Pressemitteilung · 23.07.2009 Rede von Anke Spoorendonk zur Vertrauensfrage des Ministerpräsidenten
Es ist gar nicht einfach, hier noch etwas zu sagen, denn die Vorgänge der vergangenen Tage hinterlassen einen zunächst sprachlos. Der Verfall der politischen Kultur in Schleswig-Holstein geht so rapide vonstatten, dass man nur fassungslos zusehen kann. Der anschwellende Machthunger einiger Politiker zermalmt gerade das seit 1988 mühsam wiederaufgebaute Renommee unseres Landes. In den Kommentaren der Medien sind längst wieder die Namen Barschel und Engholm gefallen. Schleswig-Holstein ist wieder zum Synonym für politischen Skandal und für das unsaubere Miteinander von CDU- und SPD-Politikern geworden.
Niemand zweifelt daran, dass der politische Verfall längst ein Stadium erreicht hat, das eine Vertrauensabstimmung rechtfertigt. Hätte es wirklich noch eines Beweises bedurft, dass diese Regierung schon lange ihre Mindesthaltbarkeitsdauer überschritten hat, dann haben die unversöhnlichen Diskussionsbeiträge, die Lügenbezichtigungen und Halbwahrheiten der SPD und der CDU ihn in den letzten Tagen hinreichend geliefert. Diese Koalition ist schon vor zwei Jahren verdorben, und die Bevölkerung hat längst gemerkt, dass hier etwas zum Himmel stinkt. Einen deutlicheren Wink als drei Umfragen, die unabhängig voneinander die Große Koalition vom Spielfeld schicken, kann es kaum geben. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in diese Regierung verloren, und das sollten wir respektieren.
Nachdem die SPD nicht gewillt war, selbst daraus die Konsequenz zu ziehen, stimmen wir heute über das Vertrauen in den Ministerpräsidenten und sein neues Kabinett von freiwilligen und unfreiwilligen Superministern ab. Aber das ändert nichts daran, dass es noch einmal um die gesamte Koalition und um ihr plötzliches Ende geht. In den letzten Tagen gibt es jeden Tag neue Beschuldigungen. Jeder schiebt die Schuld auf den anderen. Dabei hat auch die Öffentlichkeit schon längst gemerkt, dass für beide Parteien eine Unschuldsvermutung vollkommen fehl am Platze wäre. Es gehören immer zwei zum Tangotanzen, und den Todestanz dieses Regierungsbündnisses haben Ralf Stegner und Peter Harry Carstensen schon ausgiebig geprobt. Deshalb sei der SPD auch nochmals angeraten, endlich die Rolle des Unschuldslamms aufzugeben, die ihr ohnehin niemand mehr abnimmt. Angesichts der Form der Zusammenarbeit, die der SPD-Fraktionsvorsitzende in den letzten zwei Jahren gewählt hat, kann die SPD nicht glaubwürdig über eine böse CDU lamentieren. Ralf Stegner hat selbst dieses Bündnis mehrfach in Situationen gebracht, wo alle Welt Verständnis gehabt hätte, wenn die CDU vielen Dank und auf Wiedersehen gesagt hätte. Deshalb nimmt ihm niemand die Opferrolle ab.
Dies gilt allerdings ebenso für Peter Harry Carstensen. Der Gute-Laune-MP kann seit dem Beginn der Finanzkrise nicht mehr Punkten, weil an der Spitze des Landes jetzt ein handlungsstarker Politiker gefragt ist. Da liegt es nahe, den Koalitionspartner dafür verantwortlich zu machen, dass die Bilanz seiner Regierung auf einen Bierdeckel passt. Der Versuch des Ministerpräsidenten, seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und seine mäßige Politik allein mit Ralf Stegner zu entschuldigen, ist einfach erbärmlich. Für den Bruch der Koalition trägt er ebenso viel Verantwortung, denn natürlich ist auch Carstensens Weste bei den Schulhofprügeleien der Großen Koalition nicht weiß geblieben. Er hat es bisher nur besser verstanden, den eiskalten Machtpolitiker hinter der Maske einer menschlich-naiven Unschuld vom Lande zu verbergen. Seine Taktik, den Koalitionsbruch monatelang hinauszuzögern, um am Tag der Bundestagswahl auch den Landtag wählen zu lassen, und der unwürdig kurzfristige Rausschmiss der SPD-Minister sprechen aber für sich. Offen, anständig und vertrauenswürdig sieht anders aus.
Peter Harry Carstensen muss sich hier und heute aber vor allem für das verantworten, was er und seine Koalition in den letzten vier Jahren getan hat – und was sie nicht auf die Reihe bekommen haben.
