Rede · 06.06.2007 Auswirkungen des G-8-Gipfels auf die Sicherheitslage in Schleswig-Holstein

  
Um es gleich vorwegzunehmen: Aus Sicht des SSW enthält der Berichtsantrag von CDU und SPD zwei Punkte, auf die später im zuständigen Innen- und Rechtsausschuss noch einmal eingegangen werden sollten. Gemeint ist  zum einen der vierte Spiegelstrich des Antrages, wo nach den Folgen oder Auswirkungen der entstandenen Mehrarbeitsstunden auf den Dienstbetrieb der Landespolizei gefragt wird. Soll heißen: Wenn rund 1000 Polizisten aus Schleswig-Holstein in Heiligendamm sind, dann hat das Folgen für diejenigen, die während dessen für den Dienst zu Hause zuständig sind. Wir würden also gern wissen, wie viele Überstunden in den ausgedünnten Dienststellen anfallen.

Weiterhin schuldet uns der Innenminister eine Erklärung dafür, warum nicht alle Überstunden während des G8-Gipfels – sowohl die 140 000, die durch Heiligendamm zustande kommen, als auch die Überstunden, die zu Hause erbracht werden – ausgezahlt werden. Sollten keine Überstunden zustande kommen, dann hat der Landesrechnungshof ja recht mit seiner Behauptung, dass es auch noch in den Stellenplänen der Polizei Luft für Personaleinsparungen gibt. Wir meinen: Der G8-Gipfel beeinträchtigt die Arbeit der gesamten Landespolizei, was auch die Maßgabe bei der Auszahlung der Überstunden sein sollte.

Zum anderen gehe ich davon aus, dass wir im Ausschuss Näheres darüber erfahren werden, welche Rolle das neue Polizeirecht bei den Vorkehrungen von Polizei und Justiz im Vorwege des G8-Gipfels  gespielt hat. Auch, wenn es in Schleswig-Holstein keine Geruchsproben gab und sich unser Innenminister davon auch empört distanziert hat, so bleibt es dabei, dass wir ein neues Polizeigesetz haben, das der Polizei neue Mittel in die Hand gibt.

Ohne die Debatte zum Polizeirecht wieder aufwärmen zu wollen, will ich dennoch einige Stichworte nennen: Telefonüberwachung, Schleierfahndung, Kfz-Kennzeichen-Scanning, Vorgangsdatenverarbeitung – darum ging es. Und es geht aus Sicht des SSW darum, dass wir uns bundesweit immer mehr von dem klassischen Straf- und Polizeirecht verabschieden – und  hin zu einem allgemeinen Gefahrenrecht, wo es um die Etablierung von Frühwarnsystemen geht, um kriminelle und terroristische Risiken schon im Vorfeld zu erkennen und zu bekämpfen. Letzte Auswüchse dieses Gedankenganges haben wir gestern den Medienberichten entnehmen können, wo – nach Rostock - der Vorschlag kam, die GSG9 den G8-Demonstranten gegenüber einzusetzen.

Auch der G8-Gipfel an sich verkörpert das neue Sicherheitsdenken. Was das konkret heißt, sind die Menschen in Heiligendamm gerade dabei zu erfahren: Zuerst mussten  sie stundenlang anstehen, um ihre „Badges“ zu bekommen – die Ausweise zum Passieren der Schleuse bei dem zwölf Kilometer langen Sicherheitszaun. Ihre Autos werden auf einer stationären Anlage nach Sprengstoff  gescannt, ihr Gepäck wie auf einem Flughafen durchleuchtet und sie selbst immer wieder untersucht. Schon vor Beginn des Gipfels war jeglicher Privatverkehr untersagt. Sie mussten also ihre Autos an bestimmten Kontrollstellen stehen lassen, um mit einem Shuttle-Service nach Hause gebracht zu werden.

Mehr noch als alles andere ist der G8-Gipfel aber ein Ausdruck für politische Inszenierung. Auch die Tatsache, dass sowohl amerikanische wie auch britische Marineeinheiten sich an der Überwachung des Tagungsortes beteiligen, zeigt in diese Richtung. Denn, wie anders lässt sich erklären, dass der Sicherheit trotz Netzsperre und dem Einsatz diverser Boote der Wasserschutzpolizei anscheinend immer noch nicht genüge getan worden ist. Hier wird Macht demonstriert, damit letztlich die Staatschefs in ihrer Rolle als „Global Players“ bestätigt werden.

Für mich war in dieser Hinsicht die Stippvisite des amerikanischen Präsidenten in Kopenhagen 2005 ein richtiger „Augenöffner“. Das dänische Fernsehen übertrug damals live die Landung der Airforce One – wovon es übrigens zwei gibt und man nie weiß, in welcher Maschine sich George Busch befindet – den Einsatz von über 20 Hubschraubern und was sonst noch geschah. Nichts, aber auch gar nichts wurde dem Zufall überlassen. Erstrecht nicht die Landung von Airforce One, die von der Beleuchtung der Maschine bis hin zur Platzierung auf der Landebahn inszeniert wurde – von einem Mitarbeiter des Weißen Hauses mit Hollywooderfahrung.

