Rede · 18.02.2015 Regierungserklärung & Abschiebungshaft und Migrationsberatung für Flüchtlinge
„Als rot-grün-blaue Koalition diskutieren wir nicht darüber, ob wir helfen können. Sondern wir tun dies einfach!“
Wenn wir die Flüchtlingsströme auf der Welt betrachten, können wir feststellen, dass wir hier in Deutschland objektiv es eben gerade nicht mit einem Flüchtlingsstrom zu tun haben. Und schon gar nicht in Schleswig-Holstein. Wir haben im gesamten letzten Jahr 7.620 Flüchtlinge aufgenommen und dieses Jahr werden wir eine fünfstellige Zahl erreichen. Ist das viel? Wir meinen Nein! Jedenfalls, wenn man unsere Zahlen mit den Zahlen anderer Länder vergleicht. Im ersten Halbjahr 2014 lagen die Flüchtlingszahlen nach UNHCR-Angaben in Pakistan bei 1,6 Millionen Menschen, im Libanon bei 1,2 Millionen Menschen, im Iran bei 1 Million Menschen und in der Türkei bei 800.000 Menschen. Selbst das vergleichsweise arme Jordanien nahm 700.000 Menschen auf. Nehmen Sie diese Halbjahreszahlen jetzt ruhig mal zwei, dann reden wir alleine bei diesen Ländern regelmäßig zwischen 1,5 und 3 Millionen Menschen pro Jahr – nicht 7.620! Alle diese Angaben unterliegen darüber hinaus einer stetig steigenden Tendenz. Und diese Zahlen bestätigen, dass die Menschen eben nicht wegen irgendwelcher hohen Leistungen zu uns kommen, sondern insbesondere die ärmeren Länder der Welt haben die Hauptherausforderungen der Flüchtlinge zu tragen. Wer also objektiv auf die Flüchtlingslage guckt, der kann nicht anders als zu akzeptieren, dass die Herausforderungen, die vor uns liegen, gemeistert werden können und gemeistert werden müssen.
Gerade vor diesem Hintergrund sage ich, dass einer der Leitsätze unseres Grundgesetzes uneingeschränkt Geltung hat und auch nicht hinterfragt werden darf: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und gleiches gilt für die Bestimmung im Grundgesetz, die da heißt: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Beide Leitsätze bilden für uns den Rahmen in dem sich unsere Gesellschaftsordnung in Flüchtlingsfragen bewegt. Diese Grundsätze sind nicht verhandelbar. Und wer dieses nicht akzeptieren will, der wendet sich gegen die Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung. Es mag sein, dass wir hier in Schleswig-Holstein eine Tradition haben, die sich im Besonderem dem Nächsten verpflichtet fühlt. Und diese Nächstenliebe mag jeder aus seinem eigenen Gesellschaftsbild herleiten – möge es nun auf einer christlichen, einer islamischen oder auch auf einer anderen philosophischen Grundlage beruhen. Die Schlussfolgerung muss immer dieselbe sein: Alle Menschen sind willkommen und wir helfen gerne.
Deshalb diskutieren wir als rot-grün-blaue Koalition auch nicht darüber, ob wir helfen wollen oder ob wir helfen können. Sondern wir tun dies einfach! Wir wissen jetzt schon, dass wir anhand der steigenden Flüchtlingszahlen mehr Lehrer brauchen, um den jungen Menschen Deutsch als Zweitsprache beizubringen. Wir haben hier in den letzten beiden Jahren schon viel geleistet, aber wir sehen, dass dies trotz aller Anstrengungen noch nicht genug ist. Wir werden mehr als 200 zusätzliche DAZ-Lehrer benötigen, um hier dem zukünftigen Bedarf entsprechen zu können und deshalb müssen diese eingestellt werden. Überhaupt wird es notwendig sein, noch mehr Lehrer in das System zu geben, um hier zu helfen. Die Schulen werden einen erhöhten Bedarf aufgrund von höheren Schülerzahlen haben und diesen Bedarf wollen wir abdecken. Und wie gesagt, dabei gucken wir nicht auf den einzelnen Euro, sondern wir gucken auf die Problemlage. Da wo Hilfe nötig ist, wollen wir helfen, und deshalb braucht man auch hier keine kleinkarierten Diskussionen.
