Rede · 22.02.2023 Atomkraft ist NICHT die Lösung

„Klimakrise, Energiekrise und Kriege stellen uns vor ganz neue Herausausforderungen in der Energieversorgung.“

Sybilla Nitsch zu TOP 06 - Für eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke (Drs. 20/557)

Die meisten von uns werden diesen Winter weniger geheizt, kürzer geduscht und ein paar Lampen weniger angehabt haben, um unseren Teil zu den Energieeinsparungen beizutragen. 
Ich hoffe, dass dieses Bewusstsein für den persönlichen Energieverbrauch nachhaltig in unseren Köpfen bleibt, denn auch in Zukunft wird die Energiegewinnung und die Senkung des Energieverbrauchs eine wichtige Rolle spielen. 
Ist dies ein Grund, um die eigentlich schon längst abgeschlossene Atomkraft-Debatte wieder aus der Schublade zu holen? Nein! Eine Industrie, die zehn Jahre lang zurückgebaut wurde nun als Schlüssel zu einer sicheren Energieversorgung darzustellen ist Augenwischerei. 
Nicht nur tragen die drei verbliebenen Kernkraftwerke nur mit einem geringen Prozentsatz zur Stromversorgung in Deutschland bei, auch würde eine Verlängerung der Kernkraftwerke bedeuten, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv ausbremsen. 
Zum einen, weil wir den Ausbau der Netze und der Speicherkapazitäten für die Erneuerbaren verschlafen haben, zum anderen, weil zum Beispiel die Windenergie die Eigenschaft besitzt, ihre Stromeinspeisung flexibel runter- oder hochzufahren. 
Das können Atomkraftwerke nicht. Es ist falsch zu glauben, dass Atomkraftwerke uns bei Strommangel durch zu wenig Wind oder Sonne mal eben unterstützend unter die Arme greifen können. 
Wenn wir uns für eine Verlängerung für Atomkraft entscheiden, dann entscheiden wir uns gleichzeitig gegen die Energiewende und schieben Herausforderungen von heute ins Morgen! 
Denn was passiert denn zum Beispiel mit dem Atommüll? Ab ins Endlager damit? 
Wir haben keins in Deutschland. 
Außerdem hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung gerade bekanntgegebenen, dass sie mit einer endgültigen Entscheidung für ein Endlager in Deutschland zwischen 2046 und 2068 rechnet.
Das ist in unfassbaren 23 bis 45 Jahren! 
Mit Generationengerechtigkeit hat das wenig zu tun. 
1986 wollte eine Familie eine Gärtnerei gründen, in Ellerdorf. Die 4 ha wurden begutachtet, Ausrichtung der Gewächshäuser und Vermessung. Gleichzeitig lief ein Fachmann den Boden ab mit einem Geigerzähler, um die Radioaktivität zu messen. 
Nebenher spielen zwei Kinder. Das ist nicht Sciencefiction, das war Realität in Europa nach der Katastrophe von Tschernobyl. Die Kinder waren mein Bruder und ich. Unsere Generation ist mit der atomaren Bedrohung aufgewachsen. 
Mit den Erkenntnissen seit 1986 und der Katastrophe Fukushima in 2011, bezeichne ich den Versuch Atomkraft wieder lobbyfähig zu machen: als Bruch des Generationenvertrages: Atomausstieg. Das können wir kommenden Generationen nicht anbieten.
Darüber hinaus ist die Atomkraft nach wie vor eine Hochrisikotechnologie. Ein Streckbetrieb erhöht dieses noch. Und selbst wenn die verbliebenen Atomkraftwerke über den 15. April hinaus betrieben werden, dann benötigen sie neue Brennstäbe, die nicht mal eben im Baumarkt zu kaufen sind. 
Wir müssten Monate auf die Brennelemente warten. 
Die Zeit haben wir nicht.
Im letzten Sommer mussten Atomkraftwerke in Frankreich heruntergedrosselt werden, weil es zu warm war. Sie konnten nicht mehr gekühlt werden, weil die Flüsse zu wenig Wasser trugen. 
Ganz nebenbei waren im Sommer mehr als die Hälfte der französischen Atomkraftwerke wegen Korrosionsschäden oder Wartungsarbeiten außer Betrieb. Auch das trug zu den hohen Strompreisen bei. Zur Energiesicherheit tragen Atomkraftwerke also nicht bei. 
Lassen Sie uns konstruktiv sein in der Bewältigung und nicht alte ideologische Grabenkämpfe aufmachen. 
Anstatt panisch kurzfristige „Lösungen“ zu suchen, müssen wir langfristig denken! Und nachhaltig! Während das teure und klimaschädliche LNG sein eigenes Beschleunigungsgesetz bekommen hat, herrschte bei dem Ausbau der Windkraftanlagen bis letztes Jahr im wahrsten Sinne des Wortes Flaute. 
Wir müssen bessere Voraussetzungen schaffen. Das hätten wir schon lange tun sollen! Auch ohne Energiekrise. 
Intelligente Speichermöglichkeiten, ein Ausbau des Netzes, eine regionale Steuerung der Verbrauchsmengen. Das muss unsere Antwort auf die Energiekrise sein. 
„Freiheitsenergien“ nannte Christian Lindner die erneuerbaren Energien vor gut einem Jahr. 
Anstatt krampfhaft an der Atomkraft festzuhalten, sollten wir in genau diese Freiheit investieren. Und zwar jetzt! 

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