Eines hat der Ministerpräsident mit Sicherheit in den ersten vier Jahren gekonnt. Er hat es geschafft, beliebt zu werden, wie kaum ein Regierungschef vor ihm. Der „Ich-kümmere-mich-persönlich-drum“-Ministerpräsident Carstensen hat persönlich Starterlaubnisse für Privatflugzeuge und Baugenehmigungen besorgt. Bei einem Besuch bei der Museumswerft in Flensburg, wo der Leiter erklärte, ihm fehle ein bestimmtes Holz, das schwer zu beschaffen sei, griff der Ministerpräsident sofort zum Telefon um den Holzhändler seines Vertrauens anzurufen. Das ist die Politik von Peter Harry Carstensen – und das kam lange gut an. Insofern hat er es zumindest am Anfang der Karriere geschafft, das Vertrauen in sein Amt und in die Landespolitik zu stärken. Er hat es auch vermocht, als Moderator eine Koalition zusammenzuhalten, die von Anfang an nicht richtig zusammenhing und immer größere Fliehkräfte entwickelte. Das ist eine Leistung, die wir vom SSW auch mehrfach gelobt haben. Nur, die Kehrseite dieser Rolle ist, dass Peter Harry Carstensen nie eine eigene Politik hatte. In den wirklich wichtigen Fragen hat er andere für sich arbeiten lassen, nicht zuletzt die gefeuerten SPD-Minister, und in der Finanz- und Wirtschaftskrise stand die Regierung ohne Führung da.
Als die HSH Nordbank und mit ihr das Land Schleswig-Holstein im Winter 2008/2009 vor dem finanziellen Abgrund stand, war der Ministerpräsident abgetaucht. Er duckte sich weg und ließ seinen Finanzminister gewähren, der konsequent die Pläne des HSH-Chefs Nonnenmacher umsetzte. Ein Krisenmanagement des Regierungschefs gab es nicht. Das Beispiel HSH Nordbank ist das krasseste, aber man kann noch eine Reihe weiterer zentraler politischer Diskussionen nennen, in denen der Ministerpräsident durch Abwesenheit glänzte. In kaum einer Frage war der Chef durch eigene Positionen sichtbar. Nur, wenn Projekte der Koalition ihm und seinem Image gefährlich wurden, kümmerte er sich und sammelte die Politik der Koalition eigenmächtig wieder ein, so zum Beispiel bei den Schülerbeförderungsgebühren oder der Kreisgebietsreform. Dass Carstensen in den letzten Wochen große Töne zum AKW-Krümmel spuckte und Pläne zur Haushaltssanierung vorlegte – beides übrigens ohne konkrete Konsequenzen –, dürfen wir mit dem Wissen von heute getrost dem Vorwahlkampf zuschreiben. Wenn wir Peter Harry Carstensen in den letzten vier Jahren einmal politisch erlebt haben, dann ging es um seine persönlichen machtpolitischen Interessen. Eigene politische Vorstellungen, wie dieses Land besser und zukunftssicher zu gestalten ist, und eigene Vorschläge zur Lösung der großen Probleme des Landes hat er noch nie zum Besten gegeben.
Schleswig-Holstein braucht heute nicht zuerst einen Ministerpräsidenten, der sich als Landesvater und Ober-Bürgerbeauftragten versteht, sondern einen qualifizierten, handlungsstarken Regierungschef, der mit den Folgen der Finanzkrise und anderen ungelösten Problemen umgehen kann. Eben deshalb, weil wir nicht das Vertrauen haben, dass Peter Harry Carstensen die erforderlichen Qualifikationen hat, um die großen Probleme des Landes zu lösen und dieses Land zu gestalten, wird der SSW dem Ministerpräsidenten nicht das Vertrauen aussprechen.
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Zur Vertrauensfrage gehört aber auch eine Bewertung der Koalition, die diesen Ministerpräsidenten gewählt und getragen hat. Ohne die Fraktionen und Parteien wäre die Politik und Nicht-Politik von Peter Harry Carstensen gar nicht möglich wesen. Im öffentlichen Bewusstsein ist diese Regierungskrise zunächst ein Duell zwischen zwei Männern, aber die Wahrheit ist natürlich komplizierter. Es geht hier nicht um einen Kampf der Titanen, sondern eher um einen Hahnenkampf, bei dem die Zuschauer zwischen Schaulust und Angewidert-Sein schwanken. Diese Situation konnte erst dadurch entstehen, dass die meisten in der CDU und der SPD viel zu lange zugeschaut haben, ohne etwas zu unternehmen. Natürlich tragen die CDU und die SPD in Schleswig-Holstein eine große Verantwortung dafür, was in den letzten Jahren geschehen ist. Sie haben Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner gewähren lassen und falsch beraten. Sie haben keine Kompromisse zustande gebracht oder faule Kompromisse abgeschlossen. Sie haben eine Politik mitgetragen, die sie selbst nur schwer oder gar nicht verteidigen konnten. Kurz, die Mitverantwortung für die Große Koalition tragen alle Abgeordneten, Regierungsmitglieder und Parteifürsten der CDU und der SPD in Schleswig-Holstein.
