Rede · 10.05.2001 Rechte und Pflichten von Arbeitslosen

Ich weiß fast nicht, ob man lieber hoffen soll dass es kaltes Kalkül oder einfach nur töricht war, als der Bundeskanzler Karfreitag in Deutschlands größter Boulevardzeitung auf entsprechende Anfrage hin verkündete, dass es kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft gibt, und dass die Arbeitsämter Sanktionsmöglichkeiten konsequenter anwenden müssen. Der Kanzler hat sich auf jeden Fall einer Wortwahl bedient, die leicht missverstanden werden kann, und die sehr viele Menschen verletzt und verärgert hat. Deshalb besteht für den Landtag aller Anlass, einige Dinge klar zu stellen.

Als erstes: Arbeitslose Menschen sind in aller Regel nicht arbeitslos, weil sie faul sind. Sie sind arbeitslos, weil es zu wenig Arbeit in Deutschland gibt.

Es mag irritieren, dass hunderttausende Arbeitsplätze leer stehen, während Millionen arbeitslos sind. Darauf bezog sich ja die Kanzler-Äußerung. Der Grund hierfür ist aber nicht die Bequemlichkeit der Arbeitslosen, sondern eine falsche Arbeitsmarktpolitik, die mehr verwaltet als den Einzelnen gezielt und flexibel zu helfen. Des Kanzlers Worte sind aber leider so leicht missverständlich gewesen.

Zweitens: Eine gute Arbeitsmarktpolitik besteht nicht aus Drohungen, sondern aus einer gesunder Mischung aus Rechte und Pflichten. Das haben uns eindrucksvoll mehrere Nachbarländer vorgemacht.
Wir haben aber leider den Eindruck, dass in der deutschen Diskussion seit längerem die Pflichten überwiegen. In diesem Sinne ist das Kanzlerwort zur Osterzeit nur ein trauriger Höhepunkt, der unter anderem auch in dem Änderungsantrag der CDU seine Fortsetzung findet. Ich gestehe gerne ein, dass es auch leichter ist Pflichten anzumahnen als Arbeit anzubieten. Während Pflichten relativ kostengünstig eingeführt werden können, kosten Rechte wie Bildung, Qualifizierung oder Beschäftigung richtig viel Geld. Trotzdem bringen Pflichten ohne Rechte nicht viel mehr als Beifall an den Stammtischen oder eine Schlagzeile in der „Bild“. So lange wir ein Millionenheer von Arbeitslosen haben, sollten wir nicht unser Hauptaugenmerk auf jene Minderheit richten, die ihren Pflichten nicht nachkommen. Das lenkt nur vom Ziel ab, und bringt uns auf den falschen Weg.

Eines ist ganz sicher nicht der richtige Weg: Arbeitslose zu bestrafen, weil sie arbeitslos sind. Eben dieses scheint gerade bei der CDU in Mode zu kommen. Wenn man einmal die etwas widersprüchlichen Äußerungen von Merz über Schnieber-Jastram bis Wadephul sortiert, dann kommt man zu folgendem: Die Union möchte jetzt mit ganz unrealistischen Forderungen den großen familienpolitischen Weihnachtsmann spielen, und dies auf dem Rücken der Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger austragen. Friedrich Merz postuliert zwar, dass das jetzt von Christdemokraten vorgeschlagene Modell etwas ganz anderes sei als Schröders Faulenzer-Debatte; in Wahrheit steckt aber in der gebetsmühlenartigen Wiederholung des Lohnabstandsgebots genau der selbe Vorwurf: Wer sagt, dass die Arbeitslosen weniger Hilfe haben sollen, weil dann erst wieder der Anreiz zur Arbeit stimmt, der setzt auch voraus, dass die Arbeitslosen lieber in der Hängematte liegen und „Stütze kassieren“, statt zu arbeiten. Immer mehr Bundesbürger erziehen lieber ihre Kinder mit der Sozialhilfe als mit einer bezahlten Arbeit, sagt Merz. Dabei wird dann zynisch über die Tatsache hinweggegangen, welches soziale Elend mit der längerfristigen Arbeitslosigkeit folgt. Es geht hier eben nicht um eiskaltes ökonomisches Kalkül zu Lasten der Gemeinschaft, sondern darum, dass Menschen psychisch zu Grunde gehen, weil sie sich und ihre Kinder nicht aus eigener Kraft versorgen können. Arbeitslosigkeit geht mit sozialem Rückzug, Alkoholismus, Scheidungen und Gewalt einher, weil die Menschen damit nicht fertig werden. Woher nimmt man in der CDU eigentlich die Unverfrorenheit, den Leuten einerseits permanent zu erzählen, dass nur die eigene Leistung zählt, dass nur ein ganzer Mensch ist, wer einen guten Job hat, und dann andererseits die Menschen fertig zu machen und ökonomisch noch mehr zu beschneiden, wenn sie unverschuldet keine Arbeit finden. Eben dieses ist auch die Folge des Änderungsantrages des Kollegen Geerds, der auch noch neue beleidigende Unterstellungen enthält. Auch von daher können wir dem CDU-Antrag nicht zustimmen.

