Rede · 17.09.1999 Chancen und Risiken der Gentechnologie

Als wir im September 1996 hier im Landtag die Einsetzung einer Enquetekommission debattierten, die sich mit den Chancen und Risiken der Gentechnologie auseinandersetzen sollte, habe ich angedeutet, daß eine parlamentarische Kommission eine falsches Forum sein könnte, um dieses sensible Thema anzugehen. Erfahrung hat gelehrt, daß in solcher Besetzung die Suche nach gemeinsamer Realität und einem minimalen Grundkonsens schnell mit Parteitaktik verquickt wird. Ich habe befürchtet, daß am Ende der Kommissionsarbeit ein Gentechnik-Bericht steht, der nur die bereits vorhandenen Parteienmeinungen widerspiegelt und daher umsonst ist. Ich möchte in meinem Urteil heute nicht so streng sein, aber betrachtet man den Abschlußbericht und die Sondervoten, und läßt man den Verlauf der Erstellung dieses Berichtes Revue passieren, dann hat sich meine Befürchtung leider auch etwas bewahrheitet. Die Grenzen, die bereits vor der Kommissionsarbeit von den Fraktionen gezogen wurden, bestehen auch jetzt noch. Sicherlich haben alle Kommissionsmitglieder hinzugelernt. Der gewünschte gesellschaftliche Minimalkonsens, auf den sich weiter bauen ließe, wurde aber nicht gefunden. Daher könnte das Fazit von zweieinhalb Jahren Kommissionsarbeit leider lauten: Wir sind genauso uneinig wie vorher - aber auf einem höheren Niveau.
Die vor der Kommissionsarbeit bestehenden Meinungen haben die Arbeit in der Enquetekommission geprägt. Verschärft wurden die Auseinandersetzungen durch die von den Fraktionen ausgewählten Sachverständigen. Auf der einen Seite Sachverständige, die selber im Bereich Gentechnik arbeiten und sich für weniger Beschränkungen und stärkere Förderung einsetzen - auf der anderen Seite Sachverständige, die seit Jahren die Entwicklung der Gentechnologie kritisch begleiten, etwa im Bereich der Technikfolgenabschätzung.
Zeitweise sah es so aus, als würde die Arbeit der Kommission ergebnislos abgebrochen werden müssen. Es zeichnete sich ab, daß es unmöglich sein würde, zu einem Konsens über die Berichte und zu gemeinsamen Empfehlungen zu kommen. Doch nun liegt uns ein Abschlußbericht vor. Dieser Text enthält zu den in der Enquetekommission umstrittenen Themen jeweils 2 Berichte. Zusätzlich wurden Minderheitenvoten dokumentiert. Wir halten dieses Verfahren nicht für optimal. Aber andererseits wird so dokumentiert, daß es eben keinen eindeutigen Sachstand" angesichts der komplexen Probleme der Gentechnik gibt. Stattdessen haben wir ein Kompendium, das den Stand der Forschungsdiskussion zu den Chancen und Risiken der Gentechnik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und entgegengesetzten Bewertungen und Empfehlungen berücksichtigend beleuchtet. Ich habe in meiner abschließenden Bewertung der Kommissionsarbeit daher bewußt gewählt, im Abschlußbericht auch nicht mehr als ein Kompendium des Forschungsstandes zu sehen. Meiner Ansicht nach ist keine pauschale Bewertung möglich. Ich kann daher auch nicht verstehen, daß die Vetreterinnen und Vertreter der CDU und der FDP in der Kommission darauf bestanden, dokumentieren zu lassen, welche Texte sie unterstützen und welche Texte sie ablehnen. In diesem Zusammenhang kam es leider auch zu Angriffen gegen Mitglieder der Kommission, die gentechnik-kritische Texte für den Abschlußbericht verfaßt haben. Das können wir nicht gutheißen. Auch das Nachspiel", das die Kollegin Happach-Kasan uns bescherte, in dem sie nach Abschluß des Endberichts Sondervoten für sich beanspruchte, halte ich für weniger glücklich.
Über die Empfehlungen wurde einzeln abgestimmt. Bei einem Teil der Empfehlungen kamen einstimmige Voten zustande. Mehrheitlich wurde eine verstärkte Förderung von Forschungsprojekten im Bereich Gentechnik gefordert. Andererseits enthält der Abschlußbericht viele Empfehlungen, die einen vorsichtigen Umgang mit der Gentechnik fordern. Die Landesregierung wird aufgefordert, ihre ablehnende Haltung zu Freisetzungen in Schleswig-Hostein beizubehalten. Verstärkte Kontrolle und intensive Begleitforschung werden für dringend notwendig gehalten. Auch der SSW unterstützt ausdrücklich diese Forderungen.
