Rede · 19.11.2025 Die freiheitlichen Grundrechte müssen gewährleistet bleiben
„Es ist für uns als SSW von großer Wichtigkeit, dass wir uns als Parlament trauen, dieses Gesetz öffentlich und kontrovers zu diskutieren. Der Verfassungsschutz ist auf Bundes- wie auf Landesebene, eine machtvolle Behörde.“
Sybilla Nitsch zu TOP 10 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verfassungsschutzes im Land Schleswig-Holstein (Drs. 20/3754)
Ich kann ganz grundlegend erst einmal damit starten zu sagen, dass auch wir als SSW eine Notwendigkeit erkennen können, dass Landesverfassungsschutzgesetz zu reformieren. Es ist 30 Jahre als und es hat sich sehr viel in dieser Zeit getan. Sowohl weltpolitisch, als auch in unserem Land, was die verschiedenen Gefahrenlagen angeht und vor allem auch die Art und Weise wie die Feinde unserer Demokratie arbeiten. Es ist richtig hier im Sinne einer Verrechtlichung des Verfassungsschutzes für klare rechtliche Grundlagen zu sorgen.
Allerdings sind diese nun vorliegenden Änderungen nicht ganz ohne. Bei einigen haben wir als SSW noch Diskussions- und vor allem Anhörungsbedarf.
Bei all den umfassenden Änderungen sind es vor allem die folgenden, die uns besonders beschäftigen:
Erstens: Die "Aggressionsklausel" fällt künftig weg.
Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz kann also deutlich früher ansetzen, wenn die bisherige notwendig vorliegende „kämpferisch-aggressive Haltung“, also erkennbare Anwendung von Gewalt, fortan nicht mehr Voraussetzung für die Beobachtung des Verfassungsschutzes ist.
Zweitens: Neben verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlüssen soll es dem Verfassungsschutz künftig ermöglicht werden, auch Einzelpersonen stärker zu beobachten.
Damit in Zusammenhang zu sehen ist für mich der nach wie vor recht breit gefasste Paragraf des beobachtungsrelevanten Personenkreises, der über die Zielperson hinaus auch regelt, wer als Kontaktperson gilt und beobachtet werden kann. Nämlich jene, die in näheren persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zur Zielperson stehen, oder einfach „über einen längeren Zeitraum Kontakt unterhalten“.
Da kommt eindeutig ein ganz schön beachtliches Personenpotential zusammen.
Gar nicht so eindeutig scheinen mir dafür die Paragrafen 94-102, die sich auf das Parlamentarische Kontrollgremium beziehen. Ich bin mir da unterm Strich gar nicht so sicher, ob wirklich die Stärkung des Gremiums überwiegt, wie die Landesregierung es vermittelt. Natürlich, eine personelle Verstärkung ist gut und gewisse Befugnisse in der Akteneinsicht schaden auch nicht. Aber dass der in Aussicht gestellte Zutritt zu den Diensträumen des Verfassungsschutzes wirklich für mehr Transparenz sorgt, hat mich nicht überzeugt.
Ein moderner, rechtsstaatlicher Verfassungsschutz bedarf neben zeitgemäßen Befugnissen, ebenfalls einer effektiven Kontrolle durch das Volk als Souverän, heißt es im Entwurf.
Ob das damit vereinbar ist, dass die Landesregierung dem PKG neuerdings die Unterrichtung verweigern kann, bezweifle ich. Das hat schon eine neue Qualität und ist so sehr abhängig von den handelnden Akteuren, dass hier schon noch etwas passieren müsste, bis ich keine Sorge mehr vor Auslegungsentscheidungen hätte.
Ein Punkt, um den es mir auch immer noch geht, sind die in Aussicht stehenden Pläne der Landesregierung, Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollen, vorher vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. In Hamburg ist das bereits beschlossene Sache und in Schleswig-Holstein meiner Kenntnis nach auch noch nicht vom Tisch.
Ich kann da direkt einmal sagen, wir haben da aus unserer Geschichte als dänische Minderheit und friesische Volksgruppe heraus große, große Schwierigkeiten mit diesem Gedanken, ich werde das gerne, wenn wir parlamentarisch an diesem Punkt sind, weiter ausführen.
Ähnlich schlecht geht es mir mit dem § 65, der Verarbeitung von personenbezogenen Informationen über Minderjährige. Statt wie bisher ab Vollendung des 16. Lebensjahres sollen künftig auch Informationen von Kindern ab 14 Jahren, in Einzelfällen ab 12 Jahren, verarbeitet werden können.
Eine Absenkung der Mindestaltersgrenze wurde bisher immer mit Verweis auf Radikalisierungsverläufe begründet. Mir ist bewusst, dass Kinder und Jugendliche von Extremisten benutzt und radikalisiert werden können. Aber Kinder sind besonders schutzbedürftig.
Sie haben ein Recht auf Privatsphäre und ein Recht auf Entwicklung.
