Rede · 25.05.2005 zur Regierungserklärung von Peter Harry Carstensen
Die fetten Jahre sind vorbei heißt ein aktueller deutscher Film, und in der Tat scheint dieser Filmtitel auszudrücken, was viele Menschen - auch in Schleswig-Holstein - im Jahre 2005 befürchten, wenn sie an ihre Zukunftsaussichten denken. Es hat sich das dumpfe Gefühl breit gemacht, dass die Bundesrepublik den großen Herausforderungen in Zeiten einer globalisierten Weltwirtschaft immer weniger genügt. Dabei hat viele Bürgerinnen und Bürger am meisten verunsichert, dass die Arbeitslosenzahlen im Januar 2005 zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik auf über 5 Millionen angestiegen sind. Die Menschen haben schlichtweg Angst um ihre Zukunft - und wer will es ihnen verdenken.
Es ist ja kein Zufall, dass die Kapitalismus-Kritik des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering den Nerv vieler Bürger trifft auch wenn der Anspruch der Regierungspartei SPD und das Regierungshandeln der SPD -geführten Bundesregierung dabei weit auseinander klaffen. Viele Arbeitnehmer fühlen sich angesichts der massiven Arbeitsplatzverluste machtlos und im Stich gelassen. So sehen große Teile der Mittelschicht die Einführung von Hartz IV nicht als Teil der notwendigen Modernisierung des Staates, sondern als Vorbote des sozialen Abstiegs.
Der Glaube daran, dass die Politik diese Probleme in einer globalisierten Welt in den Griff bekommt, ist vielen Menschen leider abhanden gekommen.
Zu oft haben Politikerinnen und Politiker jedweder Parteifarbe sie enttäuscht. Darüber können die letzten Wahlerfolge von CDU und FDP auch nicht wirklich hinwegtäuschen. Denn den Umfragen nach glauben die Menschen auch nicht, dass diese Parteien die dringenden Zukunftsfragen lösen können. Dabei wissen die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl, dass Reformen notwendig sind, um das Land wieder auf die Beine zu bringen. Aber sie wollen gerechte Reformen, die nicht nur auf den Rücken der sozial Schwachen ausgetragen werden. Und sie wollen Reformen, die funktionieren und kein Stückwerk sind oder im politischen Kampf zwischen Bundestag und Bundesrat bis zur Unkenntlichkeit zerrieben werden.
Vor diesem bundespolitischen Hintergrund und auch wegen der vielen hausgemachten Probleme kann es am Ende - trotz der großen Beliebtheit von Heide Simonis - nicht überraschen, dass auch die rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein bei der Landtagswahl im Februar mit starken Stimmenverlusten abgestraft wurde. Allerdings bekam keiner der beiden politischen Blöcke im Landtag eine eigene Mehrheit. In dieser Situation war es für den SSW ganz natürlich, das Land nicht unregierbar zu machen und auf der Grundlage seiner Wahlziele Verantwortung zu übernehmen. Es gab deshalb nach dem 20. Februar mit der Tolerierung einer Minderheitsregierung durch den SSW eine Alternative, die das Parlament gestärkt und für Schleswig-Holstein eine neue politische Kultur bedeutet hätte. Dazu steht der SSW weiterhin.
Es hat dann nicht sein sollen. Die Gründe sind bekannt und hinreichend debattiert worden. Auch aus unserer Sicht gab es nach der gescheiterten Wahl der Ministerpräsidentin am 17. März nur noch die Möglichkeit, eine Große Koalition von CDU und SPD zu bilden, wenn man nicht Neuwahlen wollte. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, das wir eine Großen Koalition kritiklos unterstützen werden. Der SSW wird die neue Landesregierung an ihren eigenen Ansprüchen und Taten messen: Wir werden etwaige Schwächen und Ungereimtheiten klar ansprechen - wann immer es nötig ist. Wir werden aber auch - als kritische und konstruktive Oppositionspartei wie in der Vergangenheit versuchen, mit eigenen Vorschlägen und Initiativen, die Mehrheit dieses Hauses von unserer Politik zu überzeugen. Das entspricht unserem skandinavischen Politikverständnis und wird unserer Verantwortung dem Land und den Wählerinnen und Wählern gegenüber gerecht.
