Rede · 28.04.1995 Suchthilfebericht 1995

In unserer letzten Debatte über die Drogenpolitik des Landes hat die Ministerin in Verbindung mit meinem Redebeitrag darauf verwiesen, daß es nie eine suchtfreie Gesellschaft geben wird. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen, Frau Ministerin, zu sagen, daß ich mit Ihnen da völlig einer Meinung bin. Die völlige Drogenfreiheit in Schleswig-Holstein ist eine - zugegebenermaßen schöne - Utopie, die wir nie zum Maßstab unseres Handelns machen dürfen.

Wenn wir nicht auch Teilerfolge akzeptieren, vernachlässigen wir unsere Pflicht gegenüber denjenigen suchtkranken Mitbürgern, die sich von ihren Süchten niemals werden befreien können. Unser Ziel muß es vornehmlich sein, eine auf die Bedürfnisse und den Willen der Person zugeschnittene Hilfe anzubieten, verschiedene Abstufungen von Daseinerleichterungen und Therapie aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wir müssen die Suchtkrankenhilfe als Angebot an die Betreffenden begreifen. Schweden hat uns leider ganz gut vorexerziert, wie man die Drogentherapie staatlich auferlegen kann ohne einen Schritt weiterzukommen. Die Anfälligkeit für den Konsum von Suchstoffen werden wir nicht dadurch ändern, daß wir die bereits Drogenkranken auch noch gerichtlich verfolgen. Im Umgang mit Süchtigen kann nur die Maxime der Schadensbegrenzung für die Einzelne und den Einzelnen gelten.

Zur Verhinderung des Entstehens solcher Probleme kommt nur der vorbeugenden Gesundheits- und Sozialpolitik eine Bedeutung zu. Es ist erfreulich, daß Frau Ministerin Moser offenkundig anstrebt, die Sucht- und Drogenaufklärung in ein breiter angelegtes Konzept der Gesundheitsförderung zu integrieren. Wir müssen weg von dem unheilvoll mystischen Dunstkreis, der den illegalen Drogenkonsum umgibt. In diesem Zusammenhang ist es wirklich beschämend, daß die Beteiligung des Bundes an der Prävention sich auf die Hochglanzbroschüren des Herrn Lintner und den Gruß des Bundesgesundheitsministers auf den Zigarettenschachteln begrenzt.

Erfreulich ist, daß auch der Suchthilfebericht erkennt, daß es hier nicht nur um verhaltensändernde Maßnahmen gehen kann. Wenn wir nicht nur die Symptome bekämpfen wollen, müssen wir auf soziale und vor allem auch sozialpolitische Ursachen der Drogensucht zu sprechen kommen. Unser direkter Beitrag als Landesparlament kann doch gerade darin liegen, die Gesellschaft so zu prägen, daß nicht so viele davor in den Rausch flüchten müssen!

Wenn es aber dennoch so weit kommt, dann reicht es wahrlich nicht aus, nur mit der moralischen Knute und dem Strafrecht daherzukommen. Wir müssen endlich mit den Denkverboten überalterter und vor allem hinderlicher Wertvorstellungen aufräumen, wenn wir dem Ganzen zu Leibe rücken wollen. Wir müssen vernünftig und sachlich darüber sprechen können, was die beste Ersatzdroge für eine heroinabhängige Fixerin ist. Selbst wenn wir zu dem Ergebnis kommen, daß den Abhängigen am besten durch die zur orale Aufnahme bestimmte Vergabe von reinem Heroin gedient ist, ist es unsere verdammte Pflicht, ideologische Brillen und kleinkarierte Denkmuster abzulegen. Wir müssen der Verantwortung für die Betroffenen gerecht werden!

