Rede · 25.02.2009 Keine Schuldenbremse ohne Entschuldungskonzept

Der erste Absatz unseres gemeinsamen Antrages mit den Grünen sagt es, und ich wiederhole es gern noch einmal für den SSW: Wir begrüßen das Ziel der Föderalismuskommission II, eine verbindliche Schuldenbremse einzuführen. Wenn wir nicht auf Kosten kommender Generationen leben wollen, dann müssen wir mit aller Kraft ausgeglichene Haushalte anstreben. Daran gibt es keinen Zweifel.

Allerdings dürfte der Antrag auch hinreichend klar zum Ausdruck bringen, dass wir nicht mit der Schuldenbremse leben können, die am vorletzten Freitag von der Föderalismuskommission beschlossen wurde. Sie erfüllt in keiner Weise die Forderungen, die von den Vertretern der Landtage erhoben wurden, nämlich dass annähernd ausgeglichene Landeshaushalte die Voraussetzung für neue Schuldenregeln sind und dass die bestehenden Altschulden der Länder berücksichtigt werden müssen. In dieser Zeit, in der die öffentlichen Haushalte durch Konjunkturprogramme, Bankenrettung und steigende Arbeitslosigkeit bis an alle Grenzen strapaziert werden, würde eine solche Schuldenbremse eine fatale Wirkung entfalten.

Die Erfahrungen der letzten vielen Jahren haben gezeigt, dass vor allem der Abbau von Arbeitslosigkeit und damit die Erhöhung der Steuereinnahmen dem Staat den Überschuss beschert hat, um Altschulden abzubauen und sich ausgeglichenen Haushalten anzunähern. Dies ist nicht allein durch eine Vollbremsung bei den Ausgaben zu schaffen. Insofern könnte das Timing der Föderalismuskommission schlechter kaum sein. Denn wir treten zu recht gleichzeitig auf das Gaspedal, wenn es darum geht, durch das schuldenfinanzierte Konjunkturpaket die Folgen der weltweiten Finanzkrise für die Realwirtschaft und den Arbeitsmarkt abzumildern. Die starre Schuldenbremse macht also zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich gar keinen Sinn. Sie ist in meinen Augen nur eine Art Ablasshandel für konservative und liberale Politiker, die das Gefühl haben, mit der Zustimmung zu einem Konjunkturprogramm eine große Sünde zu begehen. Aber jeder weiß, dass man ins Schleudern kommt, wenn man bei voller Fahrt auf Bremse und Gas gleichzeitig perrt. Und genau dies wird passieren.

Für Schleswig-Holstein bedeutet die beschlossene Schuldenbremse konkret, dass wir das strukturelle Defizit im Haushalt von 600 Millionen Euro jährlich ausgleichen müssen und dafür vom Bund neun Jahre lang jeweils 80 Millionen bekommen. Übrig bleiben also 520 Millionen Euro pro Jahr, die das Land selbst einsparen muss. Allein daran lässt sich schon erkennen, dass diese Schuldenregelung das Land langsam erdrosseln würde. Der Zusammenfall mit der Krise der HSH-Nordbank macht die Wirkung dieser Schuldenbremse für Schleswig-Holstein aber geradezu tödlich. Das Land hat eine Schlinge um den Hals – am einen Ende des Seils zieht die Föderalismuskommission und am anderen Ende der Vorstand der HSH-Nordbank. Das ist die Situation, in der wir gerade stehen.

Deshalb ist es auch unbegreiflich, dass der Ministerpräsident sich in der Föderalismuskommission dem Schicksal ergeben hat. Ich muss sagen, es hat mich maßlos enttäuscht, dass Peter Harry Carstensen sich bei der entscheidenden Sitzung der Föderalismuskommission für Schleswig-Holstein der Stimme enthielt. Es gab eine Zeit, in der unser Ministerpräsident mit vorbildlichen Konzepten ausgestattet nach Berlin gefahren ist – eine Zeit in der auch bei der Landesregierung die Erkenntnis vorherrschte, dass nur eine solide Reduzierung der bestehenden Schulden die Probleme löst. Der damalige Vorschlag der Landesregierung, die Altschulden über 50 Jahre durch einen gemeinsamen Fonds der Länder mit einem Teil der Mehrwertsteuereinnahmen zu tilgen, war richtig. Umso unverständlicher ist es, dass Peter Harry Carstensen jetzt, wo es zum Schwur kommt, resigniert die Hände in den Schoß legt.