Dennoch ist die Ausgangslage eine andere als bei früheren Landesregierungen. Denn mit der Bildung einer Großen Koalition betritt Schleswig-Holstein absolutes Neuland. Die beiden Koalitionspartner waren sich bisher nur in ihrer politischen Ablehnung herzlich einig, und man wird sehen, ob diese Koalition wirklich vernünftig regieren kann oder ob es eine Notlösung bleibt, die sich nur auf einem Minimalkonsens einigen kann.
Große Koalitionen sind immer großer Stillstand. so äußerte sich erst jüngst der neue Generalsekretär der FDP, Dirk Niebel, mit Verweis auf die Bonner Erfahrungen aus den 60er Jahren. Auf Landesebene gibt es vielleicht in dem einem oder anderen Bundesland bessere Erfahrungen. Aber auch für den SSW gilt: Die Große Koalition in Schleswig-Holstein muss ihren Wert erst beweisen.
Der neue Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen hat in seiner Regierungserklärung sehr deutlich gemacht, dass Schleswig-Holstein vor enormen Herausforderungen steht. Er hat in seiner Regierungserklärung schonungslos die Probleme des Landes angesprochen. Schleswig-Holstein hat mit fast 165.000 Arbeitslosen den höchsten Stand seit Anfang der 50´er Jahre zu verzeichnen. Auch das Wirtschaftswachstum in Schleswig-Holstein hat sich in den letzten Jahren sehr mäßig entwickelt, und die Investitionsquote ist viel zu niedrig.
Die größte Herausforderung sind die leeren Kassen und der Schuldenberg des Landes. Die neue Steuerschätzung mit ihrem Milliarden-Loch für Schleswig-Holstein ist katastrophal, aber nicht überraschend und zeigt, dass wir einen sehr langen Atem in der Finanzpolitik brauchen. Deshalb ist klar, dass es eine der zentralen Aufgaben dieser Legislaturperiode ist, eine solide und nachhaltige Finanzpolitik zu führen.
Aus Sicht des SSW ist es dabei positiv, dass auch die CDU eingesehen hat, dass das Land mit Sparen allein nicht aus der Krise herauskommt. Es bleibt also dabei: Wir können das Land nicht kaputt-sparen, weil wir einen finanziellen Spielraum für politische Akzente beibehalten müssen. Das Land braucht weiterhin Geld für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Technologie.
Der SSW fordert die Landesregierung dazu auf, verbindliche und transparente Kriterien für die Sanierung des Haushalts aufzustellen. Es muss klar gesagt werden, wo man sparen will und welche Strukturänderungen - z.B. in den Verwaltungen des Landes - durchgeführt werden sollen. Aus der Regierungserklärung geht dies noch nicht ausreichend hervor. Eine Sparpolitik nach dem Rasenmäherprinzip lehnen wir jedenfalls weiter ab. Es muss deutlich werden, wohin die Reise geht, und welche Ziele mit den Sparmaßnahmen verwirklicht werden sollen. Allerdings streuen diejenigen der Öffentlichkeit Sand in die Augen, die behaupten, dass Schleswig-Holstein allein durch eine massive Senkung der Ausgaben seinen Haushalt sanieren könnte. Wir brauchen auch höhere Einnahmen. Finanzminister Wiegard hat im Finanzausschuss darauf hingewiesen, dass die Steuereinnahmen im diesem Jahr nur noch auf dem Niveau von vor 1998 sind.
Deshalb muss sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine Politik einsetzen, die zum wirtschaftlichen Aufschwung, zum Abbau der Arbeitslosigkeit und somit zu höheren Steuereinnahmen führt. Alles dies kündigt der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung an. Allerdings kann man sich schon über den richtigen Weg dahin streiten. Denn aus Sicht des SSW kann sich Schleswig-Holstein weitere Steuersenkungen nicht leisten. In dieser Situation würden weitere Steuergeschenke für Unternehmen und Spitzenverdiener nur noch größere Löcher in die Kassen der Gemeinschaft reißen. Die Bundesregierung hat ja der Wirtschaft und den Bürgerinnen und Bürgern bereits mit ihrer Steuerreform über 50 Mrd. Euro steuerliche Entlastungen beschert. Bisher sind diese Steuerentlastungen fast ohne jede Wirkung verpufft. Deshalb ist es schon verwunderlich, dass man dem kranken Patienten weiterhin genau diese Medizin verpassen will.
