Rede · 21.01.2015 Flemming Meyer zu TOP 38 - Infrastrukturbericht

Nur, weil die großen Projekte enorm viel Geld verschlingen, sollten wir nicht den Verfall der kleinen Strukturen riskieren

Drs. 18/2258

Da ist er jetzt, schwarz auf weiß: der Kontoauszug. Vorgänger-Regierungen haben sich wie private Schuldner verhalten: Briefe von Gläubigern wanderten in den Papierkorb, Mahnbescheide wurden ignoriert und um den Kontoauszugsautomaten wurde ein weiter Bogen gemacht. Mit dieser Vogel-Straße-Politik wurde das Unvermeidliche nur herausgezögert und keineswegs verhindert: die Bankrotterklärung. Jahrelang wurden die Warnungen der Experten vor dem Zerfall der Infrastruktur landab und landauf in den Wind geschlagen. Dabei kann inzwischen jedermann den desolaten Zustand von Straßen, Brücken, Schienen, Schultoiletten und Sportplätzen sehen. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Gut, dass wir das nicht mehr tun.

Der Bericht führt die Bedarfe an und errechnet den Investitionsbedarf. Das ist eine solide Arbeit, die uns vorgelegt wurde. Mancher mag sich entmutigt fühlen angesichts der enormen Aufgaben, die uns erwarten. Ich finde es gut und richtig, dass wir jetzt endlich eine detaillierte und nachvollziehbare Aufgabenliste haben, die wir abarbeiten können. Genau hier liegt aber auch der Hase im Pfeffer: der Bericht ist eben nicht mehr als eine Liste. Ebenso wenig wie ein Kontoauszug einen Weg aus der Schuldensituation weist, nimmt er uns die eigentliche Arbeit ab. Jetzt gilt es Prioritäten und Verfahren festzulegen. 

Klar ist, dass der SSW als Partei zweier nationaler Minderheiten in nördlichen Landesteil die Entwicklung hier besonders intensiv betrachtet. Wie das bei vielen nationalen Minderheiten in Europa so ist, sie leben meist in peripheren Regionen – also dort, wo es mit wirtschaftlichem Wachstum eher schlecht bestellt ist. Und deshalb muss genau hier angesetzt werden. Auch das gehört für mich mit zum Minderheitenschutz, zu der sich die Bundesrepublik und das Land Schleswig-Holstein verpflichtet haben.

Regionalpolitik ist auch Minderheitenpolitik. Aber im vorliegenden Bericht ist der Norden Schleswig-Holsteins merkwürdig unterrepräsentiert. Die Bahnanbindung von und nach Sylt, die Wohnungsnot auf der Insel, Breitbandinitiativen und ein bisschen Universität Flensburg: schon ist der nördliche Landesteil weitgehend abgehandelt. Das ist natürlich nicht einmal im Ansatz das, was uns an Infrastrukturaufgaben im Norden erwartet. Nur, weil die großen Projekte enorm viel Geld verschlingen, sollten wir nicht den Verfall der kleinen Strukturen riskieren. Die Erhaltung der Strukturen kann nicht allein den Kommunen aufgebürdet werden; sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Die Lebensqualität der Menschen ist nämlich in hohem Maße abhängig von einer gut ausgebauten Infrastruktur. Sie bildet sozusagen das Gerüst einer Existenz. Strom, fließendes Wasser, kulturelle Angebote und ein dichtes Verkehrsnetz sind die Eckpunkte einer modernen Existenz. Der Staat verpflichtet sich, die Daseinsvorsorge für seine Bürgerinnen und Bürger zu treffen. Das sollte er in Abstimmung und ständigem Kontakt mit den Leuten vor Ort tun. Die wissen nämlich im Zweifelsfall am besten, welche Strukturen miteinander verknüpft werden können und wo ein Neuanfang von Nöten ist. Die Kommunikation macht nämlich den Unterschied. Bloß weil eine Gegend weit entfernt von der nächsten Großstadt ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie rückständig ist. Erst wenn sich geringe Entwicklungschancen mit einer negativen Entwicklungsdynamik verbinden, gerät eine Region in die Schieflage: erst dann suchen sich die Jungen ihre Jobs wo anders, die Angebote werden ausgedünnt und was dann folgt ist der völlige Rückzug mit massenhaften Leerständen. Viele ostdeutsche Regionen haben mit dieser Entwicklung zu kämpfen. 

Wir haben dagegen viele Initiativen vor Ort, die sich großen Einfallsreichtum für ihre Region einsetzen. Da denke ich nicht nur an die Breitbandinitiativen in Nordfriesland, die solidarisch in Eigenleistung eine enorme Ausbauleistung vorgelegt haben, sondern auch Projekte wie den Bürgerbus in Ladelund oder die Aufbauarbeit in Sachen Windenergie, die vor zwanzig Jahren als private Alternative ihren Anfang nahm. 

Die Landesregierung sollte diese gute Arbeit vor Ort weiterhin unterstützen, aber auch nutzen.

Wie der Name schon sagt, ist die Infrastruktur komplex und mehrdimensional. Sie ist die Lebensader: für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, ausreichende medizinische Versorgung und nicht zuletzt die kulturellen Angebote. Gerade deswegen reagieren die Menschen so sensibel auf den Wegfall einzelner Bausteine; weil dadurch nämlich ganze Gebäude ins Wanken geraten können. Das gilt für die Schließung von Geburtsstationen ebenso wie das Ende einer Schule. Das eine zieht nämlich immer anderes nach. 

Diese Entwicklung gilt aber auch umgekehrt. Eine gute und zuverlässige Infrastruktur sichert Lebensqualität und schafft auch auf dem Land Perspektiven. Wer einen zukunftsfesten Job hat, kauft sich ein Haus und sichert damit weitere Arbeitsplätze. Und das schafft wieder mehr Arbeitsplätze.

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