Rede · 23.03.2006 Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen

Der Gesetzentwurf der Landesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung gefahrenabwehrechtlicher und verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen – kurz Polizeigesetz – hat bereits hier im Land für viel Unruhe gesorgt. So hat der Innenminister mit dem Gesetzentwurf insbesondere den Landesdatenschützer auf die Barrikaden gerufen, aber auch bei der Gewerkschaft der Polizei fand der Entwurf keine Zustimmung.

So kritisiert die GdP den Gesetzentwurf als kompliziert formuliert, streckenweise ungenau und schwer verständlich - und es fehle Normenklarheit. Unterm Strich bescheinigt die GdP dem Konzept der Landesregierung Unprofessionalität. Darüber hinaus sieht die Gewerkschaft die Gefahr, dass die Polizei durch das restriktive Gesetz in eine Ecke gedrängt wird, in die sie nicht hingehört und auch nicht hin will. Ich denke, wenn bereits die Polizei diesen Entwurf für überzogen hält, dann sollten wir diese Kritik auch entsprechend ernst nehmen. Daher ist es bedauerlich, dass die Polizei, die das Gesetz auf der Straße vertreten muss, bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs nicht ausreichend beteiligt wurde.

Im Zusammenhang mit der Kritik des Landesdatenschützers an dem Gesetzentwurf hat es bereits heftige Auseinandersetzungen und gegenseitige Vorwürfe gegeben. Die Art und Weise, wie hier von Seiten der Landesregierung mit der Kritik des Landesdatenschützers umgegangen wurde, halten wir für polemisch und der Sache überhaupt nicht dienlich. Der Vorwurf der Landesregierung, der Landesdatenschützer sei überzogen kritisch, und er bewerte in der konkreten Abwägung die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte von Störern im Konfliktfall höher als den Schutz der Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen, kann der SSW mit anderen Worten nicht nachvollziehen. Ich kann daher nur hoffen, dass beide Seiten nunmehr wieder zu einem Dialog zurück gefunden haben, um sich mit dem Thema sachlich und fachlich auseinander zu setzen. Schließlich hat sich die Arbeit des Landesdatenschützers in den letzten Jahren nicht nur bewährt, seine Kritik verdient es, ernst genommen und nicht einfach von oben abgekanzelt zu werden.

Begründet wird die Verschärfung des Polizeigesetzes mit der anhaltenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, den neueren Erscheinungsformen schwerwiegender Kriminalität und der Alltagskriminalität. Insgesamt stellt der Gesetzentwurf die bestehenden Bürger- und Freiheitsrechte und damit auch das Parlament auf eine erhebliche Bewährungsprobe. Denn durch die geplanten Änderungen erweitert die Landesregierung die Eingriffsbefugnisse der Polizei ganz erheblich - in Bereichen der Telekommunikationsüberwachung, der automatisierten Kennzeichenabfrage, der Schleierfahndung, sowie der Entfristung des automatisierten Datenabgleichs. Und dies ist nur ein kleiner Teil dessen, was die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf beabsichtigt!

Für den SSW kann ich daher nur mit Bedauern feststellen, dass sich Schleswig-Holstein von seiner bisherigen liberalen Innenpolitik immer weiter entfernt. Mit dem Gesetzentwurf wird also nicht nur eine Anpassung von Vorschriften vorgesehen. Vielmehr ist es eine deutliche Ausweitung polizeilicher Befugnisse, die auch in die Grundrechte unbescholtener Bürger eingreifen.
So stellt der Schleswig-Holsteinische Anwalt- und Notarverband in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf fest, dass „nicht hinterfragt wird, ob bisherige Erfahrungen mit ähnlichen Regelungen überhaupt zu erkennbaren Erfolgen geführt haben“. - Soll heißen, dass wir bereits Gesetze haben, die aber nicht auf ihre Effektivität hinsichtlich der Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung evaluiert wurden.

Bereits im Jahr 2002 dachte die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach laut darüber nach, ob nicht „die konzipierten Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung darauf hin zu befragen sind,
- ob sie überhaupt geeignet sind, den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen,
- ob die damit verbundenen Einbußen an Freiheit in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht
- und ob die beabsichtigten Maßnahmen möglicherweise mit nicht wünschenswerten Nebenfolgen verknüpft sind.“
Auch wenn sich Frau Limbach nicht konkret zum Gesetzentwurf der Landesregierung geäußert hat, haben die Fragen ihre grundsätzliche Bedeutung nicht verloren. Daher müssen wir diese Fragen wesentlich deutlicher in den Vordergrund der Diskussion um Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung stellen als bisher.

Die Erweiterung der Schleierfahndung und der Identitätsfeststellung ist aus Sicht des SSW somit kein geeignetes Mittel, um den Terrorismus zu verhindern. Vielmehr wird dadurch ein Überwachungsapparat in Gang gesetzt, wodurch der Polizei und nun auch den Ordnungsbehörden die Befugnis erteilt wird, Sicht und Anhaltekontrollen im öffentlichen Verkehrsraum und im Grenzgebiet durchzuführen. Auf welcher Lageerkenntnis diese Kontrollen stattfinden sollen, bleibt unbeantwortet. Dies führt zu einer „Jedermann-Kontrolle“ ohne festgelegte Kriterien, wodurch insbesondere unschuldige Bürgerinnen und Bürger belästigt werden.

Mit der präventiven Telekommunikationsüberwachung soll der Polizei weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr die Möglichkeit eingeräumt werden, Telekommunikationsinhalte sowie Verbindungs- und Standortdaten zu überwachen und zu speichern. Und auch hier gilt: Der Einsatz der bestehenden technischen Mittel zur Feststellung der Telekommunikationsüberwachung kann dazu führen, dass zahlreiche unbeteiligte Personen erfasst werden.

Die Ausweitung der Video- und Tonüberwachung im öffentlichen Raum stellt einen weiteren Eingriff in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern dar, ohne dass eine normenklare und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Eingriffsschwelle erkennbar ist. In die gleiche Richtung geht die geplante Kfz-Kennzeichenüberwachung. Durch die Überwachungseinrichtungen geraten zahlreiche Bürger – ohne dass diese einen entsprechenden Anlass geboten haben – ins Visier der Kameras. Somit haben wir es auch hier mit einer Überwachung zu tun, die im Gefahrenvorfeld getätigt wird, ohne dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewahrt bleibt.

Als sei dies nicht alles schon genug, sieht der Gesetzentwurf der Landesregierung weiter vor, dass keine „automatische“ Vernichtung von Erkenntnissen stattfindet, auch dann nicht, wenn trotz eines Tatverdachts das Strafverfahren eingestellt wurde. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! - Das Gericht kann von einer Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht, aber die Aufzeichnungen bleiben weiterhin gespeichert.

Zusammenfassend stelle ich für den SSW fest: Die vorgesehenen Maßnahmen sind eine Ausweitung und Verschärfung der Überwachungsmöglichkeiten, die einen unzulässigen Eingriff in verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Bürger darstellen, ohne dass sie zur Gefahrenabwehr beitragen.

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