Um das Wirtschaftswachstum voranzubringen, die Arbeitslosigkeit zu senken und somit die Steuereinnahmen zu erhöhen, muss auch der Umbau der Sozialsysteme vorangebracht werden.
Dabei unterstützt der SSW eine Senkung der Lohnnebenkosten durch die schrittweise Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wichtig ist, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht für die Haushaltsanierung benutzt werden darf, sie könnte die öffentlichen Finanzen dennoch positiv beeinflussen. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im Frühjahr Berechnungen darüber vorgelegt, welche Auswirkungen so eine Initiative haben würde, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft. Bei einem Schrittweisen Vorgehen über mehrere Jahre könnten bis zu einer Million neuer Arbeitsplätze entstehen, und gleichzeitig würde die finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte und der Sozialkassen stark verbessert werden.
Die alte Landesregierung hatte entsprechende Initiativen im Bundesrat angekündigt. Wir hoffen, dass die neue Regierung sich dem anschließen wird. Denn es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen, die diese Forderung unterstützen. Auch der Präsident der Handwerkskammer Flensburg, Carsten Jensen, befürwortet dieses Modell nach skandinavischem Vorbild. Denn gerade in den lohnintensiven Bereichen wie Handwerk, Bau und Dienstleistung könnten dadurch neue Arbeitsplätze entstehen. Das in der Regierungserklärung erwähnte Magdeburger Modell zur Senkung der Lohnnebenkosten bei den untersten Lohngruppen ist zwar ein vernünftiger Anfang, greift aber aus unserer Sicht dennoch zu kurz.
Kurzfristig geht es jedoch auch darum, Einnahmeverbesserungen der öffentlichen Hand über eine bessere Binnenkonjunktur zu erreichen. Deshalb müssen das Land und der Bund alles unternehmen, um die Binnennachfrage zu stärken. Dazu sollten wir in Schleswig-Holstein vor allem die Investitionen im Straßenbau, im Wohnungsbau, für die Werften oder für regionale Projekte auf so hohem Niveau wie möglich weiterführen. Dies stärkt die heimische Wirtschaft, insbesondere die Bauwirtschaft, die in den letzten Jahren schwer gelitten hat.
Aber auch bei den Investitionen muss man Prioritäten setzen. Der SSW fordert deshalb die Landesregierung auf, den Ausbau des Flughafens Kiel-Holtenau endlich ad acta zu legen. Angesichts der katastrophalen Lage der Landesfinanzen muss die Landesregierung verantwortungsvoll handeln und das Geld stattdessen in zukunftsträchtige Projekte stecken.
Die Einführung des Tariftreuegesetzes bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen hat sich für die schleswig-holsteinische Wirtschaft zu einem wichtigen Faktor entwickelt. Das Gesetzt trägt nämlich zu einem fairen Wettbewerb bei, indem es Lohndumping - insbesondere von ausländischen Unternehmen - verhindern. Der SSW fordert daher, dass das Tariftreuegesetz nicht wie geplant in dieser Legislaturperiode ausläuft, sondern verlängert wird.
Der SSW will die soziale Verantwortung für die Wirtschaft und einen aktiven Staat, der vernünftige Rahmenbedingungen schafft. Die Forderung der Regierungserklärung nach einer Vorfahrtsregel für Wirtschaft und Arbeit hört sich zwar auf dem ersten Blick gut an, es kommt aber sehr auf die praktische Umsetzung an. - Erst einmal trägt die Landesregierung ja mit ihrer Ankündigung, die Zahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter im Landesdienst deutlich zu senken zu einer höheren Arbeitslosigkeit bei.
