Rede · 16.07.2015 Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen unterstützen und positive Lebensbedingungen schaffen

Lars Harms zu TOP 28 - Kindeswohl sicherstellen

„Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandelt wurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird.“

Der dänische Kinderpsychologe Jesper Juul wird nicht müde, Eltern zu ermutigen, ihren Kindern ein angemessenes Feedback zu geben. Das heißt: Fehler ansprechen und Leistungen loben, ohne dass viel Zeit vergeht. Genau dieser Grundsatz wird allerdings in der stationären Jugendhilfe Tag für Tag verletzt.  Feedback ist nur schwer möglich, wenn wir es mit uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen aus anderen Bundesländern zu tun haben. In Einzelfällen, das hat die Diskussion schnell gezeigt, sind die so genannten abgebenden Jugendämter hunderte Kilometer entfernt von dem Jugendlichen, für dessen Wohl sie verantwortlich sind. Dieses strukturelle Problem ist aus absolut unverständlichen, finanziell motivierten Argumenten heraus entstanden. Die Jugendämter geben die Kinder und Jugendlichen in die Verantwortung eines anderen Jugendamtes ab, ohne dieses mit allen nötigen Kompetenzen auszustatten. Das ist in der Konsequenz eine Zumutung für die Betroffenen und deren Familien; eine Zumutung, die allerdings schon lange bekannt ist. Doch zu einer Zusammenlegung von Finanzierungsverantwortung und inhaltlicher Kontrolle, die eigentlich zum Einmaleins einer funktionierenden Verwaltung gehört, konnte sich bislang niemand durchringen. Bislang ist auch noch nicht geklärt, ob und in welcher Reichweite die Finanzierungsstrukturen geändert werden müssen. In der zuständigen Fachministerkonferenz ist man über eine Arbeitsgruppe noch nicht hinausgekommen. Aber immerhin ist das Problem erkannt, dass die Kooperation zwischen örtlichem und entsendenden Jugendamt sowie dem Landesjugendamt umgehend verbessert werden muss. 

So hat denn die Schließung der Friesenhof-Heime doch noch etwas Gutes: dass nämlich endlich dieses Strukturdefizit offen angesprochen, in den Medien diskutiert und in absehbarer Zeit einer Lösung zugeführt wird. Man kann Kindern und Jugendlichen nicht aus der Ferne ein klares Feedback geben. Andersherum können die Kinder und Jugendlichen ihre Sorgen und Beschwerden nicht loswerden. Ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement basiert auf einer großen Kontaktdichte und kann nicht per Aktenlage entschieden werden. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, dass man sie ernst nimmt, indem man direkt mit ihnen spricht. Soweit es um Schutz vor Gewalt geht, zum Beispiel um Schutz vor Übergriffen Gleichaltriger oder des Personals, muss den jungen Menschen die Möglichkeit eines niedrigschwelligen Zugangs zu einer Vertrauensperson eröffnet werden. Die vertrauliche und vorrangig dem Schutz der Betroffenen verpflichtete fachgerechte Bearbeitung der Beschwerden kostet Zeit – ist aber alternativlos. Genau darum ist die personelle Verstärkung des Landesjugendamtes Teil des vorlegten Maßnahmepakets, dass Frau Ministerin Alheit schnell auf den Weg gebracht hat. Ebenso wie die Einrichtung einer Ombudsstelle, die auch die Angehörigen mit einbindet.   

Die vorgestellten Maßnahmen gehören zu einem Konzept, dem die grundlegende Prüfung der rechtlichen Grundlagen vorausgeht; also eine vollständige und gründliche Analyse der Situation, die in unbürokratische Lösungen mündet. Schöne Positionspapiere helfen den Kindern und Jugendlichen überhaupt nicht – übrigens auch nicht die Skandalisierung. Ziel muss es bleiben, Kinder und Jugendliche in den stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen und dort positive Lebensbedingungen zu schaffen.

