Mal fest, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis hier ein wirklich vollumfänglich attraktives, nachhaltiges und soziales Gesamtangebot an ÖPNV-Leistungen und Mobilitätswegen zur Verfügung stehen wird, aber das sollte uns ja nur Ansporn sein, diese Aufgabe endlich mit den Mitteln anzugehen, die es braucht, um hier auch endlich mit großen Schritten voranzukommen. 
 

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