Übrigens, auch die Kommunen brauchen solche Formaldebatten nicht. Wir wissen, dass die Unterbringungssituation für die Kommunen eine riesige Herausforderung ist. Wir werden auch hier nicht als Paragrafenreiter auftreten, sondern den Kommunen bei ihrer flexiblen Handhabung der Herausforderungen im Flüchtlingsbereich zur Seite stehen. Wir erstatten den Kommunen 70% der Betreuungskosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und daran wird auch bei steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerüttelt. Wir fordern den Bund auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Asylverfahren noch zügiger bearbeitet werden. Wir wissen, dass das schwierig ist, aber das ist nötig, damit auch die Kommunen hier finanzielle Planungssicherheit bekommen. Im Übrigen können wir uns durchaus vorstellen, dass der Bund hier in dieser nationalen Aufgabe noch stärker einsteigt als bisher und die Länder und Kommunen auch strukturell entlastet. Schließlich sind Länder und Kommunen hier überall gleich betroffen und solange wir keine vernünftige einheitliche europäische Flüchtlingspolitik haben, muss der Bund maßgeblich diese nationale Herausforderung mit bewerkstelligen. Wenn wir aber gerade schon beim Bund sind, muss ich sagen, dass die Bundesregelungen ausdrücklich vorsehen, dass Länder einen Winterabschiebestopp verhängen können – was wir ja auch getan haben. Damit hat sich das Land rechtskonform entsprechend dieser bundesrechtlichen Regelungen verhalten. Wir setzen somit Bundesrecht um und dass führt dann nicht dazu, dass das Land für die zusätzlichen Kosten hierfür aufkommt. Was wir aber tun ist, die Kommunen auf andere Art und Weise zu entlasten. Wie gerade eben schon gesagt, geben wir mehr Lehrer in das System, um so auch den Druck von den Kommunen zu nehmen. Wir behalten die bisherige Kostenbeteiligung weiterhin bei und wir wollen auch die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen.
Bisher ist es so, dass sich jeder Flüchtling eine Bescheinigung für einen Arztbesuch beim zuständigen Amt besorgen muss. Schon alleine die Tatsache, dass dieses diskriminierend ist, sollte eigentlich schon dazu führen, eine solche Regelung abzuschaffen. Sie ist aber auch extrem bürokratisch. Ein Nicht-Mediziner in der Amtsstube soll entscheiden, ob jemand krank ist, oder nicht. Gleichzeitig muss der gesamte Vorgang dokumentiert und später abgerechnet werden. Das, im Übrigen, noch zu den teuren Sätzen der privaten Krankenversorgung. Das ist extrem bürokratisch und extrem teuer. Wir wollen mit Finanzmitteln des Landes die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen. Hier sind wir in Gesprächen mit den Krankenkassen und die Erfahrungen unserer Nachbarn in Hamburg zeigen, dass hier nicht nur auf kommunaler Seite erhebliche Bürokratie und Kosten abgebaut werden können, sondern dass dieses auch zu einer unkomplizierten und endlich nicht mehr diskriminierenden Handhabung führen wird. Also eine Win-Win-Situation für alle, aber besonders für die Kommunen.
Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass die Kommunen erhebliche Schwierigkeiten haben, die Menschen unterbringen zu können. Wir werden deshalb versuchen, auch an anderen Orten weitere Erstaufnahmeeinrichtungen zu errichten. Gedacht ist dabei an Landesflächen insbesondere in der Nähe von Hochschulen. Deshalb ist der Innenminister hier in Gespräche eingestiegen. Je länger die Menschen in solchen Erstaufnahmeeinrichtungen betreut werden können, je schneller können ihre Anträge bearbeitet werden und je schneller können die Menschen erste Maßnahmen bekommen. Beides wird die Kommunen entlasten.
Dabei möchte ich nicht verhehlen, dass es hier auch möglich sein kann, dass wir in den Sommermonaten auf Zeltunterkünfte und über das ganze Jahr hinweg auf feste mobile Unterkünfte zurückgreifen müssen. Das ist nicht schön, wird sich aber möglicherweise nicht verhindern lassen.
Trotz dieser Probleme bleibt es aber das Ziel, weiterhin eine humane Flüchtlingspolitik zu verfolgen. Dazu zählt auch, dass Menschen, die zu uns flüchten und nichts verbrochen haben, nicht in Haft genommen werden. Die Abschiebehaftanstalt in Rendsburg ist deshalb nach gründlicher politischer Vorbereitung geschlossen worden. Dies wurde im Koalitionsvertrag so vereinbart und bringt daher wenig Überraschung mit sich. Und natürlich wurde in den vergangenen Jahren auch auf Bundesebene für eine Abschaffung der Abschiebehaft geworben. Jedoch fand diese Initiative keine mehrheitliche Zustimmung. An den grundsätzlichen Umständen zeichnet sich derzeit keine Veränderung ab. Von daher sind sämtliche Bestrebungen vorläufig auf Stand-by geschaltet. Ein erneuter Antrag auf Bundesebene für eine Abschaffung der Abschiebehaft wäre somit ein politisches Signal – mehr aber auch nicht. Inhaltlich ist für uns als SSW klar, dass wir zu unserer Aussage stehen, die Abschiebehaft nicht anwenden zu wollen. Es könnte jedoch ein Zeitpunkt kommen, zu dem wir auf Landesebene rechtlich gezwungen sind, von der Abschiebehaft oder einem Gewahrsam Gebrauch zu machen. In einem solchen Fall gilt für uns als SSW natürlich die Maßgabe, die Menschen eher in Gewahrsam nehmen und dies gleichzeitig so wenig freiheitseinschränkend wie möglich auszurichten. Ich glaube, da gibt es vielerlei Möglichkeiten, die die Landesregierung nutzen kann, damit eine klassische Abschiebehaft nicht gänzlich zum Tragen kommt. Fakt ist, dass ein solches Szenario trotz allem nicht ausgeschlossen werden kann. Von daher vertrauen wir als SSW darauf, dass der Innenminister sich dieser Problematik bewusst ist und zu gegebener Zeit, für die Abschaffung der Abschiebehaft erneut auf Bundesebene wirbt. Derzeit haben wir wenige Erfolgsaussichten. Dafür reicht ein kurzer Blick auf die jeweiligen Positionen im Bundesrat. Von daher geht der Antrag der Piraten völlig an der Sache vorbei und würde dabei höchstens in der Vitrine landen. Trotzdem halten wir natürlich an unserem politischen Ziel fest; der Abschaffung der Abschiebehaft.
