Rede · 12.07.2023 Das erste Jahr war ein vertanes Jahr!

„Ein Jahr Schwarz-Grün bedeutet für die Menschen da draußen, dass für sie alles schwieriger geworden ist, dass das Land nichts dazu beiträgt, dass das Leben bezahlbar bleibt, dass der Wohnungsbau stockt und dass die Infrastruktur immer mehr verfällt!“

Lars Harms zu TOP 39A - Bericht „Ein Jahr Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein: Wohin will die Landesregierung das Land führen?“ Drs. 20/1207

Es wird Sie nicht überraschen, dass auch ich Ihnen Kritik an nicht gehaltenen Versprechen, dem Verschleppen von Initiativen, wild wuchernden Prüfaufträgen in nie gesehenem Umfang und dem allgemeinen Regierungschaos nicht ersparen kann. Am Geld kann es im Übrigen nicht gelegen haben, denn bisher gab es in den Haushaltsabschlüssen immer wieder riesige Überschüsse. Und trotzdem wurden Projekte einfach nicht umgesetzt. 

Sehen wir uns zum Beispiel einmal die Landesstraßen an. Sie sind maroder als ohnehin schon gedacht und trotzdem kürzt man die Mittel und verschiebt das Geld in den Radwegebau, der nun bei Landesstraßensanierungen mit gemacht werden soll, sofern Radwege an Landesstraßen bestehen. Erstens konnte man das auch schon vorher und zweitens ist mit dieser Maßnahme nichts gewonnen. Das Geld wurde intern umverteilt, aber es gibt hier keinen Cent mehr für Straßenbau und Radwegebau an Landesstraßen. Und deshalb haben wir hier keinen Fortschritt, weder für das eine, noch für das andere. Radwege gibt es übrigens nicht nur an Landesstraßen. Wir haben regelmäßig in den Haushaltberatungen beantragt, dass die mittelgroßen und großen Kommunen für ihren Radwegebau extra Mittel bekommen sollten – geschehen ist aber nichts. Genauso ist es mit den Radschnellwegen. Es ist ja nett, dass bestehende Planungen im Süden des Landes mit Geldern unterlegt werden. Im Norden kommt aber nichts an. Wir haben eine Initiative für ein landesweites Radschnellwegenetz eingebracht, damit hier endlich etwas geschieht! Den Stillstand im Ausbau des Verkehrsnetzes können wir uns hier nicht mehr leisten!

Und das heißt auch, dass die A 20 gebaut werden muss – geschehen ist auch hier nichts. Und es sieht nicht danach aus, dass sich hier etwas ändert. Zum Nachteil für die Menschen und zum Nachteil für die Wirtschaft im Land. Noch nicht einmal der Ausbau der A 23 an der Landesgrenze zu Hamburg wurde durch die Landesregierung in die Liste der besonders wichtigen und damit schnell umzusetzenden Projekte auf Bundesebene hineingedrückt. Im Gegenteil: Nicht ein einziges Projekt aus Schleswig-Holstein befindet sich in dieser Liste – keine Seeverbindung, keine Luftverbindung, keine Straßenverbindung und auch keine Schienenverbindung – das ist wirklich eine bittere Bilanz!

Ach übrigens, wenn wir schon Straßen, Radwege und anderes bauen und wenn wir schon öffentliche Aufträge vergeben, dann sollten die für uns tätigen Menschen auch nach Tariflöhnen bezahlt werden. Die Tariftreue ist immer noch ein extrem wichtiges Element, um für ganz normale Menschen das Leben noch bezahlbar zu halten. Auch das hat Schwarz-Grün gerade im Ausschuss abgelehnt, was bedeutet, dass es eben doch bei öffentlichen Aufträgen in Schleswig-Holstein weiter zu prekären Beschäftigungen kommen kann. In der heutigen Zeit ist das genau das falsche Signal!

Überhaupt, Entlastungen für die Menschen gibt es keine. Noch nicht einmal eine so einfache Entlastung wie die Abschaffung der Straßenbaubeiträge, obwohl man den Kommunen hierfür schon Geld zur Verfügung gestellt hatte. Und auch bei den Kindergartenbeiträgen zeichnet sich kein Weg nach unten ab, obwohl dieser möglich wäre, wie ja Haushaltsanträge der Opposition durchaus gezeigt haben. In einer Zeit, wo alles teurer wird, stünde es der Landesregierung gut zu Gesichte, endlich auch die Menschen finanziell zu entlasten. Das auch und gerade vor dem Hintergrund, dass die Regierung auch mit dem Sozialwohnungsbau nicht hinterherkommt. Der Landesrechnungshof hat ja in seinen neuesten Bemerkungen schon darauf hingewiesen: Wir bräuchten jährlich 1.600 Sozialwohnungen, um überhaupt einigermaßen zurande zu kommen. Real schafft die Landesregierung aber nur die Hälfte. Das ist zu wenig, um die Menschen flächendeckend mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen.

Selbst bei denjenigen, die es am schwersten haben, kommt kaum etwas an. Im Koalitionsvertrag steht ja, dass das Landesblindengeld angehoben werden soll. Wir haben als SSW einen entsprechenden Antrag gestellt und auch die Einführung eines Gehörlosengeldes gefordert. Geschehen ist nichts! Der Blinden- und Sehbehinderten-Verein hat uns jetzt darauf hingewiesen, dass unsere 300 Euro Blindengeld das untere Ende der Skala darstellen und verweist beispielsweise auf Bayern mit einem Blindengeld von 716 Euro. Alle Bundesländer sind hier besser als wir! Da muss es doch auch der Anspruch der Landesregierung sein, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen und das Blindengeld zu erhöhen!

