Rede · 19.06.2025 Der Verfassungsschutzbericht ist ernster Lesestoff
„Für das Land, wie für den Bund gilt: Die größte Gefahr ist der Rechtsextremismus!“
Sybilla Nitsch zu TOP 41 - Verfassungsschutzbericht 2024 (Drs. 20/3282)
Wir hatten jüngst die Gelegenheit, beobachten zu können, wie unterschiedlich verschiedene Minister ähnliche Themen darstellen können.
Alexander Dobrindt hat knapp eine Woche nachdem Ministerin Sütterlin-Waack den Landesverfassungsschutzbericht für Schleswig-Holstein darstellte, den Verfassungsschutzbericht des Bundes präsentiert. Und ließ dabei den ein oder anderen irritiert zurück. So seien die Zahlen im Linksextremismus „stark angestiegen“ – sind sie nicht. Und für die Tabellen von Rechts- und Linksextremismus gab es unterschiedliche Skalierungen, sodass durch die Balkendiagramme ein absolut verzerrtes Bild vom jeweiligen Personenpotenzial vermittelten.
Ich möchte daher einmal klar sagen – für das Land, wie für den Bund gilt:
Die größte Gefahr ist der Rechtsextremismus!
Wo stehen wir jetzt?
2.677 Straftaten in Schleswig-Holstein insgesamt, fast tausend Taten mehr als im Vorjahr.
1.516 Taten von rechts, 265 von links, 114 Taten ausländischer Ideologie, 30 Taten religiöser Ideologie und eine deutliche Zunahme bei den Taten, die unter „sonstiger Zuordnung“ zusammengefasst werden.
Außerdem eine deutliche Zunahme bei Straftaten gegen Amts- und MandatsträgerInnen und ein Anstieg bei den antisemitischen Straftaten. Bei Reichsbürgern und Islamisten müssen wir laut Bericht weiterhin von einer latenten Gewaltbereitschaft und damit einer abstrakten Gefahrensituation ausgehen.
Die Gewalttaten sind regional unterschiedlich verteilt, Kiel und Neumünster stechen hervor. Das ist aber schnell durch einzelne Großveranstaltungen erklärt.
Besonders beunruhigend für mich: Die Zunahme um 16 Delikte auf 153 Gewaltdelikte. 65 Gewalttaten gingen dabei allein von Rechtsextremen aus. Fast alle waren Körperverletzungen.
689 von 1.516 Straftaten der politisch motivierten Kriminalität von rechts weisen laut Bericht fremdenfeindliche, also rassistische Motive auf. Bei 55 Gewalttaten im Phänomenbereich „PMK rechts“ wurden fremdenfeindliche Motive festgestellt. Ein versuchter Totschlag, ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, eine schwere Brandstiftung, elf gefährliche und 41 einfache Körperverletzungen.
Für mich zeigt sich daran erneut: Auf Worte folgen Taten. Die Neue Rechte hetzt seit Jahren. Gegen Minderheiten, gegen Feministinnen, gegen die Wissenschaft der Genderstudies, gegen Geflüchtete, gegen rassifizierte Menschen. Sie imaginieren einen Bevölkerungsaustausch, behaupten eine „Überfremdung“ und fordern damit einher gehend eine „Remigration“. Sie versuchen damit Grenzen zu verschieben. Grenzen des Sagbaren und Grenzen des Machbaren.
Und teilweise gelingt das. Zu oft habe ich in den letzten Jahren von Menschen, die sich der politischen Mitte zuordnen würden, an diese Extreme anschlussfähige Äußerungen gehört. Zu oft müssen wir auch über den „Extremismus der Mitte“ sprechen.
Es bleibt wichtig, auch als Politikerinnen und Politiker aus der politischen Mitte, als die wir uns wahrscheinlich alle irgendwie einsortieren würden, sich selbst zu hinterfragen: Inwiefern hat die jahrelange Hetze von rechts eigentlich auch mich selbst beeinflusst. Zucke ich bei bestimmten Worten nicht mehr zusammen? Was empfinde ich eigentlich gerade als „Normalität“? Und woran habe ich mich insgeheim schon gewöhnt.
Und deswegen sind wir nicht zu sensibel, wenn wir immer wieder sagen: wir machen hier nicht mit. Nicht bei dieser Sprachverschiebung, nicht bei der Verschiebung der Mitte der Gesellschaft nach rechts außen und nicht wenn von Sylt Videos mit rassistischen Gesängen und Nazi-Parolen auftauchen.
Zuletzt kann ich noch festhalten, dass ich der weiteren Befassung im Ausschuss gespannt entgegenblicke. Denn mir stellen sich hier schon noch ein paar Fragen. Wie etwa geht es nach der Selbstauflösungsankündigung der PKK mit der Kriminalisierung Kurdischen Aktivismus weiter? Oder auch die Frage nach möglicherweise neuen weiteren Kategorien, die im Verfassungsschutzbericht angelegt werden könnten. Ein Aufgabenbereich etwa des bayerischen Verfassungsschutzes ist die Beobachtung verfassungsschutzrelevanter Islamfeindlichkeit. Die Jahresbillanz der Claim-Allianz zeigt: Die Zahl der dokumentierten antimuslimischen Vorfälle in Deutschland hat 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Ich wüsste sehr gerne, wie der Verfassungsschutz des Landes Schleswig-Holstein das einordnet.
Abschließend möchte ich mich bei dem Innenministerium, seiner Ministerin und den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes für den vorliegenden Bericht bedanken.
Ministerin Sütterlin- Waack hat es in der Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht gesagt: Man kann nicht zufrieden sein mit den Ergebnissen dieses Berichts. Eine Innenministerin kann das nicht und wir als Abgeordnete können das auch nicht.
Besonders im Vergleich mit dem Bundesinnenministerium lohnt es sich aber hervorzuheben, dass wir in Schleswig-Holstein zumindest versuchen, sachorientiert und transparent die Probleme miteinander zu besprechen und anzugehen.