Rede · 22.01.2016 Die Novelle löst nicht einmal Ansatzweise den Rückzug der Ärzte aus dem ländlichen Raum
Flemming Meyer zu TOP 19 - Novelle der Gebührenordnung für Ärzte zügig umsetzen
Die Ärzte Zeitung, die überwiegend die Interessen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte vertritt, vermeldete am letzten Wochenende, dass die FDP-Fraktion in Schleswig-Holstein die Umsetzung der Novelle der Gebührenordnung forcieren möchte. Die Ärzte Zeitung gehört zu den Befürwortern der neuen Gebührenordnung, die die Ärzte-Funktionäre mit den Privatversicherungen und dem Gesundheitsminister ausgehandelt hat. Der Konsens innerhalb der Ärzteschaft bröckelt allerdings gewaltig, so dass jede kleine Meldung gerade recht kommt; auch aus Schleswig-Holstein.
Auf den Kommentarseiten der gleichen Zeitung wird seit Monaten gegen den Betrug durch die Bundesregierung mittels der Novelle gewettert. Viele Ärzte sind nämlich überhaupt nicht zufrieden mit dem, was ihre Standesvertreter in jahrelangen Verhandlungen ausgehandelt haben. Einige Ärzte sind regelrecht auf den Barrikaden, weil sie sehen, wie Kollegen nur wenige Kilometer weiter in einem anderen Kammerbezirk viel höhere Honorare bekommen als sie; und das genau für die gleiche Leistung. Die Ärzte kritisieren darüber hinaus, dass Labormediziner oder Radiologen sich eine goldene Nase verdienen können, während Ärztegruppen ohne große Apparate wie Hausärzte oder Kinderärzte in die Röhre gucken.
Die Wogen gehen also hoch.
Die Öffentlichkeit soll diese Auseinandersetzungen nicht mitbekommen. Die Ärztevertreter versuchen so weit es geht, die Konflikte unter der Decke zu halten. Viele Einkommensunterschiede zwischen Regionen und Ärztegruppen sind durchaus hausgemacht. Daraus keimende Konflikte wurden in der Vergangenheit klein gehalten, indem für alle Ärzte Einkommenssteigerungen verhandelt wurden. Mit diesem Wachstum ist jetzt allerdings Schluss. Bei den Einkommensverbesserungen über IGEL ist beispielsweise langsam das Ende der Möglichkeiten erreicht. Diese so genannten Zusatzleistungen, die ein Arzt erbringt, aber die Krankenkassen nicht zahlen, sondern die Patienten, hat sich zu einem florierenden Geschäftszweig der Ärzte gemausert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung meldete in ihrer letzten Ausgabe, dass die Patienten jährlich mehr als eine Milliarde Euro für 18 Millionen individuelle Gesundheitsleistungen an ihren Arzt gezahlt haben; das sind im Durchschnitt mehr als 55 Euro pro Leistung. Damit ist das Ende der Fahnenstange erreicht: viel mehr ist aus den Patienten nicht heraus zu leiern.
Das ist auch der Grund für die Ärzte, die Gebührenordnung zu verändern. Sie sehen sich gezwungen, auf anderen Wegen ihre Einkommen erhöhen zu können. Nach den goldenen 1990er Jahren schmilzt nämlich der Einkommensabstand der Ärzte zum Rest der freien Berufe.
Fakt ist, dass die Gebührenordnung überholt ist. Sie kennt seit 1984 keinen Inflationsausgleich, was dazu führt, dass die Mengenausweitung die einzige Möglichkeit des Zuwachses ist. Die Kosten für Praxismiete und die Tarife des Praxisteams steigen ja in jedem Jahr; was über eine Mengenausweitung der ärztlichen Leistungen ausgeglichen wird. Die Gebührenordnung ist nämlich so gestaltet, dass sie jeden Handgriff eines Arztes mit einem Geldbetrag hinterlegt. Aufgrund neuer Krankheitsbilder und neuer Behandlungsmethoden hat die Gebührenordnung aber inzwischen so viele Zusätze und Ergänzungen erfahren, dass eine gründliche Überholung dringend angezeigt ist. In dem eben angeführten Artikel wird Klaus Reinhardt vom Hartmannbund mit folgenden Worten zitiert: „Wie ein ärztliches Honorar zustande kommt, ist für die meisten Kollegen nicht mehr durchschaubar.“ Das System ist überkomplex, zu teuer und vernachlässigt systematisch qualitätssichernde Faktoren. Die medizinische Handlungen und Maßnahmen werden nämlich bezahlt, ohne dass irgendeine Instanz schaut, ob die Behandlung sachgemäß oder angemessen gewesen ist. Die alte Gebührenordnung ist also unzeitgemäß.
Die neue Gebührenordnung stellt allerdings in keinem dieser Punkte eine wirkliche Verbesserung dar. Die Honorarverteilung wird nicht weniger kompliziert, sondern nur geringfügig geändert. Damit wird eine Chance auf eine nachhaltige Neuregelung vertan.
Wir haben es gerade in Schleswig-Holstein in einem Flächenland mit Herausforderungen zu tun, wie dem Rückzug der Ärzte aus dem ländlichen Raum und deren Konzentration in den größeren Städten, die mit der Novelle nicht einmal ansatzweise gelöst werden. Dass Arztpraxen ohne einen Mindestanteil von Privatversicherten kaum über die Runden kommen, ist ein schlimmer Systemfehler, der zum Beispiel verhindert, dass sich Kinderärzte in kinderreichen, aber soziale schwachen Stadtteilen niederlassen. Das ist doch ein Skandal!
Allerdings ist der Novelle zugute zu halten, dass sie den Wildwuchs bei der Hebelung der Gebührensätze einschränken will. Viele Ärzte erklären nämlich Behandlungen bei Privatversicherten als besonders kompliziert, um den Hebesatz zu erhöhen. Die Privatversicherer wollen diesem Abrechnungsgebaren und der damit verbundenen Willkür einen Riegel vorschieben. Wie bei den gesetzlich Versicherten sieht die Novelle ein gemeinsames Gremium vor: die Gemeinsame Kommission. Bei AOK und Co. hilft der Bundesausschuss bei der Kostenbegrenzung. Hier ist also eine überfällige Strukturveränderung vorgesehen.
Aber ich hätte mir mehr Mut gewünscht.
Sollte die Novelle tatsächlich noch in diesem Jahr in Berlin verabschiedet werden, haben wir in Schleswig-Holstein noch einmal die Gelegenheit zur Debatte, weil die Landesregierung dem Vorhaben zustimmen muss, bevor es umgesetzt werden kann.
Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden: