Rede · 15.10.2025 Niedrigschwellige Unterstützung statt Streichungen und Misstrauen

„Allein die Diskussion über die Abschaffung des Pflegegrads 1 ist für Betroffene und Angehörige zutiefst verunsichernd. Statt solch verheerender Testballons brauchen wir dringend konkrete Vorschläge für eine verlässliche Unterstützung der häuslichen Pflege“

Christian Dirschauer zu TOP 17+24 - Hände weg vom Pflegegrad 1 – Pflegerische Versorgung stärken, nicht schwächen und Erhöhung des Entlastungsbetrages für Pflegebedürftige (Drs. 20/3650 und 20/3681)

Im Wettstreit um die besten Ideen gibt es immer mal wieder Vorschläge, die verwundern oder sogar provozieren. Das ist normal und bis zu einem gewissen Grad auch gut so. Doch der Ansatz, Defizite in der Pflegeversicherung durch das Streichen des Pflegegrad 1 auszugleichen, ist nicht verwunderlich oder provokativ, sondern einfach nur absurd. Denn alle, inklusive der Kritiker des Pflegegrads 1 in der jetzigen Ausgestaltung, sehen den dringenden Bedarf, die ambulante, häusliche Pflege zu stärken. Und genau mit diesem expliziten Ziel wurde der Pflegegrad 1 im Jahr 2017 eingeführt. Eine Streichung mag in der Theorie vielleicht den einen oder anderen Euro einsparen. Aber die präventive Wirkung und das deutlich höhere Maß an Selbstbestimmung und Würde für die Betroffenen, wird bei einer solchen Betrachtungsweise völlig ausgeblendet.

Auch aus eigener Erfahrung im familiären Umfeld kann ich sagen, dass der Pflegegrad 1 seine Berechtigung hat und wichtig ist. Seit Einführung werden auch kleinere körperliche Beeinträchtigungen oder psychische und kognitive Einschränkungen, etwa bei einer beginnenden Demenz, deutlich klarer erfasst. Er begründet zwar keinen Anspruch auf Pflegegeld, aber auf Hilfsleistungen im geringen finanziellen Umfang. Damit wird die Unterstützung im Alltag zuhause befördert. Etwa durch Einkäufe oder eine Putzhilfe. Außerdem kann einmalig eine Summe von bis zu 4.180 Euro für bauliche Maßnahmen beantragt werden. Damit kann dann beispielsweise der barrierefreie Zugang zur Wohnung oder zum Bad finanziert werden. Diese Dinge tragen nachweislich dazu bei, dass Bedürftige länger zuhause bleiben und häufig deutlich später Pflegegeld oder eine Unterbringung in einer Einrichtung in Anspruch nehmen müssen.  

Es ist und bleibt also völlig richtig: Die pflegerische Versorgung muss dringend weiter gestärkt und nicht geschwächt werden. Allein die Diskussion über die Abschaffung des Pflegegrads 1 ist für Betroffene und Angehörige zutiefst verunsichernd. Statt solch verheerender Testballons brauchen wir dringend konkrete Vorschläge für eine verlässliche Unterstützung der häuslichen Pflege. Und genau hierzu haben wir mit unserem vorliegenden Antrag einen, wie ich finde, praktikablen und auch wichtigen Beitrag geliefert. Denn unsere Forderung nach einer Erhöhung des Entlastungsbetrages trägt nicht nur dazu bei, dass Kostensteigerungen der vergangenen Jahre zumindest ansatzweise ausgeglichen werden. Sondern hierdurch würde auch die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen und der präventive Charakter dieser Maßnahme gestärkt.

Ganz konkret fordern wir die Erhöhung von derzeit 131 auf 200 Euro monatlich. Höhe und inhaltliche Ausgestaltung des Entlastungsbetrags ist im SGB 11 normiert, so dass wir die Landesregierung dazu auffordern, sich auf Bundesebene für eine entsprechende Änderung einzusetzen. Mir ist bewusst, dass für den Entlastungbetrag und eine Reihe weiterer Maßnahmen zum 1. Januar 2028 eine Dynamisierung in Höhe des kumulierten Anstiegs der Kerninflationsrate der letzten drei Kalenderjahre vorgesehen ist. Doch selbst wenn wir hier mit eher großzügigen 10 Prozent rechnen, wäre damit weiterhin längst nicht der Bedarf an Unterstützungsleistungen gedeckt, der durch eine wirklich substanzielle Erhöhung möglich wäre. Angesichts der Tatsache, dass der Entlastungsbetrag seit Einführung nur sehr gering erhöht wurde, während die hierdurch finanzierbaren Kosten, insbesondere im Dienstleistungsbereich deutlich gestiegen sind, halte ich diese Forderung für absolut angemessen.

Uns ist aber auch wichtig, dass wir das Spektrum an Nutzungsmöglichkeiten für den Entlastungsbetrag erweitern und die Zugangsvoraussetzungen vereinfachen. Hier ist uns in Schleswig-Holstein ja bereits der eine oder andere zaghafte Schritt gelungen. Aber wenn Menschen in ländlichen Regionen zwar einen Anspruch haben, aber zum Beispiel keinen ambulanten Pflegedienst oder Anbieter anderer relevanter Dienstleistungen finden, hilft ihnen natürlich auch kein noch so hoher Entlastungsbetrag. Statt mit Misstrauen oder viel zu hohen dokumentarischen Ansprüchen zu agieren, sollten wir hier auf Landesebene dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen mit Pflegebedarf niedrigschwellige Unterstützung bekommen. Das ermöglicht ihnen nicht nur ein längeres, selbstbestimmtes Leben, sondern entlastet auch ihre Angehörigen und das Pflegesystem insgesamt.

Weitere Artikel

Rede · 15.10.2025 Die AfD ist minderheitenfeindlich und menschenverachtend

„Wir machen das, weil wir wissen, was uns blüht, sollte die AfD an die Macht kommen.“

Weiterlesen

Rede · 15.10.2025 Heimische Eiweißpflanzen können die ökologische Bilanz verbessern

„Bereits in der Küstenkoalition wurde die Problematik erkannt und so haben wir im Jahr 2013 einen Antrag – Drs. 18/1386 – eingereicht, mit dem Ziel eine Strategie für heimische Eiweißpflanzen zu entwickeln, um den Anbau von Eiweißpflanzen in der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein zu erhöhen. Quasi das, was die Regierungskoalition jetzt in ihrem Antrag fordert.“

Weiterlesen

Pressemitteilung · Flensburg · 15.10.2025 Grüne, SSW und CDU einigen sich auf Kompromiss zur Beherbergungsabgabe

Weiterlesen