Der Ministerpräsiden hat Recht, wenn er sagt, dass Schleswig-Holstein ein guter Standort für die Wirtschaft ist. Dies war übrigens schon vor dem 20. Februar so. Das belegen auch Zahlen der Wirtschafts- und Technologietransferzentrale Schleswig-Holstein GmbH, die besagen, dass Schleswig-Holstein seinen Anteil an den Unternehmensansiedlungen in 2004 mit 29% nochmals steigern konnte. Diese positive Entwicklung muss die Landesregierung mit gezielter Förderung weiterhin aktiv begleiten. Dabei unterstützen wir, dass die einzelbetriebliche Förderung wieder eine wichtigere Rolle bei der Wirtschaftsförderung des Landes bekommen soll.
Gerade die Ostseekooperation ist eine große Chance zur weiteren wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Schleswig-Holsteins. Wir begrüßen daher, dass der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung auf die verstärkte Ostseekooperation mit den neuen EU-Mitgliedern hinweist. Wir hoffen, dass die Ankündungen, die Ostseekooperation auszubauen und zu vertiefen, auch in die praktische Regierungsarbeit einfließt. In den letzten Jahren hat man sich zu wenig um diesen wichtigen Teil der schleswig-holsteinischen Landespolitik gekümmert.
Diese Kritik gilt in gewisser Weise auch für die deutsch-dänische Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: Der SSW vermisst weiterhin entscheidende Perspektiven für die deutsch-dänische Zusammenarbeit. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit spielt in der Regierungserklärung leider keine Rolle. Auch über die Kooperation der Flensburger Hochschulen mit der Syddansk Universität wird keine Silbe verloren. Eine stärkere deutsch-dänische Zusammenarbeit ist aber eine wichtige Zukunftsperspektive nicht allein für die nördliche Region, sondern für Schleswig-Holstein insgesamt. Deshalb muss endlich ein Leitbild für die deutsch-dänische Zusammenarbeit entwickelt werden. Wenn sich die dänischen Ämter ab 2007 zur Region Syddanmark zusammenschließen, wird die Landesregierung als direkter Partner der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wieder wichtiger werden.
Regionalpolitisch befürchtet der SSW, dass der Norden des Landes im Vergleich zur Achse Kiel, Lübeck- Hamburg vernachlässigt wird. Die Große Koalition starrt gebannt auf die Metropolregion Hamburg und guckt dabei mit dem falschen Ende des Fernrohres auf den Norden. Wenn sich der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung zum ländlichen Raum bekennt, dann muss seine Regierung gerade auch ihr Augenmerk auf den strukturschwachen Landesteil Schleswig richten. Dabei geht es uns aber darum, dass in dieser Region nicht nur die Landwirtschaft und der Tourismus gefördert werden.
Der SSW fordert, dass sich auch andere zukunftsfähige Branchen im Norden entwickeln können. Wir erwarten daher, dass sich die Landesregierung klar zur Förderung der wirtschaftspolitischen Cluster in Flensburg und Husum bekennt. Dazu gehört auch, dass der Ausbau der Windenergie weiterhin hohe Priorität genießt, damit das wirtschaftliche Potenzial des Nordens voll ausgeschöpft werden kann.
Für den nördlichen Landesteil mit seinen über 300 Kommunen wäre auch eine Verwaltungs- und Gebietsreform zur Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wichtig. Die bisherigen Vorschläge der Landesregierung für eine Verwaltungsstrukturreform ohne Gebietsreform sind aber weder wirkungsvoll noch sehr mutig. Wir meinen, dass die Reformen am schwächsten Glied bei den Kommunen anfangen müssen. Dabei haben 30 Jahre Freiwilligkeit gezeigt, dass wir so nicht weiterkommen. Wir brauchen eine Kommunalreform, die größere und stärkere Kommunen schafft, und nicht nur eine Reform der Verwaltungen, wie es in der Regierungserklärung angekündigt wird. Deshalb muss die Landesregierung Druck machen und bis zur nächsten Kommunalwahl auf gesetzlichem Weg die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Wichtig ist aber auch, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine kommunale Finanzreform einsetzt, denn die Kommunen stecken nicht zuletzt wegen der zusätzlichen Kosten durch Hartz IV in einer schweren Finanzkrise. Im übrigen ist es in diesem Zusammenhang ziemlich dreist, wenn die Bundesregierung im Herbst wegen der explosiven Kostenentwicklung bei Hartz IV Nachforderungen an die Kommunen stellen will. Ausgangspunkt war einmal, dass die Kommunen durch Hartz IV finanzielle Entlastungen bekommen sollten. Die Arbeitsmarktreform Hartz IV erweist sich immer mehr als eine katastrophale Fehlleistung der Bundesregierung.