Aufgabe der Kommission war es, Chancen und Risiken der Gentechnologie zu diskutieren und Empfehlungen für Entscheidungen des Landtages zu erarbeiten. Im folgenden greife ich einige Ergebnisse aus dem Abschlußbericht heraus:
Die Gentechnikkommission hält humangenetische Forschung und Beratung für wichtig und fordert die Landesregierung auf, molekulargenetische Forschung auf dem Gebiet der Ursachen, der verbesserten Diagnostik und der gezielten Therapie von Krankheiten des Menschen verstärkt zu fördern. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, daß molekulare Diagnostik oft nur Hinweise auf erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeiten geben kann, nicht aber darüber, ob der betroffene Mensch tatsächlich erkranken wird. Deshalb fordert die Kommission auch verbesserte Beratungsangebote und setzt sich für Projekte zu ethischen, psychosozialen und rechtlichen Konsequenzen ein.
Chancen werden auch im Bereich von Gentherapie gesehen. Viele betroffene Menschen hoffen auf neue Therapieangebote. Allerdings können zur Zeit noch keine Heilungserfolge präsentiert werden. Stattdessen werden immer mehr die gewaltigen Probleme derartiger Therapieversuche deutlich.
Die schärfsten Kontroversen innerhalb der Enquetekommission entzündeten sich beim Thema Gentechnik in der Landwirtschaft. Die positiven Erwartungen, mit Hilfe von Gentechnik krankheitsresistente Pflanzen zu entwickeln, um so den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft zu verringern, haben sich nicht überzeugend erfüllt. Auf der anderen Seite sind die Risiken der Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen und Mikroorganismen nicht zu unterschätzen. Auch wurde auf die Gefahr der zunehmenden Monopolisierung von Patenten auf Nutzpflanzen und Saatgut hingewiesen. Im Bereich Tierzucht wurde festgestellt, daß derzeit noch keine Erfolge vorgewiesen werden können, mit Hilfe der Gentechnik die Krankheitsresistenz bei Nutztieren zu verbessern.
Bei Expertenanhörungen in der Enquetekommission wurde auch deutlich, daß euphorische Prognosen in Bezug auf neue Arbeitsplätze im Bereich der neuen Biotechnologien unberechtigt waren. Es sind trotz enormer wirtschaftlicher Bedeutung allenfalls geringe Arbeitsplatzzuwächse zu erwarten.
Trotz aller Probleme hält der SSW die Arbeit der Enquetekommission nach wie vor für sinnvoll. Wir sehen in dem vorgelegten Abschlußbericht eine brauchbare Entscheidungsgrundlage für die Landesregierung. In den Empfehlungen werden viele konkrete Maßnahmen genannt, die möglichst bald in Angriff genommen werden sollten. Für besonders wichtig halten wir die Einrichtung einer Technikfolgenabschätzung-Einheit an einer der Hochschulen des Landes, die sich schwerpunktmäßig mit den Konsequenzen der Gen- und Biotechnologie für Schleswig-Holstein befaßt, und die dazu vorhandenen regionalen Entwicklungsalternativen erforscht. Diese Empfehlung wurde einstimmig von der Kommission angenommen.
Aus Sicht des SSW ist bis jetzt leider die Chance vertan worden, die Öffentlichkeit über die Arbeit der Enquetekommission zu informieren. Gerade die Produktion einer vielseitig verwertbaren Dokumentation, die sowohl Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft als auch betroffenen Bürgerinnen und Bürgern beim Umgang mit den neuen Technologien weiterhelfen kann, war eine der Hoffnungen, die der SSW mit der Enquetekommission verbunden hat. Der vorliegende Abschlußbericht ist aber kaum als Informationsbroschüre für die breite Öffentlichkeit geeignet. Wir halten es für wünschenwert, daß eine Broschüre erstellt wird, die als Grundlage einer breiten Diskussion in der Bevölkerung dienen kann.
Vorbild könnte hier ein Projekt des dänischen Wirtschaftsministeriums sein, bei dem der Forschungsstand der Chancen und Risiken der Gentechnologie zusammengefaßt worden ist, um Entscheidungen in der Verbindung mit der Gentechnologie" zu verdeutlichen. Diese Informationen werden nun über das Internet, und in einer Broschüre verbreitet die in jeder Bücherei ausliegt, um diese Debatte in die breite Bevölkerung zu tragen. Die Broschüre wird demnächst auch in englischer Sprache erscheinen. Ich werde mich bemühen, sie zu gegebener Zeit den Fraktionen zur Verfügung zu stellen.

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