Rede · 16.10.2025 Wir müssen mehr gegen Messergewalt tun

„Es gibt nicht die eine schnelle Lösung. Wir brauchen hier noch einen langen Atem.“

Sybilla Nitsch zu TOP 09 - Kriminalpräventive Initiative zur Bekämpfung der Messerkriminalität (Drs. 20/3464)

Messerkriminalität wird für sich genommen noch nicht lange erfasst. Seit 2020 erfassen das Bundeskriminalamt und die Mehrheit der Landeskriminalämter "Messerangriffe" im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistiken. Wir blicken also eigentlich nur auf fünf Jahre zurück, die wir überhaupt irgendwie einsortieren können und mindestens die Hälfte davon nochmal unter sehr besonderen Umständen. Alle statistischen Ausschläge sind immer auch noch im Zusammenhang mit der Pandemie zu sehen. Trotzdem ist es so, dass die Kriminalitätsstatistiken auch in Schleswig-Holstein aufzeigen, dass die Straftaten unter Verwendung von Messern ansteigen. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass mehr getan werden muss. 
Wir wissen, dass die meisten Fälle von Angriffen mit dem Messer impulsive Taten sind, die in genau so impulsiven Situationen geschehen. Gewalt mit Messern wird bisherigen Erkenntnissen nach sehr häufig in der Öffentlichkeit und am Wochenende in den Abendstunden verzeichnet. Durch verschiedene Maßnahmen in der Pandemie hat es deutlich weniger Großveranstaltungen mit alkoholisierten Menschen gegeben. Dass es da automatisch weniger Fälle gegeben hat, ist daher vielleicht schnell erklärt. Wie die Zahlen davor waren, wissen wir schlicht nicht. Das ist mir vor allem dann wichtig, wenn man sich auf einen Anstieg der Zahlen in den letzten drei Jahren bezieht.

Zu den Anträgen: 
Mir sind zwei Punkte im Koalitionsantrag zu wenig angesprochen. 
Das ist erstens der Ausbau präventiver Angebote und das sind zweitens strafrechtliche Maßnahmen. 
Es gibt laut Koalitionsantrag Gewaltpräventionsprogramme, für die soll aber lediglich weiter geworben werden. Ich sehe das eher wie die SPD, es gibt bisher zu wenig Angebote und sie sollten dringend ausgebaut werden. Und zwar flächendeckend. Der Ansatz, Präventionsangebote für Jugendliche zu stärken ist richtig, aber bitte nicht erst, wenn sie bereits straffällig geworden sind. Vorher muss etwas geschehen. 
Der zweite Punkt ist einer, der im Bund beschlossen werden muss.  
Im Bundeskoalitionsantrag findet sich ein kurzer Absatz zur Messerkriminalität: Die neue Regierung will prüfen, inwieweit Strafen im Zusammenhang mit Messergewalt verschärft werden können. „Wir prüfen, inwieweit gefährliche Körperverletzungen mittels einer Waffe oder eines Messers beziehungsweise mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung künftig als Verbrechen geahndet werden können.“ 
Warum das weder im Antrag der Koalitionsfraktionen noch im SPD-Antrag angesprochen wird, ist mir ehrlich gesagt nicht klar. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich würde mich bei Körperverletzungen mit einem Messer als Tatwaffe nicht für ein niedriges Strafmaß verkämpfen.  Messer gehören zu den gefährlichsten Waffen. Nicht nur, weil sie so leicht erhältlich sind, sondern auch weil Taten mit ihnen oft tödlich enden. 
Was mich abschließend am SPD-Antrag irritiert, ist der Hinweis auf die Staatsbürgerschaft der Tatverdächtigen. Es stimmt, nicht-deutsche Staatsbürger sind hier statistisch überrepräsentiert. Aber das ist einfach verkürzt dargestellt. Die Herkunft oder die Staatsbürgerschaft eines Menschen ist nicht der ausschlaggebende Faktor. Es sind vor allem schlechte soziale Rahmenbedingungen, die Risikofaktoren für kriminelles Verhalten sind. Hier liegt das Problem. Denn nach wie vor sind davon vor allem migrantisierte Menschen betroffen. Fehlendes oder sehr niedriges Einkommen, Wohnorte in sogenannten sozialen Brennpunkten oder posttraumatische Belastungsstörungen bei Menschen mit Fluchtgeschichte, das sind die entscheidenden Faktoren. 
Was ich hingegen völlig zurecht in Ihrem Antrag benannt finde, ist, dass es sich bei nahezu 90% der Tatverdächtigen um Männer handelt. Messerkriminalität und Männlichkeitsnormen sind eng miteinander verwoben. 
Für uns als SSW stehen vor allem zwei Zusammenhänge, die beide bereits empirisch untersucht sind, im Vordergrund: 
Erstens, psychische Vorbelastungen kommen bei verurteilten Gewalttätern, die Messer nutzen, häufiger vor. 
Zweitens, immer wieder lassen wissenschaftliche Studien keinen anderen Schluss zu, als dass Männlichkeitsnormen einer der Hauptgründe sind, überhaupt ein Messer zu tragen. 
Abhilfe können demnach nur therapeutische Hilfsangebote für psychisch Erkrankte und andere,  empathische, zur Selbstkontrolle anregende Männlichkeitsnormen schaffen. 
Ich könnte mir daher tatsächlich gut vorstellen, das Thema noch einmal weiter im Ausschuss zu bewegen, auch um noch einmal vertiefend auf ein paar Fragen aus dieser Debatte eingehen zu können. Bevor ich endgültige Schlüsse ziehe, würde ich eigentlich noch einmal gerne der Landesregierung die Möglichkeit geben, die Gewaltspräventionsprogramme in Schleswig-Holstein darzustellen. Ich würde mich auch über ein Update darüber freuen, wie die Gewaltpräventionsambulanzen mittlerweile laufen. 
Oder auch: woran das Vorankommen bei der Überprüfung der Straftaten, die mithilfe von Messern begangen wurden, eigentlich gerade scheitert. 
Klar ist jedoch schon jetzt: Es gibt nicht die eine schnelle Lösung. Wir brauchen hier noch einen langen Atem.

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