Es muss endlich darum gehen, dass die Bundesagentur die Arbeitslosen vermittelt und nicht nur verwaltet. Zu einer modernen Arbeitsmarktpolitik gehören also nicht nur Pflichten für Arbeitslose, sondern auch Rechte. Der SSW will weiterhin eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die den arbeitslosen Menschen das Recht zusichert, spätestens nach einem Jahr ein Jobangebot, ein Weiterbildungsangebot, ein Qualifizierungsangebot oder ein Ausbildungsangebot zu erhalten. Mit so einem Angebot entgehen wir, dass die Menschen überhaupt erst in die Langzeitarbeitslosigkeit kommen, aus der es so schwer ist herauszukommen. Auch wenn der Ministerpräsident neue arbeitsmarktpolitische Konzepte ankündigt, haben wir die Befürchtung, dass die neue Regierung diese aktive Arbeitsmarktpolitik nicht wirklich will oder meint, sie sich nicht mehr leisten zu können. Die Förderung des 2. Arbeitsmarktes muss aber aus unserer Sicht unbedingt erhalten bleiben.
Bei der zu erwartenden harten Sparpolitik werden wir darauf achten, dass die soziale Balance im Land nicht gefährdet wird. Bereits heute stehen viele sinnvolle soziale Einrichtungen unter starkem Umstrukturierungsdruck oder sie sind in Gefahr geschlossen zu werden. So droht z.B. die Infrastruktur der Jugendaufbauwerke in Schleswig-Holstein zusammenzubrechen. Die Jugendaufbauwerke in Schleswig-Holstein leisten seit Jahrzehnten hervorragende Arbeit für die berufliche Zukunft der Jugendlichen in unserem Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Einrichtungen durch eine widersinnige Ausschreibungspraxis zerstört werden. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sich auf Bundesebene für den Erhalt solcher Strukturen einsetzt.
Der SSW wird die Landesregierung auch an ihr Versprechen erinnern, dass bei den Kindertagesstätten nicht gespart werden soll. Wer die niedrige Geburtenrate in Schleswig-Holstein bedauert, muss handeln, indem er z.B. mehr Kita- und Krippenplätze schafft. Dabei brauchen wir den Blick nicht nur nach Skandinavien richten. Auch in Frankreich und Großbritannien gibt es heute bei den Frauen eine höhere Erwerbsquote als bei uns, weil es dort bessere Rahmenbedingungen für die Kinderbetreuung und für Familien gibt. Es ist daher eine gemeinsame Aufgabe des Landes und der Kommunen, in diesem sensiblen Bereich nicht zu kürzen und genügend Kinderbetreuungsplätze für 0 bis 6-Jährige zu schaffen. Eine solche Infrastruktur der Kinderbetreuung gehört zu einem modernen und zukunftsfähigen Gemeinwesen einfach dazu.
Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat ja gesagt, dass Schleswig-Holstein seine Braut ist. Wir hoffen deshalb, dass der Ministerpräsident seine neue Braut ordentlich behandelt und dass er nicht der letzte Ministerpräsident Schleswig-Holsteins sein wird. Der SSW will also keinen Nordstaat. Wir brauchen aber eine Föderalismusreform, damit die Bundesländer lebensfähig bleiben. Es müssen endlich klare Zuständigkeiten, weniger zustimmungspflichtige Gesetze und im Gegenzug mehr Handlungsspielräume für die Länder in wichtigen Politikfeldern geschaffen werden. Die Landesregierung und der Landtag müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit wir endlich eine echte Reform unseres Föderalismus hinbekommen.
Manche Versprechungen aus dem Wahlkampf müsste die CDU-geführte Landesregierung bereits angesichts der realen Faktenlage wieder einsammeln. So zum Beispiel in der Umweltpolitik, denn die Landesregierung hat bisher keine klare Aussage darüber gemacht, wann mit einer kompletten oder teilweisen Rücknahme der noch nicht nach Brüssel gemeldeten Natura-Gebiete zu rechnen ist. Vielleicht liegt es daran, dass die Landesregierung insgeheim eingestehen musste, dass alle bereits gemeldeten Gebiete nicht mehr zurückgezogen werden können.
