Rede · 15.08.1996 Heimatvertriebene
Beim ersten Durchlesen des Entschließungsantrages der CDU habe ich mich gefragt, ob er dem Anlaß denn gerecht wird. Ich bin davon ausgegangen, daß der Antrag auf dem Hintergrund des 50-jährigen Bestehens des Bundeslandes Schleswig-Holstein gestellt worden ist. Am Anfang dieser Geschichte stand eine Situation, in der die Bevölkerung dieses Bundeslandes durch Vertriebene und Flüchtlinge verdoppelt wurde. Schon aus diesem Grunde schulden wir diesen Bevölkerungsgruppen ganz besondere Aufmerksamkeit. Daran kann aus meiner Sicht überhaupt kein Zweifel bestehen. Inhaltlich entspricht dieser Entschließungsantrag einem Antrag, der bereits in Bonn diskutiert worden ist. Bis auf die Bezeichnung Schleswig-Holstein, die dort eingesetzt wurde, wo der ursprüngliche Antrag von der Bundesrepublik Deutschland sprach, ist keine Abweichung festzustellen. Wenn die CDU in diesem Lande beabsichtigt, sich ernsthaft für die Vertriebenen hierzulande einzusetzen, dann sollte sie es mit ihren eigenen Worten tun.
Der SSW hat aus mehreren Gründen gegen den Inhalt des Antrages Bedenken.
Wenn man mit Roman Herzog ein gemeinsames Überwinden wünscht, dann setzt das voraus, daß man zur Auseinandersetzung bereit ist. Aus unserer Sicht spiegelt der Antrag eine Geschichtsauffassung wider, die eher die Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen verschleiert, als sie aufzudecken. Der Antrag setzt sich darüber hinweg, daß der Krieg die eigentliche Ursache der Vertreibung war. Wer behauptet, daß der Beitrag der deutschen Vertriebenen zur Verständigung mit unseren Nachbarn im Osten beigetragen habe, der scheint vergessen zu haben, daß viele Vertriebenenverbände in den Jahren nach 1945 stark polarisiert haben. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, daß einige Vertriebenenverbände auch heute noch nicht davon Abstand genommen haben, Gebietsansprüche geltend zu machen.
Während der erste Teil des Antrags auf die Geschichte Schleswig-Holsteins Bezug nimmt, hat der zweite Teil allenfalls mit der heutigen Situation von Vertriebenen zu tun. Bedenklich stimmt insbesondere bei den Punkten 6. und 7., daß lediglich die Forderung aufgestellt wird, alles zu unternehmen, um in Zukunft Vertreibungen zu verhindern. Kein Wort wird zu dem Schicksal der Flüchtlinge von heute verloren. Es entsteht der Eindruck, daß hier unter dem Deckmantel des Kritikübens an jeglicher Form von Vertreibung in Wirklichkeit eine Aussage in Richtung Vermeidung von Asyl gemacht werden soll. Ich hätte es für wünschenswert gehalten, wenn der Antrag stattdessen die Bereitschaft hätte erkennen lassen, auch künftig Vertriebene in Schleswig-Holstein aufnehmen zu wollen.