Wir haben aber neben der Bezahlbarkeit noch eine große gesellschaftspolitische Baustelle. Wir müssen schnellstmöglich die Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, in unsere Gesellschaft integrieren. Sie brauchen schnell Arbeit und Beschäftigung. Sie brauchen schnell und unkompliziert einen Deutschkurs. Da können wir nicht länger warten! Und deshalb brauchen wir schnell vernünftige rechtliche Grundlagen hier im Land. Alle Fachleute wissen, dass das Integrations- und Teilhabegesetz der Jamaika-Koalition unzureichend ist. Gäbe es nicht den SSW, der gleich zu Anfang der Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat, würden wir wahrscheinlich immer noch um die Probleme herum diskutieren. Das kann es so nicht sein! Wir brauchen schnelle gesetzliche Änderungen, damit Integration in unsere Gesellschaft wirklich gelingen kann!

Ich habe kein Problem damit, die Meinung zu ändern, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. Wenn wir solche politischen Änderungen vornehmen wollen, dann muss das aber hier im Landtag diskutiert werden. Ich will Ihnen mal zwei Beispiele nennen, wo dies nicht so war. Im Juni 2022 haben wir alle einen gemeinsamen Beschluss zur Ablehnung von CCS gefasst. Im Januar 2023 sagt der Ministerpräsident, dass er die Möglichkeiten für CCS „mit Pragmatismus und Offenheit“ prüfen möchte. Voll entgegengesetzt zu dem, was der Landtag einstimmig beschlossen hatte. Das war da schon ein Affront gegen den Landtag. Aber am 12.07. stimmen die Vertreter des Landes auf der Wirtschaftsministerkonferenz für die unterirdische Speicherung von Kohlendioxyd. Ein klarer Verstoß gegen die damalige Beschlusslage des Landtags. Und wer nun denkt, die Koalitionäre hier im Parlament begehren auf und weisen ihre Regierung zurecht, der wurde bitter enttäuscht. Nachdem die Landesregierung den Koalitionsfraktionen gezeigt hat, wo der Hammer hängt, knicken die Fraktionen ein und tragen diese Kehrtwende nun mit.

Und genauso passiert es gerade bei PFAS. Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen sind sich einig, dass PFAS schädlich ist und unterstützen den Bund bei seiner Initiative, PFAS auf EU-Ebene zu beschränken. Wir haben sogar eine nationale Strategie in diesem Bereich gefordert. Im Kern sind wir einig, dass wir PFAS nicht brauchen und dass Alternativlösungen genutzt werden sollen. Und nun spricht sich der Wirtschaftsminister weiter für die Nutzung von PFAS in bestimmten Fällen aus. Windenergieanlagen, Wärmepumpen und vieles mehr sollen weiter unter Nutzung von PFAS hergestellt werden. Nichts zu hören von, wir wollen PFAS beschränken und ein Ende von PFAS. Man darf gespannt sein, ob die Koalitionsfraktionen ihren Minister zumindest in dieser Frage wieder einfangen. Aber ehrlich, ich glaube es nicht! Stattdessen wird doch lieber die demokratische Teilhabe eingeschränkt, indem man Bürgerbegehren erschwert und die Mindestgröße für Fraktionen im kommunalen Bereich anhebt.

Meine Damen und Herren, lassen sie mich nur kurz auf das von den Koalitionären vorgebrachte Argument eingehen, dass man ja nicht genug Geld hatte. Für die Vergangenheit gilt das in jedem Fall nicht, da jedes Jahr die größten Überschüsse aller Zeiten eingefahren wurden. Anscheinend hatte man so viel Geld, dass man es gar nicht ausgeben konnte. Sehen wir uns aber die Zukunft an: Tun die Landesregierung und ihre Koalition hier nichts, dann werden es schwierige Jahre. Aber was hindert die Landesregierung eigentlich daran, anstatt Steuerbeamte in der verkorksten Grundsteuerreform zu verbrennen, lieber die Steuerverwaltung zu stärken? Was spricht dagegen, die Steuerfahndung zu stärken? Was spricht dagegen, mehr Menschen für die Betriebsprüfungen einzustellen? Ich kann Ihnen das sagen: Es spricht nichts dagegen. Diese Menschen würden mehr Steuereinnahmen erwirtschaften als sie kosten. Es macht Sinn, unsere Einnahmeverwaltung zu stärken. Aber es geschieht hier kaum etwas.

Und wenn wir schon bei Sinnhaftigkeiten sind, dann sollte die Landesregierung endlich die Initiative ergreifen, um Share-Deals abzuschaffen und gleichzeitig große internationale Konzerne endlich voll steuerpflichtig zu machen. Es kann doch nicht sein, dass hier nichts geschieht und die Großen nichts zahlen und die Kleinen alles tragen müssen. Das ist ungerecht und Ungerechtigkeiten gehören abgeschafft! 

Ein Jahr Schwarz-Grün bedeutet für die Menschen da draußen, dass für sie alles schwieriger geworden ist, dass das Land nichts dazu beiträgt, dass das Leben bezahlbar bleibt, dass der Wohnungsbau stockt und dass die Infrastruktur immer mehr verfällt. Die Landesregierung muss sich deshalb auf das Wesentliche konzentrieren und die konkreten Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und hier endlich Tatkraft zeigen! Das erste Jahr war ein vertanes Jahr!

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