Gerade in bezug auf die „weiche“ Droge Cannabis hat uns die schleswig-holsteinische Umsetzung des § 31a Betäubungsmittelgesetz weitergeholfen. Mit der provisorischen Entkriminalisierung in diesem Bereich haben wir endlich erreicht, daß Jugendliche sich konstruktiv und rational mit der Droge auseinandersetzen können. Es liegt doch auf der Hand, daß die nüchterne Betrachtung von Haschisch - wie sie hierzulande und auch in Dänemark praktiziert wird - einen großen Fortschritt für die Vorsorge bedeutet hat. Die weniger gefühlsmäßige Stimmung hat zur Folge, daß in Aufklärungsveranstaltungen jetzt wesentlich leichter über die Gefahren häufigeren Benutzens gesprochen werden kann. Wir sollten jungen Menschen die Möglichkeit bieten, einen vernünftigen und selbstverantwortlichen Umgang mit Haschisch zu erlernen. Wir können Ihnen nur zu einer realistischen Einschätzung der Droge verhelfen, indem wir nüchtern über die Nachteile häufigen Konsums aufklären. Hierin sehe ich keinen Widerspruch zum Präventionsgedanken.

Ich möchte daher die Bemühungen der Sozialministerin unterstützen, die darauf gerichtet sind, eine völlige Entkriminalisierung des Konsums von Cannabisprodukten zu erreichen. Aber ich muss auch sagen: Erfahrungen aus dem dänischen Sozialprojekt Christiania in Kopenhagen, in dem Cannabisprodukte frei gehandhabt werden haben gezeigt, daß die Dealer harter Stoffe die Nähe zu Cannabis-Freistätten gesucht haben, um Ihre gefährliche Ware abzusetzen. Die Christianiten haben nicht vermocht, diese Leute von ihrer Gemeinschaft fernzuhalten. Wir müssen unter Einbeziehung der holländischen und dänischen Erfahrungen noch weiter überlegen, wie wir unseren Weg der Eröffnung legaler Beschaffungsmöglichkeiten gehen können - wie wir die Märkte für Cannabis und für gefährlichere Drogen effektiv trennen können.

Apropos Markt: Es läge mit dann auch sehr am Herzen, dass wir uns zu gegebener Zeit über ein Verbot der Werbung für Cannabis einigen könnten. Ich traue den Marktstrategen einen verantwortlichen Umgang mit einer so heiklen Materie nicht zu.

Ich kann die Drogenpolitik der Landesregierung also zum Teil mittragen, sehe aber ebenfalls Verbesserungsmöglichkeiten in manchen Bereichen. Beispielsweise muß sich die Landesregierung in Bonn dafür einsetzen, daß sich die Krankenkassen nicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn es um die psychosoziale Begleitung bei den Ersatzdrogenprogrammen geht. Es leuchtet wohl allen ein, daß wir nicht weit kommen, wenn wir einfach Ersatzdrogen verteilen lassen, ohne den Süchtigen auch zu helfen, wieder Tritt zu fassen. Für langjährige Drogensüchtige kostet es schier Unmögliches, sich aus dem Drogenmilieu zu lösen, das schließlich oft genug ihre einzige zwischenmenschliche Basis bedeutet. Sie müssen häufig erst ins soziale Nichts springen, um in Teile unserer Gesellschaft wieder vollständig integriert werden zu können. Für die meisten von uns ist es wohl nur schwer vorstellbar, wieviel Kraft so etwas kostet. Dafür müssen wir ausreichende Hilfe anbieten. Außerdem ist darüber nachzudenken, ob wir nicht für weniger leistungsfähige Ex-Junkies mehr Teilzeitarbeitsplätze schaffen können.

In meinem anfangs schon angesprochenen Redebeitrag zur Drogenpolitik-Debatte im November habe ich gesagt, daß ich offen für Argumente bin, wenn es um die sogenannte Liberalisierung der Drogenpolitik geht. Wie Sie vielleicht erkennen können, habe ich den Drogenbericht zur Kenntnis genommen und wirklich mit offenen Augen gelesen. Ein liberaler Lösungsansatz der Drogenproblematik scheint mir allemal die bessere Lösung zu sein, wenn die Alternativen strafrechtliche Maßnahmen und eine erdrückende Fürsorge sind.

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