Rede · 01.06.2006 Gesetz über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen
Der SSW kann dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen grundsätzlich zustimmen. Dabei geht es um die Erhöhung der Repräsentativität der Kommunalparlamente sowie um die Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Wählerinnen und Wähler auf die personelle Zusammensetzung der Vertretungen. Der Entwurf lehnt sich dabei an die neueren Entwicklungen im Kommunalwahlrecht der Bundesrepublik Deutschland an und macht sich gezielt die Erfahrungen der anderen Länder zu nutze.
Die Modernisierung des Kommunalwahlrechtes ist nachdrücklich zu begrüßen.Ich möchte jedoch zu Beginn klarstellen, dass die Erweiterung der Mitwirkungsrechte der Bürger über die Wahl zu den kommunalen Vertretungskörperschaften nicht davon ablenken darf, dass die aktuellen Vorhaben der Landesregierung die Substanz der kommunalen Selbstverwaltung selbst weiter aushöhlen.
Die rein formale Strukturreform ohne Demokratisierung und Optimierung von Entscheidungsprozessen, die Verlagerung von Aufgaben ins Bürokraten-Nirwana und die willkürlichen Eingriffe in die Finanzkasse der Kommunen reduzieren auf dramatische Weise die Bereiche, über die die direkt gewählten Selbstverwaltungsorgane bestimmen können. Das schwächt und schädigt nachhaltig die kommunale Selbstverwaltung, die lokale Demokratie.
Bereits jetzt sind in weiten Teilen die Selbstverwaltungsaufgaben auf Organe delegiert, die nicht unmittelbar legitimiert sind. Sowohl gestutzte Amtsausschüsse wie die so genannten Verwaltungsregionen werden diese Tendenz noch verstärken. Man muss kein Verfassungsrechtler sein, um zu erkennen, dass sich die Landesregierung - um es zurückhaltend zu formulieren - damit auf verfassungsrechtlich dünnem Eis bewegt.
Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf: Durch sechs Kernelemente sollen die Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger bei der Wahl und der personellen Zusammensetzung der kommunalen Vertretungen verbessert werden. Im Einzelnen sind das: 1.Die Abschaffung der 5 %-Hürde. 2. Die Änderung des Verfahrens der Sitzverteilung.3.Einführung des Kumulierens und Panaschierens. 4. Einführung von Listenverbindungen. 5. Nutzung von Blindenschablonen. 6. Die so genannte Unterbrechungspause für Kommunalpolitiker.
Zur Abschaffung der 5%-Hürde bei Kommunalwahlen, möchte ich klar sagen, dass dieses in Schleswig-Holstein überfällig ist. Man muss sich nur vor Augen halten, dass de facto ohne gesetzliche Hürde bereits in über 95 % der Gemeinden Schleswig-Holsteins eine Partei oder Wählerliste mindestens 5 %, wenn nicht sogar viel mehr der gültigen Stimmen erreichen muss, um ein Mandat zu erhalten. In über 1.000 Gemeinden sind nämlich weniger als 20 Sitze zu verteilen. So liegt die Grenze für die Erringung eines Mandates in einer Gemeinde mit 1.000 Einwohnern und 11 Sitzen bei rund 10 % der Stimmen.
Die gesetzliche 5%-Hürde greift also nur in 50 Gemeinden bzw. Städten des Landes. Zugespitzt lässt sich sagen: sie hat nur praktische Bedeutung bei Kreistagswahlen und den Wahlen zu den Vertretungen der kreisfreien Städte. Im Ländervergleich stellt man fest, dass von den Flächenländern nur noch das Saarland und Thüringen die 5%-Hürde auf kommunaler Ebene kennen. Neun Bundesländer haben die ganz abgeschafft und Rheinland-Pfalz hat noch eine 3%-Hürde. Es ist zum Beginn des 21. Jahrhundert offensichtlich schwer, für Kommunalparlamente eine 5%-Hürde mit der drohenden Gefahr der staatsschädigenden Zersplitterung der Willensbildung zu legitimieren. Der SSW begrüßt das und spricht sich für Pluralismus und die größtmögliche Chancengleichheit der Stimmen aus.
