Rede · 13.12.2007 Jugendstrafvollzugsgesetz


Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai letzten Jahres wurde dem Gesetzgeber der Auftrag erteilt, eine Rechtsgrundlage für den Jugendstraffvollzug bis Ende 2007 zu schaffen. Auch inhaltlich hat das Bundesverfassungsgericht hierzu Vorgaben gemacht. Danach sollen gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die sich an den Anforderungen jugendlicher Straftäter orientieren. Insbesondere gilt es, die Wiedereingliederung in die Gesellschaft voranzubringen. Dabei kommt dem Fördern und Fordern eine wichtige Rolle zu - dem Erziehungscharakter des Jugendstrafvollzuges also. Mit der Föderalismusreform wurde dieser Auftrag auf die Länder übertragen. Leider müssen wir feststellen, dass der Zeitraum recht eng gestrickt war; wir haben das Zeitlimit somit bis zum letzten Termin ausgeschöpft.

Bereits in der Debatte zur Ersten Lesung hat der SSW auf die Probleme jugendlicher Straftäter hingewiesen. Wir haben es in erster Linie mit Mehrfachtätern zu tun und mit jungen Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss. Für die Bundesrepublik als Ganzes gilt: Cirka die Hälfte der knapp 80.000 Gefangenen in deutschen Haftanstalten hat keinen Schulabschluss; ca. zwei Drittel sind ohne Berufsausbildung. Bei den Häftlingen unter 30 Jahren ist die Ausgangslage noch schlechter: Von ihnen haben nur 10 Prozent eine abgeschlossene Ausbildung. Hinzu kommt die – für mich überraschend hohe Rückfallquote, die im Bundesdurchschnitt laut Statistik um 80% liegt. Vor diesem Hintergrund möchte ich gern hervorheben, dass der Gesetzentwurf der Landesregierung auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo darstellt. Im Gesetzentwurf ist ein roter Faden bezüglich der Resozialisierung jugendlicher Straftäter durchaus erkennbar. Trotzdem sehen wir in weiten Teilen des Gesetzentwurfs weiteren Verbesserungsbedarf.

„Was lange währt, wird endlich gut“ ist ein altes Sprichwort, das in vielen Fällen seine Berechtigung hat, aber im Falle des Jugendstrafvollzugsgesetzes trifft es leider nicht zu. Soll heißen, dass die Große Koalition aus Sicht des SSW ihre Chance nicht genutzt hat, den Gesetzentwurf der Landesregierung zu verbessern, um daraus ein wirklich modernes Gesetz zu erarbeiten.

Die Anhörung im Ausschuss hat mehr als deutlich gemacht, wo die Schwächen liegen. Es wurde beispielsweise immer wieder auf die guten Erfahrungen in Baden-Württemberg hingewiesen, wo man eine moderne Form des Jugendstrafvollzugs außerhalb der klassischen Gefängnismauern etabliert hat, eingebettet in ein strenges Erziehungsprogramm. Ein weiterer Schwerpunkt dort ist die Nachsorge von jungen Gefangenen. Damit wird der Absturz in ein „Entlassungsloch“ verhindert. Es gibt also durchaus positive Erfahrungen mit modernen Methoden, die wir in Schleswig-Holstein hätten übernehmen können.

Vor diesem Hintergrund vermisst der SSW zwei konkrete Ansätze, die zu einem modernen Jugendstrafvollzuggesetz dazu gehören: Zum einen gilt unseres Erachtens, dass die Einführung und Umsetzung eines Übergangmanagements unumgänglich ist. Zumal dies sich auch gesamtgesellschaftlich betrachtet rechnen wird. Wir brauchen also ein aufeinander abgestimmtes System von einzelnen Schritten, das eine nachhaltige Integration von Strafgefangenen ins Arbeitsleben – und damit in die Gesellschaft – unterstützt. Das so genannte Übergangsmanagement stellt die letzte Stufe eines solchen Systems dar.
Zum anderen muss deutlich sein, dass es das Ziel des Übergangsmanagements ist, die von den jugendlichen Straftätern während der Haftzeit erworbenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten nach der Entlassung möglichst nahtlos im täglichen Leben „draußen“ anzuwenden.

Während der Justizminister für den Wohngruppenvollzug als neues Element des Jugendstrafvollzugs eine Expertenkommission einberief und deren Vorstellungen auch in lobenswerter Weise in seinen Gesetzentwurf einarbeitete, gibt es keine vergleichbaren Konzepte für die Gestaltung des Übergangs vom Knast in die Freiheit. Daher teilt der SSW die Bedenken die in einer schriftlichen Stellungnahme des Verbandes für Soziale Strafrechtspflege zum Ausdruck gebracht wurden. Dort heißt es sinngemäß, dass die im Gesetz aufgenommene Ergänzung des übergeordneten Vollzugsziels – die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten zu befähigen – diese Zielsetzung im Grunde konterkariere. Wenn der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dem Integrationsziel des Strafvollzuges gleichgestellt wird, dann wird der Sicherheit letztlich Vorrang eingeräumt.

Mit anderen Worten: Wenn es zu einer Abwägung zwischen offenem und geschlossenem Vollzug kommt, dann wird es häufig Gründe geben, die gegen den offenen Vollzug sprechen. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne offenen Vollzug wird aber ins Leere laufen. Unter dem Strich bleibt also leider bestehen, was auch als Ergebnis der Anhörung hervorging: Alle Maßnahmen eines neuen Jugendstrafvollzugs sind nur mit Mehraufwand umsetzbar – dass also Personal eingestellt werden muss. Wer aber die Debatten in Schleswig-Holstein verfolgt, stellt fest, dass dies derzeit politisch nicht gewollt ist. Stattdessen ist immer wieder die Rede davon, 5000 Stellen bei der Landesverwaltung einzusparen. Diese Maßgabe verhindert jegliches Denken darüber, wie zukunftsweisende Konzepte aus einem Guss umgesetzt werden können. Das ist schade.

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