Rede · 26.01.1996 Minderheitenbericht
Dies ist der dritte Minderheitenbericht, der vor diesem hohen Hause abgelegt wird. Zum ersten Mal wird in diesem Bericht die Situation der Sinti und Roma beleuchtet. Damit unterstreichen wir, daß wir uns alle verpflichten wollen, für die Kultur dieser Gruppe einzutreten, die gleichberechtigt mit allen anderen Kulturen und Sprachen in unserer gemeinsamen Heimat sein soll.
Der Bericht zeigt, daß das Zusammenleben im Grenzland das Ergebnis eines langen und mühevollen Weges ist und der Bericht erklärt, daß das, was wir als Modellfall bezeichnen, immer nur einen Weg als nachahmenswertes Beispiel für die Lösung anderer Minderheitenprobleme und Nationalkonflikte darstellen kann. Wir haben kein Modell, das wir weitergeben können. Wir haben aber Prinzipien, die wir realisieren und diese Prinzipien möchten wir weitergeben. Wir möchten allen Nationen, die Minderheiten in ihrer Gesellschaft haben, empfehlen, diese Prinzipien in Übereinstimmung mit den Verfassungen der einzelnen Länder und ihrer allgemeinen Gesetzgebung zu realisieren.
Die gute Zusammenarbeit ist erreicht worden, nachdem die Minderheitenerklärung von 1955 die Voraussetzungen hierfür geschaffen hat. Die Minderheiten haben erkannt, daß sie mitverantwortlich sind für die Entwicklung in dem Staate, dessen Staatsbürger sie sind. Wir sind mitverantwortlich für die Entwicklung in unserer Gemeinde, in unseren Kreisen, in Schleswig-Holstein und in der Bundesrepublik.
Gleichzeitig hat die Mehrheitsbevölkerung erkannt, daß Minderheiten nicht zu Unfrieden beitragen, sondern daß es eine Bereicherung ist, Minderheiten in der Gesellschaft zu haben. Minderheiten erhöhen das Niveau kulturell, geistig und sozial, aber auch wirtschaftlich.
Durch diese Erkenntnisse sind wir zu einer vernünftigen Zusammenarbeit gekommen und arbeiten gemeinsam für das Wohl der gesamten Bevölkerung in unserer gemeinsamen Gesellschaft und unserer gemeinsamen Heimat.
Klar ist natürlich, daß in der Frage der Gleichberechtigung der Kulturen und der Sprachen, der Gleichberechtigung aller Bürger, nicht nur die Gemeinde und das Land gefragt sind, sondern natürlich auch der Bund. Normalerweise sagt man immer, daß Minderheiten kulturelle Angelegenheiten sind. Dafür sind die Länder zuständig. Aber so leicht ist es nicht. Bonn ist dafür verantwortlich, daß wir gleichwertige Lebenschancen in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik haben und es ist nun einmal Tatsache, daß die Infrastruktur in Regionen mit mehreren Kulturen und mehreren Sprachen teurer ist, als in Regionen mit nur einer Kultur und einer Sprache. Dies muß natürlich berücksichtigt werden.
Auch für die höhere Ausbildung, Universitätsausbildung, ist Bonn mitverantwortlich. Also auch hier ist Bonn gefragt.
In Verbindung mit der Deutschen Einheit hat Bonn Verpflichtungen für die Sorben übernommen und wir erwarten natürlich, daß Bonn Verpflichtungen für eine gleichartige Minderheit übernimmt, nämlich für die Friesen. Wenn Bonn Verpflichtungen für zwei Minderheiten übernimmt, dann muß Bonn natürlich das gleiche für andere Minderheiten tun, die wir in der Bundesrepublik haben. Aus diesem Grunde ist es sehr wichtig, daß die Rechte der Minderheiten in der Verfassung Deutschlands fest verankert werden, so wie wir es in unserer Landesverfassung getan haben. Die Minderheiten in der Bundesrepublik werden erst in dem Moment erleichtert aufatmen können, in dem die Rechte der Minderheiten in der deutschen Verfassung festgeschrieben sind. Wenn dies der Fall ist, kann man den Klageweg beschreiten, wenn die Gleichberechtigung nicht eingehalten wird.
Dies muß die wichtigste Aufgabe für uns vor der nächsten Bundestagswahl sein. Wir müssen erreichen, daß das Grundgesetz entsprechend geändert wird. Die Mehrheit hierfür war im Bundestag vorhanden, leider keine 2/3-Mehrheit.
Wenn das Grundgesetz geändert ist, können wir verstärkt auf internationaler Ebene darauf hinarbeiten, daß wir Minderheitenkonventionen und Entschließungen bekommen, die bindend für die Unterschreibenden sind, und daß eine Klageinstanz vorhanden ist, die bei Streitigkeiten entscheiden kann.
Das europäische Zentrum für Minderheitenfragen wird gründlich erwähnt. Wenn wir bedenken, wie hochgesteckt die Pläne am Anfang waren - eine Institution mit ca. 15 Professoren - dann kann es nicht verwundern, daß es einige Zeit in Anspruch nahm, über diese Frage Einigkeit zu erreichen. Viele Minderheiteninstitutionen, Forschungsinstitutionen, hat man ja in Europa. Der Weg, den man jetzt beschreitet, ist realistisch und vernünftig. Wir können bestehende Einrichtungen ausnutzen und benötigen aus diesem Grunde nicht große Summen für Investitionen. Die Standortfrage wird bald entschieden werden.