Die angekündigte Überprüfung der Vogelschutzgebietskulissen auf Eiderstedt und in der Eider-Treene-Sorge-Region begrüßt der SSW. Wir halten es aber für einen Fehler, dass die Landesregierung die Option zur Anhebung der Grünlandprämie rückgängig machen will. Damit schadet sie gerade den Bauern auf Eiderstedt, denen eine Erhöhung der Grünlandprämien in Aussicht gestellt wurde.
In der Regierungserklärung geht der Ministerpräsident verständlicherweise nur zaghaft auf das Thema Gemeinschaftschule ein. Man kann sich daher auch kaum vorstellen, dass die Landesregierung in diesem Bereich wirklich weiterkommt. Der SSW vermisst also im Schulbereich den großen Sprung nach vorn wie es nach PISA eigentlich angemessen wäre. Es wird also in den nächsten Jahren eher darum gehen, Eltern, Lehrer und Schüler davon zu überzeugen, dass Schulstrukturänderungen notwendig sind, wenn man international mithalten will. Allerdings müssen wir auch Änderungen in den Inhalten des Schulunterrichts diskutieren. Nördlich der Grenze will man z.B. in Zukunft die Kreativität der Schülerinnen und Schüler fördern, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen. Man hat also erkannt, dass die herkömmlichen Lernmethoden den wachsenden Anforderungen nicht mehr entsprechen. In diesem Zusammenhang ist es dem SSW völlig unverständlich, dass die neue Landesregierung das Kurssystem der Gymnasien abschaffen und zurück zum Klassenunterricht kehren will. Zurück zur Zukunft scheint dabei das Motto zu sein.
Auch die Weiterentwicklung der Hochschullandschaft muss in Schleswig-Holstein weiterhin Priorität haben. Aber die notwendige Finanzierung darf nicht auf den Rücken der Studierenden ausgetragen werden. Der Studiengebühren-Kompromiss zwischen CDU und SPD, auf den auch der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung hinweist, ist aus unserer Sicht völlig unzureichend. Indem man den Landesparlamenten in Hamburg, Hannover, Schwerin und Bremen die Entscheidung überlässt, verabschiedet man sich praktisch aus der Debatte und gibt den Studiengebühr- Befürwortern nach.
Die Einführung von Studiengebühren löst aber nicht die Finanzierungsprobleme der Universitäten und Fachhochschulen. Sie verkürzt kein Studium, schreckt aber dafür Studierwillige ab. Wir sagen: Bildung muss weiterhin ein kostenloses Gut bleiben, um die soziale Gerechtigkeit zu wahren und den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein zu stärken.
Für den SSW ist es von überragender Bedeutung, dass die erfolgreiche Minderheitenpolitik der letzten 20 Jahre auch von der neuen Landesregierung fortgesetzt wird. Der Ministerpräsident hat bereits erklärt, dass die Minderheitenpolitik für die Landesregierung weiterhin einen hohen Stellenwert hat. Das begrüßt der SSW ausdrücklich. Dazu gehört auch, dass Peter Harry Carstensen mit Caroline Schwarz als Minderheitenbeauftragte eine gute Wahl getroffen hat. Frau Schwarz übernimmt keine leichte Aufgabe. Sie wird ebenso wie ihre Vorgängerin dafür werben müssen, dass die Minderheiten trotz knapper Kassen mit der Mehrheitsbevölkerung gleichgestellt werden. Wir sind aber sicher, dass Caroline Schwarz engagiert und kompetent dazu beitragen wird, dass die Landesregierung dieses Ziel nicht aus den Augen verliert. Wir wünschen ihr viel Erfolg in dem neuen Amt und freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit.
Unser Dank gilt dennoch der bisherigen Minderheitenbeauftragten Renate Schnack, die in den letzten fünf Jahren viel für das positive Miteinander von Mehrheit und Minderheit erreicht hat.
Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen wird am Sonntag zusammen mit dem dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen am traditionellen Jahrestreffen der dänischen Minderheit - dem Årsmøde - in Flensburg teilnehmen. - Hjertlig velkommen, herr minister-præsident, sagen wir. Wir werten Ihren ersten Besuch bei der dänischen Minderheit als ein Signal der Landesregierung, den Dialog mit den Minderheiten des Landes in bewährter Weise fortzusetzen.