Auch gegenüber dem Verfassungsschutz. Ich möchte hier im weiteren Verlauf den Fokus darauf legen, wie eine Lösung gefunden werden kann, die dem Kindeswohl am besten entspricht. Ich möchte darüber sprechen, wie der Kinder- und Jugendschutz in diesen Fällen weiterentwickelt werden kann und ob wie bei tatsächlichen konkreten Gefahren nicht auf bereits jetzt genügend Eingriffsmöglichkeiten durch beispielsweise die Polizei haben.
Ein letzter kleiner Hinweis zum Entwurf sei mir erlaubt. Unter „Verrechtlichung des Verfassungsschutzes“ habe ich mir nicht die ausschließliche Besetzung von Leitungspositionen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt vorgestellt. Ich finde das eine etwas befremdliche Vorgabe in einem Gesetzestext zu einer Behörde, die zweifelsohne auch sehr gut von beispielsweise Politikwissenschaftlerinnen, Historikern oder meinetwegen auch Expertinnen und Experten der Verwaltungswissenschaft, Cyber-Sicherheit oder Konfliktforschung geleitet werden können.
Die zentrale Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden der Länder, so steht es direkt im zweiten Absatz der Problembeschreibung des Gesetzes, sei die eines Früherkennungs- und Frühwarnsystems der wehrhaften Demokratie. Und ich gehe da mit. Aber der Verfassungsschutz ist beileibe nicht das einzige Frühwarnsystem das wir haben.
Machen wir es an der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ fest, die ihren Ursprung in Jugendbewegungen der frühen 2000-er in Frankreich haben.
Journalist:Innen und Politikwissenschaftler:innen wie Andreas Speit oder Natascha Strobl klären seit 2014 in Artikeln und Vorträgen, etwa bei der Bundeszentrale für Politische Bildung, über die Gefahren auf, die von der Neuen Rechten ausgeht.
Erstmalige Nennung im Verfassungsschutzbericht Schleswig-Holsteins: 2016.
Es gibt dafür Gründe, die mir alle bewusst sind. Aber ich nenne das hier, weil ich den Gedanken mit in die Debatte geben möchte, dass der Verfassungsschutz nicht unser einziges Frühwarnsystem ist.
Das Frühwarnsystem, das breite Teile der Bevölkerung erreicht, ist der Journalismus.
Wir haben in Schleswig-Holstein, so habe ich es jedenfalls kennengelernt, einen verhältnismäßig offenen und in Teilen wirklich vertrauensvollen Umgang miteinander, den ich wirklich wertschätze. Diese Kultur ist aber nicht gottgegeben und kann sich mit handelnden Akteuren und auch politischen Mehrheiten wieder ändern.
Ich richte da den Blick einmal auf die Ausgestaltung auf Bundesebene und möchte kurz zwei Zusammenhänge in Erinnerung rufen.
Der erste: Unser Inlandsgeheimdienst wurde jahrelang von Hans-Georg-Maaßen geführt. Ein Mann, der den Untergang Deutschland herbeiphantasiert und versucht hat, die Werteunion zu einer rechtsextremen Partei umzufunktionieren und nun selbst vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist geführt wird.
Der zweite: Unter Bundesinnenminister Seehofer wurde das Verfassungsschutzgutachten der AfD politisch motiviert abgemildert. Das Gutachten von 2021, in dem es darum ging, ob die AfD als Ganzes als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und in die Beobachtung aufgenommen werden sollte, wurde nach Vorgabe Seehofers mehr als einen Monat lang überarbeitet, weil einige Aussagen, die als rechtsextrem markiert waren, zu nahe an Seehofers eigenen Äußerungen und denen seiner Partei lagen.
Es ist daher für uns als SSW von großer Wichtigkeit, dass wir uns als Parlament trauen, dieses Gesetz öffentlich und kontrovers zu diskutieren. Der Verfassungsschutz ist auf Bundes- wie auf Landesebene, eine machtvolle Behörde. Er arbeitet stiller als andere Behörden, hat dafür aber nicht weniger Wirkung in die Gesellschaft hinein.
Ich denke es ist klar, dass sich niemand gerne von Behörden beobachtet wissen möchte. Das ist einschüchternd und abschreckend.
Und wer eingeschüchtert ist, ist auch in seiner Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit begrenzt.
Freiheitliche Grundrechte, so heißt es im Entwurf, sollen nur eingeschränkt werden, wenn dies zur Erfüllung des Zwecks des Verfassungsschutzes als Früherkennungs- und Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie zwingend erforderlich ist.
Freiheitliche Grundrechte sind wenig wert, wenn man sich nicht traut, sie auszuüben.
Und ich weiß, dass das nicht das Anliegen dieser Regierung ist. Aber das generelle Vertrauen in diese Regierung, dass ich trotz der politischen Unterschiede habe, lässt mich nicht vergessen, dass sich politische Mehrheiten auch ändern können.
Die politische Geschichte unseres Landes hat uns das gelehrt, der Dokumentarfilm einer der prägendsten Persönlichkeiten des SSWs, Karl Otto Meyer, trägt nicht umsonst den Beititel „… i kamp for frihed, sandhed og ret.“ - im Kampf für Freiheit, Wahrheit und Recht.