Der Weg zum Erfolg verläuft ganz wo anders. Das immer gern als Erfolgsmodell zitierte dänische System der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik z. B. zeichnet sich vor allem durch ein zentrales Element aus: Durch eine individuelle Hilfe, die Rücksicht auf individuelle Besonderheiten der einzelnen arbeitslosen Person nimmt. Dieses ist auch der richtige Kontext um über Sanktionen zu sprechen. Nur im Einzelfall und vor Ort kann entschieden werden, bei welcher arbeitslosen Person die Pflichten eines Arbeitslosen vielleicht etwas deutlicher herausgestellt werden müssen, und ob ein Job für die Einzelperson wirklich zumutbar ist oder nicht. Der SSW hat Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter und Sozialämter. Wir sind überzeugt, dass diese die bestehenden Möglichkeiten der Sanktionierung konsequent und mit Bedacht anwenden, und wir sind überzeugt davon, dass sie am flexibelsten die im Einzelfall richtige Maßnahme ergreifen. Deshalb können wir auch nicht dem SPD-Antrag zustimmen. Was wir jetzt brauchen, sind nicht zentral vorgegebene schärfere Pflichten, sondern erst einmal Angebote. Nur wer eine faire Chance bekommt und diese ablehnt, darf für Sanktionen in Frage kommen. Wobei wir wieder beim Verhältnis von Rechten und Pflichten wären. Erst wenn jemand das Zuckerbrot ablehnt, sollte man die Peitsche herausholen. Dafür muss man aber erst einmal ein Zuckerbrot anbieten können.

Und damit wären wir bei drittens: Trotz allem erkennen wir gerne an, dass die Landesregierung und die Bundesregierung grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind, was die Rechte der Arbeitslosen betrifft. Eine Arbeitsmarktpolitik, die den Wert der Arbeitssuchenden auf dem Arbeitsmarkt durch Beschäftigung und Qualifizierung erhöht, ist die richtige Zielrichtung.

Dieses kann nur optimal funktionieren, in dem Arbeitsverwaltung und Arbeitslose gemeinsam realistische und individuelle Perspektiven für die und den einzelnen entwickeln und verbindliche Absprache treffen. Wir begrüßen daher die Pläne der Bundesregierung, individuelle Eingliederungspläne einzuführen. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass nur Pflichten eingeführt werden können, wenn auch Rechte gewährt werden. Die Ziele in den Eingliederungsplänen müssen realistisch sein, denn ansonsten sanktioniert man am Ende nur wieder die unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Wir können daher auch der Idee der Ministerin Moser einiges abgewinnen, die Arbeitslosen allgemein danach einzuordnen, ob und inwieweit eine Arbeit im ersten Arbeitsmarkt realistisch ist. Es gibt Menschen, die brauchen andere Formen der Unterstützung. Manche brauchen professionelle Hilfen anderer Art, und manche brauchen erst einmal Kinderbetreuung. Diese Menschen regelmäßig zu kontrollieren, ohne ihnen auch für diese anderen Probleme ein Angebot zu machen, wäre sinnlos.

Diese Eingliederungspläne werden aber natürlich nur funktionieren, wenn dann auch wirklich entsprechend Angebote der Beschäftigung, der Weiterbildung und der Qualifizierung gemacht werden. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik heißt eben, dass man in die Menschen investiert statt sie nur zu alimentieren. Die Bundesregierung und die Landesregierung sind hier auf den richtigen Weg. Sie müssen jetzt den Beweis antreten, dass sie dafür auch genug Ressourcen frei machen können. Es müssen aktivierende und qualifizierende Angebote wie Ausbildung, Weiterbildung, Jobrotation und Jobtraining eingeführt und weiterentwickelt werden. Und selbstverständlich muss die Arbeitsverwaltung so personell ausgestattet sein, dass die Erstellung und Begleitung individueller Hilfepläne wirklich realistisch und erfolgversprechend wird.

Und schliesslich kann die Arbeitsmarktpolitik nicht an der Wirtschaft vorbeigehen. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik muss sehen welche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht und die Menschen hierfür qualifizieren. Womit wir letztlich wieder beim Kanzlerwort wären. Wenn trotz der hohen Arbeitslosigkeit über eine halbe Million Arbeitsplätze freistehen, dann ist das nicht weil die faulen Arbeitslosen zumutbare Arbeit verweigern, lieber den Tag in der sozialen Hängematte verbringen und von der Sozialhilfe der Kinder leben. Dann ist das vielfach, weil die staatliche Arbeitsmarktpolitik in diesen Fällen darin versagt hat, Arbeitgeber und Arbeitslose zusammenzuführen. Das müssen sich alle Parteien vorwerfen lassen, die im letzten Jahrzehnt Regierungsverantwortung getragen haben. Auch sie haben kein Recht auf Untätigkeit.

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