Das trägerfreundliche Bundeskinderschutzgesetz schützt die Betreiber von Heimen unter dem Deckmantel des Gewerbeschutzes. Das im Grundgesetz verankerte Recht der freien Berufsausübung musste dafür herhalten, dass fachliche Belange in den Hintergrund traten. Seit Inkrafttreten des Gesetzes vor drei Jahren haben Fachleute kritisiert, dass sich Kommunen und Verbände durchgesetzt hätten; einzig und allein, um Kosten zu sparen. Das Vorgehen kennen und fürchten wir aus den stationären Pflegeeinrichtungen, die so genannte Satt-und-Sauber-Pflege durchführen und damit bereits den gesetzlichen Standards genügen. Kinder und Jugendliche sind aber keine Ware, die man mit einem Etikett versehen, von A nach B versenden kann. Genau das ist aber passiert. Die Entsendepraxis der Jugendhilfe hat zumindest in Dithmarschen zum Geschäftsmodell „Kinderheime im ländlichen Raum“ geführt. Es kann in Einzelfällen sinnvoll sein, mit dem Herkunftsmilieu der Jugendlichen gänzlich zu brechen, um ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen. Doch die Konzentration der Einrichtungen in Dithmarschen hat mit der Abgabe von Verantwortung zu tun, mit der man wohl gut Geld verdienen kann. Die Gesellschaft hat es zugelassen, dass Kinder und Jugendliche behandelt wurden wie Giftmüll, der in abgelegenen Gegenden verklappt wird. Jetzt haben wir einen konkreten Fall in der Hand, der die Mängel verdeutlicht.   

Gerade darum bemühen wir uns um die gesetzliche Verankerung effektiver Kontrollstrukturen. Hier kommt die Heimaufsicht ins Spiel. Es wurde höchste Zeit, dass wir die Heimaufsicht gestärkt haben, indem wir das Landesjugendamt personell verstärkt haben. Auch hier hat im Übrigen Ministerin Alheit schnell gehandelt. Schriftliche Dokumentationen in der Akte spiegeln nicht zwangsläufig die tatsächlichen Zustände wider. Darum ist das direkte Gespräch enorm wichtig. Die Vor-Ort-Besichtigung, angemeldet oder nicht, ist also von wesentlicher Bedeutung. Kinder- und Jugendhilfe ist mit Papierkram verbunden, darf sich aber nicht darin erschöpfen. Pädagogik ist eine zutiefst zwischenmenschliche Angelegenheit, die sich nicht am Schreibtisch allein umsetzen lassen kann. Verwaltungsvorschriften, langwierige Verfahren und Abrechnungen binden die Arbeitszeit. Wenn das so ist, müssen wir Sorge dafür tragen, dass es genügend Fachleute gibt, die in direkte Interaktion gehen können. Das Jugendamt hat sich einen unmittelbaren Eindruck vom Kind und dessen Umgebung zu verschaffen. Erst die persönliche Inaugenscheinnahme ermöglicht überhaupt die Einschätzung des Entwicklungsstands des Jugendlichen. 

Wir wollen, dass die Jugendlichen das Gefühl bekommen, dass sie ernst genommen werden. Dazu müssen wir erstens die gesetzlichen Strukturen ändern, so dass die Kompetenzen klarer werden, und zweitens müssen wir die Jugendhilfe finanziell besser stellen. Eine fachliche Vertiefung der Jugendhilfe gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden die landesrechtlichen Regelungen zur angemessenen Personalausstattung in den Einrichtungen überarbeiten. 

Um auf Jesper Juul zurückzukommen: Er mahnt an, dass zwischen Erwachsenen und Kindern Authentizität und persönliche Verantwortung zum Tragen kommen. Der Leitsatz für ein selbstverantwortliches Leben lautet seiner Meinung nach: Ich bin für mein Handeln verantwortlich. 

Und genau das ist die Landesregierung zu tun gewillt.

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