Rede · 26.01.2022 Einsamkeit darf kein Randthema oder Tabu mehr sein

„Eine zielgerichtete, präventive und im Idealfall auch aufsuchende Beratung findet kaum statt. Das müssen wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Corona ändern.“

Lars Harms zu TOP 15 - Monitoring zu Einsamkeit und Isolation (Drs. 19/3417 (neu))

Einsamkeit ist ein vielschichtiges Phänomen mit unterschiedlichsten Ursachen. Das zeigen mir Gespräche mit Menschen aller Altersgruppen immer wieder. Einsamkeit und Isolation sind keine neuen Themen. Aber politisch rücken sie leider nur sehr langsam in den Fokus. Weil die negativen Auswirkungen mangelnder sozialer Kontakte in der Pandemie aber besonders klar hervortreten, fordern nun auch die Sozialminister und -ministerinnen der Länder einen nationalen Einsamkeitsgipfel. „Immerhin“ möchte ich da sagen. Denn laut Sozialverband Deutschland waren schon vor Corona mehr als 4 Millionen Menschen in Deutschland meistens oder sehr oft einsam. Spätestens damit wird klar, dass Einsamkeit kein Randthema ist. Und ich persönlich halte diese Zahlen für so alarmierend, dass wir dringend handeln und gegensteuern müssen. 

Vor diesem Hintergrund freut mich, dass sich alle demokratischen Fraktionen auf einen Antrag zu diesem wichtigen Thema geeinigt haben. Zwar hat diese breite Einigkeit den Preis, dass die Zuständigkeit für die Datenerhebung auf die Bundesebene verlagert wurde. Aber für uns steht das Ziel im Vordergrund, detaillierte Daten für Schleswig-Holstein zu bekommen. Denn für uns sind diese länderspezifischen Daten Grundlage und Voraussetzung dafür, um wirklich effektiv handeln und Einsamkeit vorbeugen beziehungsweise überwinden zu können. Hiermit, und verbunden mit der dauerhaften Überführung dieser Daten in unsere Sozialberichterstattung, haben wir eine geeignete Basis für zielgerichtete Präventionsarbeit und niedrigschwellige Projekte. Und genau diesen präventiven Ansatz und den direkten Zugang zu den entsprechenden Angeboten wollen wir mit unserem Antrag ermöglichen und stärken.

Wie auch in der Begründung erwähnt, wird relativ wenig zu diesen Themen geforscht. Und doch ist belegt, dass jede Altersgruppe von Einsamkeit und Isolation betroffen sein kann. Das heißt, dass sich eben längst nicht nur alte Menschen, sondern auch ein erheblicher Teil der Kinder und Jugendlichen einsam oder isoliert fühlt. Dabei scheint zwar unerheblich, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe man zählt. Aber die Erfahrungen verschiedener Beratungsstellen zeigen, dass es gewisse Lebensumstände und Risikofaktoren gibt, die diese Gefühle begünstigen. Ein zunehmend hohes Alter ist ein wesentlicher Faktor, mit dem sich dankenswerter Weise auch das Altenparlament in seiner letzten Tagung im Landtag befasst hat. Aber auch geringe oder fehlende Ressourcen wie etwa eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten, der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine weniger ausgeprägte soziale Anbindung führen mitunter zu Einsamkeit und Isolation. 

Ich denke anhand dieser Punkte wird schnell klar, dass es keine Patentlösung zur Vermeidung oder Überwindung von Einsamkeit gibt. Und diese Faktoren lassen auch vermuten, dass die Präventions- und Beratungsarbeit durchaus vielschichtig und anspruchsvoll sein muss. Vor allem, wenn wir alle Betroffenen möglichst frühzeitig erreichen wollen. Gerade deshalb ist ein regelmäßiger Blick auf dieses Thema so wichtig. Aus psychologischer Sicht ist eine solche Struktur zum Erkennen und Bearbeiten der Einsamkeit ein ganz wesentlicher Schlüssel zur Reduzierung von psychischen Erkrankungen. Und sie hilft letztlich auch dabei, extreme, aber leider nicht ungewöhnliche Auswirkungen, wie Suizide zu verhindern. Auch dies muss in unser aller Interesse sein. 

Aus Sicht des SSW wird einsamen und isolierten Menschen noch viel zu wenig geholfen. Die wenigen Beratungsangebote sind für viele Betroffene und Angehörige nur schwer erreichbar. Und eine zielgerichtete, präventive und im Idealfall auch aufsuchende Beratung findet kaum statt. Das müssen wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Corona ändern. Denn durch die hiermit verbundenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung entstehen vor allem im Bereich der Einsamkeit und der Isolation weitere Hürden. Ein Begriff wie „Social-Distancing“ beschreibt ja recht unmissverständlich, dass Beziehungen in Quantität und Qualität reduziert werden müssen. Das führt unweigerlich zu Isolation und diese wiederum bei vielen zu einem verstärkten Gefühl der Einsamkeit. Home-Schooling oder Hybridunterricht und Home-Office haben erhebliche Effekte auf die Psyche vieler Menschen. Und damit wird der Hilfebedarf absehbar wohl eher steigen als fallen. Auch das muss uns bewusst sein. 

Mit dem vorliegenden Antrag verbinden wir daher die Erwartung, dass wir eine geeignete Grundlage für zielgerichtete Angebote schaffen. Und wir haben zumindest die Hoffnung, dass wir nicht zuletzt durch eine auskömmliche finanzielle Förderung eine möglichst flächendeckende Beratung auf die Beine stellen können. Denn eins ist klar: Nur über das Phänomen Einsamkeit zu reden, reicht nicht. Wir müssen endlich handeln und Betroffenen zum Beispiel dadurch helfen, dass sie in Altenheimen oder Begegnungsstätten Beratung und Angebote zur Vernetzung bekommen. 

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