Die CDU hat hingenommen, dass Peter Harry Carstensen eine unpolitische One-Man-Show durchzog, ohne ihm eine politisch-inhaltliche Führung abzuverlangen. Sie hat sich in der persönlichen Popularität des Ministerpräsidenten gesonnt und viel zu lange akzeptiert, dass wichtige politische Fragen nicht Aufgabe des Ministerpräsidenten waren. Viele andere CDU-Politiker haben zwar erkannt, dass auch das unmittelbare Umfeld des Ministerpräsidenten sein Handwerk nicht versteht, aber sie haben viel zu spät interveniert. Erst im April 2009, nachdem der Schaden durch das dilettantische Management der HSH Nordbank-Krise geschehen war, hat die CDU-Landtagsfraktion gegen die miserable Arbeit der Staatskanzlei rebelliert. Und letztlich hat sie sich auf den Pott setzen lassen und sich damit zufrieden gegeben, dass eine „arme Seele“ geopfert wurde, nämlich der Regierungssprecher, der es nicht verstanden hatte, das Versagen des Ministerpräsidenten ins rechte Licht zu rücken.
Wie dilettantisch diese Staatskanzlei arbeitet, lässt sich übrigens auch blendend an der jüngsten Affäre um das Schreiben des Ministerpräsidenten an den Landtagspräsidenten zu den Sonderzahlungen für HSH-Chef Nonnenmacher ablesen. Dass Peter Harry Carstensen eine solche stümperhafte Arbeit auch noch unterschreibt, zeigt nur, wie wenig er sich um die wichtigen Fragen kümmert. Mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, was der Ministerpräsident sonst noch unterschrieben haben könnte.
Aber auch die SPD hat Vertrauen eingebüßt. Sie ist diesem Ministerpräsidenten gefolgt und sie hat zentrale Positionen über Bord geworfen, um an der Macht zu bleiben. Der größte Sündenfall dieser SPD war es, ein Polizeigesetz des Innenministers Stegner zu unterstützen, das sich nicht einmal ein Otto Schily getraut hätte. Der größte Fehler war es, dem lästigen Innenminister Ralf Stegner mit dem Fraktionsvorsitz genau die Position in der SPD zu geben, auf der er am besten seine Neigung zu ungezügelten Attacken auf Freund und Feind ausleben konnte. Und ich muss sagen, es ist auch enttäuschend, dass Ex-Justizminister Döring nun, wo er seinen Dienstwagen losgeworden ist, plötzlich mit der ungeschminkten Wahrheit über die HSH Nordbank herausrückt. Er hat einen Amtseid geleistet, der ihn verpflichtet hätte, schon vorher Tacheles zu reden.
Durch das Festhalten an einer maroden Koalition haben die CDU und die SPD gemeinsam Vertrauen verspielt. Ihre Parteichefs haben so viele taktische Pirouetten gedreht, dass sie längst den Horizont des politischen Anstands aus den Augen verloren haben. Was Schleswig-Holstein gerade geboten bekommt, ist einfach unterirdisch. Der Preis für diesen Kamikaze-Wahlkampf ist unermesslich hoch, denn viele Bürgerinnen und Bürger wenden sich angewidert von der Landespolitik ab. Der Schaden für die Demokratie in Schleswig-Holstein reicht weit über die Landtagswahl hinaus. Deshalb fordern wir Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner nochmals auf, sich endlich zusammenzureißen und der Verantwortung gerecht zu werden, die ihnen als die herausragenden Vertreter der beiden Volksparteien im Land obliegt. Sollten sie es nicht schaffen, zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurück zu finden, dann kann man nur hoffen, dass andere die Verantwortung übernehmen und das Ruder an bessere Politiker übergeben. Denn das, was wir im Moment erleben, kann man den Menschen in Schleswig-Holstein nicht bieten.
Seit Beginn dieser Wahlperiode hat die Politik in Schleswig-Holstein sehr viel von ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Würde verloren. Unser Land braucht dringend politische Leitfiguren, die abrüsten können – die Vertrauen schaffen, ohne Waffen. Denn das Vertrauen ist erst einmal dahin.