Rede · 21.02.1997 Ecstasy in Schleswig-Holstein
Das Zentrale bei einer Diskussion über Präventionsmaßnahmen gegen Ecstasykonsum ist für mich, daß wir hier endgültig den Grund der herkömmlichen Drogenpolitik verlassen müssen. Totale Abstinenz zu predigen nach dem Motto "Keine Macht den Drogen", zieht hier gar nicht mehr. Wer wie der Drogenbeauftragte des Bundes, Herr Lintner, auch bei Ecstasy nur Abstinenz predigt, der grenzt abermals Menschen aus, nämlich die vielen jungen Konsumentinnen und Konsumenten. In Verbindung mit dem fehlt ein jegliches Unrechtsbewußtsein der Konsumentinnen und Konsumenten. Das müssen die Maßnahmen berücksichtigen.
Von daher begrüße ich, daß vor allem auch sekundärpräventive Maßnahmen ergriffen worden sind. Ich erwähne nur beispielhaft das Lifetime-Projekt in Liverpool, die holländische Linie des Jellinek-Zentrums in Amsterdam und vor allem Initiativen wie Eve und das Rave-Büro in Berlin, die sich aus der Technoszene entwickelt haben.
Ich finde es bemerkenswert, daß es dieser Zweig der Drogenprävention bisher auf hervorragende Weise geschafft hat, sich auf die Prämissen der Ecstasykonsumenten einzulassen. Wir sind gefordert, uns auf diese neuen Gedankengänge einzulassen. Dabei müssen wir akzeptieren, daß auch der Schutz des einzelnen Konsumenten das Ziel sein kann und muß. "Safer use" ist das Leitwort. Vor allem angesichts einer anscheinend bestehenden Tendenz hin zur Polytoxikomanie in der Szene scheint mir eine Prävention und Beratung dringend erforderlich, die sich den jungen Menschen auf der Ebene ihrer Lebenswelt nähert. Solche Ansätze von unten sind vielversprechend und vermeiden den großen Zeigefinger von oben. Ich will jetzt nicht dem Bericht der Ministerin vorgreifen, aber soweit ich es verstanden habe, sollen die Maßnahmen der Landesstelle gegen die Suchtgefahren und des KOSS in Zukunft auch verstärkt solche Konzepte nutzen. Das ist sehr erfreulich.
Ein Punkt, an dem wir momentan aus rechtlichen Gründen nicht "zu Potte" kommen, ist das sogenannte "Stoffchecking"; das ist die Möglichkeit für Ecstasykonsumenten, den Stoff - dessen Qualität und Zusammensetzung bekanntlich stark schwankt - chemisch analysieren zu lassen, bevor sie ihn nehmen. Ich halte eine solche Maßnahme für äußerst sinnvoll. Wir dürfen uns dieser Option nicht verschließen und sollten uns dafür auch einsetzen.
Neben der Verstärkung des "Safer Use"-Ansatzes besteht ein dringendes Bedürfnis, die Wirtschaft aus diesem Bereich herauszudrängen. Viele Unternehmen haben die konsumfreudige Raver-Generation als Zielgruppe entdeckt und bearbeiten diesen Bereich massiv durch Sponsoring und andere Werbung. Besonders prekär ist es, daß auch schleswig-holsteinische Alkoholproduzenten in Verbindung mit der Technoszene massiv für alkoholhaltige Aufputschgetränke werben, obwohl die Kombination von Ecstasy und Alkohol erwiesenermaßen fatal ist, weil sie dehydrierend wirkt. Ich meine, wir alle sollten diese Kommerzialisierung der Drogenszene problematisieren und verurteilen. Stoppen können wir sie leider nicht.
Leider habe ich nicht mehr genug Redezeit, um auf die vielen anderen wichtigen Aspekte einzugehen; lassen Sie mich aber noch eines sagen: Die beste Prävention gegen Drogenabstürze ist für mich noch immer eine soziale, menschliche Gesellschaft. Oder anders ausgedrückt: Jede Gesellschaft hat die Drogen, die sie verdient. Ecstasy, Eve, Pep, Kokain, Speed und Trips halten der individualisierten Leistungsgesellschaft den Spiegel vor. Drogenkonsumenten sind nicht dumme, schlechte oder minderwertige Menschen, die den angeblich einzig richtigen Pfad der Tugend verlassen haben; sie sind vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft und sollten als solche behandelt werden.