Die jetzt beschlossene Schuldenbremse ist wahlweise angekündigter politischer Selbstmord oder Selbstbetrug. Denn entweder erfüllt Schleswig-Holstein die Einsparforderung und dann bleibt vom Land nur ein Torso übrig. Oder wir erfüllen die Kriterien nicht, aber dann bekommen wir die 80 Millionen Bundeszuschuss zum Schuldenabbau auch nicht zu sehen. Insofern ist die Begründung des Ministerpräsidenten für seine Enthaltung in der Föderalismuskommission abwegig, dass das Land gar kein Geld vom Bund bekäme, wenn er dagegen gestimmt hätte. Denn Schleswig-Holstein hat durch diese Schuldenbremse rein gar nichts zu gewinnen.

Aber ich unterstelle mal, dass der Ministerpräsident in der Föderalismuskommission zugestimmt hat, weil er daran glaubt, über eine halbe Milliarde jährlich aus dem Landeshaushalt herausschneiden zu können. Deshalb sagen wir: Na, dann mal Butter bei die Fische, Herr Carstensen! Sagen sie uns und den Schleswig-Holsteinern jetzt deutlich, wo dieses Geld gespart werden soll. Durch neue Einnahmen wird es nicht kommen. Deshalb muss jetzt klar benannt werden, wo die Landesregierung nun in den kommenden neun Jahren jährlich 520 Millionen Euro herholen will.

Denn es ist ja nun einmal nicht so, dass die Schulden dadurch entstanden sind, dass wir zu viele Lehrer oder Polizisten haben oder dass Deutschland ein soziales Schlaraffenland ist. Man darf bei der aktuellen Debatte über Staatsschulden und Schuldenbremsen nicht aus den Augen verlieren, dass der weitaus größte der Teil der Schulden immer noch eine Folge der deutschen Einheit ist. Auch politische Fehlentscheidungen, wie die rot-grünen Steuerreformen der 90er Jahre, die jährlich über 50 Milliarden Mindereinnahmen zur Folge hatten, haben unsere Verschuldung erhöht. Vor diesem Hintergrund lautet die wirklich spannende Frage: Woher kommt die halbe Milliarde? Diese Frage ist übrigens nicht nur an den Ministerpräsidenten gerichtet, sondern auch an die SPD: Wenn diese Landesregierung im Bundesrat der Schuldenbremse zustimmt und wenn mit sozialdemokratischen Stimmen das Grundgesetz geändert wird, dann übernimmt auch die SPD-Schleswig-Holstein die volle Verantwortung für diese Kamikaze-Politik und muss ebenso klar benennen, wer im Land in Zukunft auf eine halbe Milliarde Euro verzichten soll.

Aber um es vorweg zu nehmen. Ich glaube nicht, dass die Antworten irgendjemanden zufriedenstellen werden. Am Ende bleibt im Interesse Schleswig-Holsteins nur eine Option: Die Landesregierung muss sich eines Besseren besinnen und im Bundesrat gegen die Schuldenbremse stimmen. Und die Landesregierung muss den Landtag unterstützen, wenn es um eine Verfassungsklage gegen eine bundesweite Schuldenbremse im Grundgesetz geht. Kein Bundesland kann hinnehmen, dass es durch eine Verfassungsänderung quasi entmündigt wird. Das Budgetrecht ist das „Königsrecht“ des Landtags und darf nur vom Landtag selbst beschnitten werden. Deshalb muss eine neue Schuldenregel für Schleswig-Holstein auch in der Landesverfassung verankert sein und darf nicht von oben durch das Grundgesetz diktiert werden. Wenn Schleswig-Holstein die Entscheidung der Föderalismuskommission akzeptiert, dann geben wir unseren politischen Gestaltungsspielraum auf und entmachten uns selbst. Deshalb kann der Landtag gar nicht anders handeln, als beim Bundesverfassungsgericht gegen die Schuldenbremse zu klagen – sehr gerne mit aber notfalls auch ohne die Landesregierung.

Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass eine Regelung beschlossen wird, der kein realistisches Entschuldungskonzept zugrunde liegt und die so unserem Land massiv schaden wird. Dies gilt umso mehr, als die Schuldenbremse im Grundgesetz und möglicherweise auch in der Landesverfassung verankert werden soll. Beide lassen sich nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern, die für die jetzigen Großen Koalitionen leicht zu organisieren ist. Sollte aber nachher die Erkenntnis wachsen, dass das ganze ein Fehler war, dann ist eine Hürde errichtet, die spätere Mehrheiten kaum überwinden können. Am Ende kann eine solche Schuldenregelung die jungen Generationen noch mehr belasten als die Schulden selbst. Auch dies ist Grund genug, hier und jetzt Stopp zu sagen.

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