Wer die Grenzlandverhältnisse kennt, wird sich nicht wundern, daß mehrere Standorte vorgeschlagen werden und daß man eifrig diskutiert, welcher Standort nun der Beste ist. Die Kommission wird eine vertretbare Lösung finden. Alle Standorte, die erwähnt sind, erfüllen die Voraussetzungen.
Der Bericht klärt darüber auf, daß das dänische Privatschulwesen zur Zeit eine Unterstützung in Höhe der Kosten erhält, die im Vorjahr im Durchschnitt für einen Schüler an öffentlichen Schulen angefallen sind. Es ist einleuchtend, daß diese Summe zur Finanzierung des dänischen Privatschulwesens nicht ausreichend sein kann. Die dänischen Schulen im Landesteil Schleswig sind breit gestreut. Das liegt in der Natur der Sache. Bei dem Privatschulwesen der dänischen Minderheit handelt es sich eben um ein Minderheitenschulwesen. Dadurch müssen viel mehr Lehrer beschäftigt werden, als dies an deutschen öffentlichen Schulen der Fall ist. Hinzu kommt, daß die Schüler, damit die Schulabschlüsse sowohl in Deutschland als auch in Dänemark anerkannt werden, mehrere Unterrichtsstunden erhalten. Im Wochendurchschnitt erhalten die Schüler also mehr Unterrichtsstunden, als die Schüler an öffentlichen Schulen. Auch dies führt zu größeren Personalausgaben. Letztlich führt der große Abstand zwischen den einzelnen Schulen natürlich auch zu erheblichen Transportkosten. Diese Kosten sollen zum Teil auch von den einzelnen Kommunen getragen werden.
Kurt Schulz hat in diesem Zusammenhang eindringlich geschildert, daß er diesbezüglich immer wieder das Gespräch mit den einzelnen Kommunen gesucht hat. Leider hat die von ihm getätigte Überzeugungsarbeit oder der Versuch einer Überzeugungsarbeit in vielen Fällen bis heute keinerlei Früchte getragen. Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich unterstreichen, denn das vermisse ich in dem Bericht, daß das Privatschulwesen der dänischen Minderheit sich gerade in Bezug auf die hohen Transportkosten in einer schlechten finanziellen Verfassung befindet.
Viele Kommunen sind von sich aus nicht bereit, finanziell zu helfen. Angesichts der Tatsache, daß durch Land und Bund immer weitere finanzielle Aufgaben auf die Kommunen zukommen, für die sie keine Entschädigung erhalten, verwundert das auch nicht. Wir müssen uns fragen, wie wir die Probleme sinnvoll bewältigen können. Es hat verschiedene Lösungsvorschläge gegeben.
Einmal geht es darum, ob man auf dem Klagewege aufgrund des in der Verfassung verankerten Artikel 5 gegen entsprechende Kommunen vorgehen soll. Das würde aber heißen, daß man in jedem Fall, in dem der Artikel 5 verletzt sein könnte, den Klageweg beschreiten müßte. Das halte ich für die weniger schöne Lösung.
Da es sich bei Art. 5 um eine Staatszielbestimmung handelt, aus der unmittelbar keine Rechte herzuleiten sind, ist diese entsprechend umzusetzen. Da wir nicht zu einer Gleichstellung kommen, wenn es bei einem heeren Staatsziel bleibt, gilt es, hier Abhilfe zu schaffen. Meiner Meinung nach ist diese Abhilfe ohne weiteres dadurch zu erreichen, daß die Staatszielbestimmung durch Änderung der entsprechenden Gesetze praktisch umgesetzt wird.
Da der Minderheitenbericht das Engagement für die Minderheiten in so positiver Weise hervorhebt, hoffe ich sehr, daß die Landesregierung nach den Wahlen in der nächsten Legislaturperiode dazu beitragen wird, daß wir in diesem Bereich Lösungen erhalten. Ich hoffe also, daß den Worten Taten folgen und die entsprechenden Gesetze, wie beispielsweise das Schulgesetz, so geändert werden, daß es zu der beabsichtigten Gleichstellung tatsächlich kommen kann. Die dänische Minderheit, dessen Herzstück das dänische Privatschulwesens bildet, wird andernfalls in ihrer Existenz gefährdet sein. Das kann die Landesregierung nicht wollen.
Dies gilt auch für die Arbeit der friesischen Minderheit. Der Bericht hebt hier positiv hervor, daß es an der Bildungswissenschaftlichen Hochschule Flensburg eine eingerichtete Professur für Friesisch gibt. Dies gilt auch für Kiel. Wie wir aber auch wissen, werden die Inhaber dieser Professuren im nächsten Jahr emeritiert. Das hat zu Diskussionen geführt, die das Studienfach Friesisch gefährden. Dies ist aber abgestellt worden, und die Stellungen sind ausgeschrieben. Wenn die Minderheiten aber in ihrer Arbeit immer wieder vor solche Situationen gestellt werden, in denen sie um ihre Existenzgrundlage fürchten müssen, kann es mit ihrer Unterstützung nicht weit her sein. Sicher, wir brauchen eine ideale Unterstützung in Form der Anerkennung. Dies reicht aber bei weitem nicht aus.
Das Land Schleswig-Holstein hebt immer wieder positiv hervor, daß es das Land sei, in dem eine kulturelle Vielfalt herrsche. Wenn man sich mit dieser kulturellen Vielfalt brüstet, wird man sich aber auch für ihren Erhalt einsetzen müssen. Dies ist nur durch finanzielle Hilfen möglich.