Ein auf der Hand liegendes Thema, für das sich aus unserer Sicht sehr wohl Mehrheiten finden könnten, wäre für eine Öffnung der Migrationsberatung. Bisher sind sämtliche Maßnahmen die vom Staat bereitgestellt werden können, an den jeweiligen Aufenthaltsstatus gebunden. Was sich im ersten Moment vielleicht nicht ganz verkehrt anhört, erweist sich im Alltag als quasi unüberwindbare Hürde. Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthaltsstatus haben keinerlei Ansprüche auch Leistungen wie professionelle Migrationsberatung, Bildungskurse oder den Zugang zur legalen Arbeitsaufnahme. Der Staat verhindert derzeit den wichtigsten Faktor zur Teilhabe und Integration, nämlich die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Wir vom SSW wollen uns nicht mit dieser Ausgangsposition zufrieden geben. Die Menschen, die zu uns kommen, sind willig einen anderen Weg zu gehen, als der, den das System derzeit vorschreibt. Diesen Weg wollen wir für diese Menschen öffnen. Eine Bundesratsinitiative zur Öffnung der Migrationsberatung ist daher ein Schritt, von vielen. Nichtsdestoweniger ist genau hier die richtige Stelle, um eine Veränderung des Systems voranzubringen. Die Migrationsberatungsstellen sind die erste Anlaufstelle, um an Informationen zu gelangen und um eine erste Orientierung überhaupt möglich zu machen.
Ein jeder Anfang ist ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Von daher sind die Maßnahmen, die am Anfang eines jeden Aufenthaltes stehen, von besonderer Bedeutung. Derzeit steht am Anfang für die Menschen, die zu uns kommen, nur sehr wenig zur Verfügung, jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir ihnen eigentlich alles anbieten könnten. Für uns als SSW steht fest, dass diejenigen, die zu uns kommen vom ersten Tag an lernen, arbeiten, teilnehmen und vor allem etwas zum Alltag hier bei uns in Schleswig-Holstein beitragen können. Bis dahin ist es noch ein Stück zu gehen. Mit der Öffnung der Migrationsberatung für alle Ankömmlinge, wäre ein weiterer, wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan.
Und deshalb fordern wir vom Bund, dass Integrationskurse vollständig für alle geöffnet werden, die zu uns kommen. Das Erlernen der deutschen Sprache und das Kennenlernen unserer Kultur dürfen nicht von Aufenthaltsstatus der jeweiligen Personen abhängen. Wenn wir wollen, dass die Menschen sich hier bei uns integrieren, dann müssen wir ihnen auch die Chance dazu geben. Dann muss es auch eine Möglichkeit geben, die rechtliche Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu verbessern. Und dann muss man den Asylsuchenden auch Möglichkeiten geben, eine Ausbildung aufzunehmen oder eine Arbeit anzunehmen. Hier fordern wir den Bund auf, endlich entsprechende moderne Regelungen zu schaffen.
Und genauso ist es mit der Gesundheitskarte. Wir gehen hier in Schleswig-Holstein einen wichtigen Schritt, indem wir diese Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen. Aber auch dies ist eigentlich eine nationale Aufgabe. Deshalb muss der Bund auch hier für eine gesicherte bundesweite Finanzierung sorgen, damit alle Flüchtlinge in Deutschland die gleichen Möglichkeiten haben. Und letztendlich muss der Bund Vorreiter für eine humane Flüchtlingspolitik in Europa sein und hier insbesondere auf Ebene der EU dafür Sorge tragen, dass Humanität das oberste Ziel einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik ist und dass alle Staaten sich gemeinsam an dieser Herausforderung beteiligen.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, wir nehmen alle Herausforderungen als rot-grün-blaue Koalition an. Wer sagt, eine verstärkte Abschiebung dieser armen Menschen ist die Lösung, der handelt unchristlich – vielleicht hilft ja das bei einigen – und der handelt nach meiner Auffassung auch unmenschlich. Wir tun das nicht. In unserem Weltbild sind kein Platz für Fremdenhass, kein Platz für Ausgrenzung und kein Platz für irgendwelche dumpfen Parolen. Bei uns ist nur Platz für Herzlichkeit, Freundschaft und einem ehrlichen Willkommen.