Aus Sicht des SSW ist es daher wichtig, dass wir uns die Geschichte dieses Gipfels vergegenwärtigen. Er wurde Mitte der 70´ziger Jahre von Helmut Schmidt und dem französischen Staatspräsidenten Giscard d`Estaing ins Leben gerufen und fand damals sozusagen in einem Hinterzimmer statt. Was seitdem daraus geworden ist, zeigt uns Heiligendamm.

Und noch einem Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang ansprechen – die Frage nämlich nach der Legitimierung des G8-Gipfels. Denn fest steht, dass die G8-Runde eine private Initiative derjenigen ist, die sich als die wichtigsten Wirtschaftsmächte in der Welt auffassen. Sie vertreten aber nicht den Großteil der Weltbevölkerung. Der Gipfel entscheidet nichts, er kann nur beraten – wobei formal betrachtet völlig unklar ist, wen er berät. Nicht die UNO, die ja eigentlich der Adressat der G8-Empfehlungen sein sollte.

Daher sage ich, es ist an der Zeit, dass sich die G8-Staaten darüber Gedanken machen, wie die Frage der Legitimierung zu regeln ist. Denn natürlich macht es Sinn, dass sich Staatschef treffen. Und mit der Konstruktion des UN-Sicherheitsrates wird ja auch der Tatsache Rechnung getragen, dass Großmächte „gleicher“ sind als andere Staaten, was aus meiner Sicht ja auch wesentlich zum relativen Erfolg der UNO beigetragen hat. Um es ganz deutlich zu sagen: die Zeit ist dem G8-Gipfel davon gelaufen. Es ist nicht hinnehmbar, dass so viele Ressourcen dafür aufgewendet werden. Dass zumeist demokratisch gewählte Politiker sich dermaßen von den Menschen abschotten, die sie gewählt haben. Gelingt es nicht den G8-Gipfel neu zu ordnen, dann gehört er abgeschafft.

Die Konsequenzen zeigt uns Heiligendamm. Daher ganz klar und deutlich: Gewalt von Demonstranten hat nichts, aber auch gar nichts mit der Wahrung des Demonstrationsrechts zu tun. Den Gewalttätern ist alles egal. Ihnen geht es nicht um Demokratie und Globalisierung, ihnen geht es nur darum, mit den brutalsten und dümmsten Aktionen, die man sich vorstellen kann – mit roher Gewalt also – das demokratische System aufzumischen.

Umgekehrt kann es den ernstzunehmenden Kritikern der G8-Runde nicht egal sein, dass es bei den aus Sicht des SSW notwendigen Demonstrationen gegen die markkonforme Globalisierung gewalttätige Trittbrettfahrer gibt. Die furchtbaren Rostocker Szenen können also nur dadurch überwunden werden, wenn die G8-Demonstrationen einen so großen friedlichen Zulauf erhalten wie möglich. Geschieht dies nicht, dann bleibt der Eindruck, dass die Befürworter des Sicherheitsstaates Recht haben, wenn sie immer mehr Maßnahmen fordern.

Der SSW stimmt also denjenigen zu, die der Meinung sind, dass wir als Weltbürger und demokratische Gesellschaft die Geschicke unserer Welt nicht den eingezäunten Staatschefs von Heiligendamm überlassen können. Wir werden also dem Antrag von Bündnis90/Die Grünen zustimmen.

Weitere Artikel

Pressemitteilung · 03.12.2024 Landesregierung tappt beim Thema Lichtverschmutzung im Dunkeln

Die künstliche Aufhellung des Nachthimmels durch Straßenlaternen, Werbeanlagen und private Lichtquellen - die sogenannte Lichtverschmutzung - stört den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus vonMenschen, Tieren und Pflanzen. Doch die schleswig-holsteinische Landesregierung tappt bei diesem Thema weitgehend im Dunkeln. Das zeigt ihre Antwort auf eine kleine Anfrage des SSW-Abgeordneten Christian Dirschauer (Drucksache 20/2682).

Weiterlesen

Pressemitteilung · 03.12.2024 Klimaschutzprogramm 2030: Menschen bei der Finanzierung nicht allein lassen

Zur heutigen Vorstellung des Klimaschutzprogramms 2030 durch die Landesregierung erklärt der klimapolitische Sprecher der SSW-Landtagsfraktion, Christian Dirschauer:

Weiterlesen

Pressemitteilung · Flensburg · 03.12.2024 SSW-Fraktion Flensburg will Aktuelle Stunde zur Zukunft des Hafens Ost Hafenwirtschaft wartet auf positive Signale

Zum Brief von Wirtschaftsminister Madsen, der eine Freistellung der Betriebspflicht für den Hafen Ost ablehnt, sagte der planungspolitische Sprecher des SSW, Glenn Dierking:

Weiterlesen