Ähnliches gilt für das Verfahren zur Sitzverteilung. Der bundesdeutsche Trend geht eindeutig in Richtung größere Chancengleichheit für die einzelne Stimme, statt komfortabler Mehrheiten durch Bevorzugung der großen Parteien. Nach dem Bund hat nun auch Baden-Württemberg sich von d´Hondt verabschiedet. Der SSW unterstütz den Entwurf auch in diesem Punkt. Wir haben dabei weder eine Präferenz für die Hare/Niemeyer noch für Sainte Lague/Schepers-Methode, können der Argumentation des Bundeswahlleiters aber durchaus etwas abgewinnen.
Bei der Einführung des Kumulierens und Panaschierens sieht der SSW jedoch durchaus einen größeren Diskussionsbedarf. Wir begrüßen die Möglichkeit, dem Bürger direkten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Vertretungen zu geben, warnen jedoch davor, den Wahlakt und die Stimmabgabe zu unübersichtlich zu gestalten. Der im Entwurf enthaltene Vorschlag, den Bürgern so viele Stimmen wie zu wählende Vertreter zu geben, führt dazu, dass ein Bürger in Norderstedt zur Kommunalwahl Stadt und Kreis - 88 statt wie vorher zwei Stimmen zu verteilen hätte. Diese 88 Stimmen je Bürger müssen dann auch noch von ehrenamtlichen Wahlhelfern ausgezählt werden.
Wir sollten in der Ausschussberatung ernsthaft überlegen, ob nicht der annähernd gleiche Effekt an Bürgereinfluss bei erheblich geringerem Aufwand und vor allem größerer Übersichtlichkeit durch die Vergabe von drei Stimmen je Stimmzettel erzielt wird.
Die Einführung von Listenverbindungen können wir uneingeschränkt unterstützen. Die Hürde für Wählergemeinschaften oder Parteien, ein Mandat zu erreichen, wird dadurch gesenkt. Die faktische Existenz hoher, rein mathematischer Wahlhürden in der übergroßen Mehrheit unserer Gemeinden habe ich bereits erwähnt.
Listenverbindungen sind daher im ländliche Raum , aber nicht nur dort, ein geeignetes Instrument, um Bürger in Wählergemeinschaften aber auch in Parteien zu aktivieren, sich um ein kommunales Mandat zu bewerben und in den demokratischen Wettbewerb vor Ort einzubringen. Es fördert die Vielfalt und belebt eindeutig die kommunale Demokratie. Die Möglichkeit für sehbehinderte Bürger, ihre Stimme mit Hilfe einer Schablone abgeben zu können, bedeutet die Wahrung von Souveränität des Einzelnen bei diesem zentralen bürgerschaftlichen Akt. Der SSW begrüßt auch diesen Vorschlag.
Über die Regelung, dass Kommunalpolitiker nach dem Rücktritt vom Mandat auf die Nachrückerliste kommen und so gegebenenfalls nach einer Zeit wieder in die Kommunalvertretung nachrücken, ist durchaus überlegenswert. Auf jeden Fall ist die verfolgte Intention zu begrüßen. Mir liegen selbst keine Erfahrungen aus Baden-Württemberg vor, aber es wird im Ausschuss von Interesse sein, ob diese Regelung in der Praxis auch wie beabsichtigt wirkt bzw. gewirkt hat.
Zum Abschnitt VIII des Gesetzentwurfes muss ich seitens des SSW selbstverständlich darauf hinweisen, dass wir gemäß unseres Gesetzentwurfes zur Änderung der Gemeinde- und Kreisordnung, Drucksache 16/768, Abschaffung der Direktwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern und Landräten konsequenter Weise für eine ersatzlose Streichung der dort enthaltenen Regelungen sind. Der SSW stimmt der Überweisung zu und hofft, dass die nächsten Kommunalwahlen bereist nach einem modernisierten Wahlgesetz abgewickelt werden können.