Dennoch gilt für die Minderheitenpolitik der Landesregierung das gleiche wie für die übrige Politik: Der SSW wird sie an den konkreten Taten und nicht an den Sonntagsreden messen.
Daher muss ich an dieser Stelle deutlich sagen, dass der SSW über die Ankündigung der Großen Koalition enttäuscht war, dass das so genannten Abschluss-Kommunique erarbeitet in einer Arbeitsgruppe im Bildungsministerium unter Mitwirkung des Dänischen Schulvereins erst 2008 umgesetzt werden soll. Damit rückt die Gleichstellung der Schulen der dänischen Minderheit in weite Ferne. - Nicht zuletzt, weil die Finanzierung der Schülerbeförderung der dänischen Schulen weiterhin ungeklärt ist, obwohl schon Kurt Schulz 1997 als Minderheitenbeauftragter eine gesetzliche Regelung forderte. Übrigens ist dies auch eine Forderung der CDU-geführten Kreise des nördlichen Landesteils. Der SSW wird diese Themen bei den Haushaltsberatungen erneut aufgreifen. Das gleiche gilt für die berechtigten Interessen der friesischen Volksgruppe und deren Institutionen. Auch in Bereich des Friesisch-Unterrichts und der kulturellen Förderung der Friesen gibt es einen Nachholbedarf, den der SSW auf die Tagesordnung setzen wird. Minderheitenpolitik hat mit anderen Worten nichts mit der Verteilung von Wohltaten zu tun. Es geht um Gleichstellung und damit um die gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen. Denn die Angehörigen der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe sind Bürger dieses Landes und Schleswig-Holstein sieht sich selbst, so steht es zumindest in der Landesverfassung, als ein Land mit drei Kulturen: einer deutschen, einer dänischen und einer friesischen Kultur.
Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen sind in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder angesprochen worden. Gefeiert wurden sie am 29.März im Schloss Sonderburg. Minsterpräsident Anders Fogh Rasmussen sagte bei der Gelegenheit: Schloss Sonderburg ist ein schöner und zugleich historischer Ort, um den 50.Jahrestag der Bonn-Kopenhagener Erklärungen zu feiern. Die Geschichte des Schlosses ist auch die Geschichte des Grenzlandes. Schloss Sonderburg wurde von einem dänischen König, Valdemar den Großen, um 1160 als Schutz gegen wendische Angriffe erreichtet. Seitdem hat das Schloss als königliches Gefängnis, als Lazarett und als deutsche Kaserne gedient. All das ist heute Geschichte. Die Konflikte im Grenzland sind ins Museum gewandert dort, wo sie hingehören.
Die Ereignisse nach der Landtagswahl am 20.Februar könnten aber darauf hindeuten, dass es uns noch nicht gelungen ist, alles Gestrige ins Museum zu verfrachten. Wir vom SSW mussten uns vieles anhören, was eigentlich dort hin gehört auch gesagt von Menschen, von denen wir dies nicht erwartet hätten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir - so zu sagen als versöhnlicher Abschluss der Feierlichkeiten zu den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen - dass der ehemalige dänische Außenminister Niels Helweg-Petersen heute im Schleswig-Holsteinischen Landtag eine Rede halten wird. Im Namen des SSW möchte ich mich ausdrücklich bei all denen bedanken, die dieses ermöglicht haben - insbesondere bei Landtagspräsident Kayenburg.
Es gilt also, nach vorne zu schauen, um gemeinsam die erfolgreiche Minderheitenpolitik des Landes weiterzuführen. Minderheitenpolitik im Sinne der Bonn-Kopenhagener Erklärungen ist Friedenspolitik. Nach innen betrachtet, weil keine demokratische Gesellschaft mit sich selbst in Frieden leben kann, wenn sich eine nationale Minderheit nicht als Teil dieser Gesellschaft begreift. Und nach außen hin, weil nur so ein friedliches Zusammenleben von Völkern möglich ist. Dafür lohnt es sich weiter zu streiten und zu kämpfen.