Rede · 20.09.2023 Der Ausweis ist Pflicht und darf kein Luxus sein
„Die Bürgerinnen und Bürger haben Rechte und Pflichten - der Staat allerdings auch. Wenn er von seinen Bürgerinnen und Bürgern verlangt, sich auszuweisen, dann muss er bei entsprechender Notlage auch Entgegenkommen zeigen.“
Christian Dirschauer zu TOP 12 - Kosten des Personalausweises für Wohnungslose übernehmen (Drs. 20/1173)
Der Personalausweis ist ein Luxus-Artikel; ausgerechnet für die Personen, die dringend auf einen Ausweis angewiesen sind. Dabei ist der Ausweis kein Luxus, sondern Pflicht: alle Deutsche, die älter als 16 Jahre alt sind, müssen sich ausweisen können. Nach dem Personalausweisgesetz verpflichtet der Staat seine Bürgerinnen und Bürger dazu, über einen gültigen Personalausweis zu verfügen. Dieser ist aber nicht kostenlos. Mit Foto und Gebühr kommen da schnell 40 Euro zusammen. Diese Summe ist für viele Wohnungslose nicht zu stemmen. Sie riskieren damit ein Verwarn- bzw. Bußgeld zwischen 20 und 50 Euro. Geld, das sie nicht haben. Ein Teufelskreis.
Dabei ist der Personalausweis wie ein Eintrittsticket zu verschiedenen Dienstleistungen wie beispielweise einem Bankkonto. Ich möchte sogar sagen, dass ein Ausweis der Ausstieg aus der Wohnungslosigkeit bedeuten kann. Aber wer kein Geld hat, dem bleibt dieser Einstieg verwehrt. Der zweite Teufelskreis.
Einige Bundesländer haben schon reagiert: so stellt Berlin Wohnungslosen für einen Ausweis eine reduzierte Gebühr von 10 Euro in Rechnung; Hamburg bietet diesen Service sogar kostenlos an. Soweit erste Daten vorliegen, hat das keine Reisetätigkeit von Wohnungslosen ausgelöst. Kritiker hatten ja befürchtet, dass Hamburg jetzt von Anfragen überrannt werden würde. Das ist nicht der Fall.
Das gute Beispiel des Nachbarn fand in Flensburgs Ratsversammlung Anklang. Ein breites Bündnis wollte in Flensburg auch einen kostenlosen Personalausweis anbieten. Im Behördendeutsch heißt das, dass die Stadt auf die Gebühren verzichten wollte. In der Debatte im Sozialausschuss war man schnell einig: Gebühren von Leuten, die kein Geld haben - das geht gar nicht. Ein kostenloses Angebot würde die Situation der Wohnungslosen erheblich verbessern. Und wenn man schon dabei ist, könnte man auch Bezieherinnen und Beziehern vom Bürgergeld als Härtefall anerkennen und ihnen die Gebühren erlassen.
Das kam in Kiel nicht gut an. Die Landesregierung verlangte postwendend per Erlass, dass der Härtefall nicht pauschal angenommen wird, sondern in jedem Einzelfall zu prüfen ist. Bitte? Die Einzelfallprüfung käme die Stadt Flensburg teurer als die entgangene Gebühr. Das löste in Flensburg bei der engagierten Kommunalpolitik heftiges Kopfschütteln aus. Nach meinem Dafürhalten: zu Recht. Soll die Kommunalpolitik etwa von oben gemaßregelt werden? Dieser Eindruck entsteht nach der Intervention der Landesregierung.
Darum ist es gut, dass wir nun auf Landesebene dieses Thema aufgreifen. Noch besser wäre es, wenn wir auch zu einem guten Ergebnis kommen.
Die Bürgerinnen und Bürger haben Rechte und Pflichten - der Staat allerdings auch. Wenn er von seinen Bürgerinnen und Bürgern verlangt, sich auszuweisen, dann muss er bei entsprechender Notlage auch Entgegenkommen zeigen.
An dieser Stelle möchte ich allerdings auch die Gelegenheit nutzen, die Optimierung des halb-digitalen Charakter des Verfahrens zu kritisieren. Warum ein Papierfoto abgeben, das sowieso eingescannt wird? Warum stellen die Behörden nicht, wie es in Dänemark längst gang und gebe ist, entsprechende Automaten auf, wo an Ort und Stelle ein digitales Foto gemacht wird? Den Fingerabdruck muss ich ja auch nicht als Foto abgeben.
Doch zurück zu den Wohnungslosen: die 80.000 Euro, die für die kostenlose Ausgabe von Personalausweisen an Wohnungslose in den Haushalt einzurechnen sind, sind nach meinem Dafürhalten ausgesprochen gut investiert. Es ermöglicht Menschen eine soziale Teilhabe.
Die Regelung wird sicherlich auch in der Kommunalpolitik positiv aufgenommen werden, weil damit ihr Engagement gewürdigt wird.