Rede · 19.10.2000 Bericht über den Zivildienst

Eine lange Reihe der sozialen Errungenschaften in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bauen auf den Zivildienst. Mobile soziale Hilfsdienste und die individuelle Betreuung Schwerstbehinderter sind ohne die Zivis" wohl kaum denkbar. Überall wo Menschen von sozialen Einrichtungen gepflegt, betreut und begleitet werden sind sie nicht mehr wegzudenken.

Zivildienstleistende und Teilnehmerinnen und Teilnehmer des freiwilligen sozialen Jahres sind wichtige Bestandteile des sozialen und gesundheitlichen Systems in Deutschland. Sie sind es gerade weil sie einen weniger professionellen Zugangswinkel zu ihrem befristeten Job haben, und deshalb als auf eine besondere Art menschlich erlebt werden. Eines dürfen sie aber nicht sein - Lückenbüßer für das Sozialsystem. Aber auch wenn die Bundesregierung beteuert, eben dieses dürften Zivis auch auf keinen Fall sein, so sprechen die Realitäten eine andere Sprache. Der Zivildienst ist gewiss nicht arbeitsmarktpolitisch neutral. In vielen Bereichen müssen Zivildienstleistende die Arbeit einer vollen Fachkraft leisten. Sie sind vielfach angehalten, ihren Kompetenzbereich zu überschreiten, weil die Versorgung in ihrer Einrichtung sonst gefährdet oder nicht zu leisten wäre. Das ist der Alltag in Deutschland, da helfen nicht noch so viele Beteuerungen.

Umso düsterer ist die Perspektive, dass durch die Verkürzung der Zivildienstzeit oder gar eine Abschaffung der Wehrpflicht dieser Stützpfeiler des sozialen Systems in Deutschland wegbrechen könnte. Da aber andererseits kein Weg an der Verkürzung des Wehrdienstes vorbeiführt, müssen wir Wege finden, damit umzugehen. Der Bericht der Landesregierung macht deutlich, dass die Reaktion auf eine verkürzte Zivildienstzeit an den meisten Stellen wahrscheinlich lediglich Mehrarbeit für die bereits vorhandenen Fachkräfte sein wird. Wir wissen aber alle, wie viel diese ohnehin zu leisten haben - gerade deshalb sind die Zivis ja unentbehrlich. Das ist also eine Lösung, mit der wir nicht leben können, weil der Standard in den Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen würde. Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Qualität in der Pflege wäre dieses absurd. Außerdem gibt es Bereiche wie die individuelle Betreuung von Schwerstbehinderten, die ohne Zivis undenkbar sind. Hier sind gar keine Stammkräfte, die diese Arbeit übernehmen könnten. Wir kommen um die Ersetzung der fehlenden Zivi-Stunden durch andere Arbeitskraft also nicht herum.

Als Alternative zu Zivildienstleistenden wird gegenwärtig über Freiwilligendienste diskutiert. Die sind nicht zuletzt deshalb besonders populär, weil sie wie die Zivis relativ kostengünstig wären. Die in letzter Zeit vorgestellten Konzepte für Freiwilligendienste leiden allerdings alle darunter, dass keine hohe Inanspruchnahme erwartet werden kann. Diesem wird zwar manchen der Modellen durch eine ganze Reihe von Anreizen entgegengewirkt. Aber alle bisher vorgebrachten Modelle haben ihre Tücken. Ich habe bisher keine realistisches und erfolgversprechendes Lösung gesehen. Keiner diesen neuen Modelle kann unsere Bedenken ausräumen, dass es nicht besonders attraktiv sein wird, die Jobs z. B. in der Pflege anzunehmen.

Gerade weil die Zivildienststellen nicht unbedingt Arbeitsstellen sind, die man sich für einen freiwilligen Einsatz aussucht, und weil die Versorgung in vielen Bereichen von den Zivildienstleistenden abhängt, wäre es grob fahrlässig, wenn die Politik sich darauf verlässt, einen reduzierten oder gar irgendwann ganz wegfallenden Zivildienst durch Freiwilligendienste oder gar durch bestehende Fach- und Hilfskräfte ersetzen zu können. Es geht unserer Ansicht nach keinen Weg daran vorbei, die arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu verstärken. Diese Gesellschaft wird sich darauf besinnen müssen, die Ressourcen einzusetzen, die es kostet, mit professionellen Kräften eine menschenwürdige Versorgung für Pflegebedürftige, Kranke oder einfach auf fremde Hilfe angewiesene Menschen professionell zu sichern. So lange nur im Sozialausschuss erörtert wird, dass große Probleme mit der Rekrutierung und dem Verbleib professioneller Pflegekräften besteht, so lange dieses nicht genauso den Finanzpolitikern schlaflose Nächte bereitet, wird dieses Problem nicht gelöst werden können.

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