Rede · 19.05.2021 Wir dürfen uns nicht vor der Auseinandersetzung mit unserem Kolonialen Erbe scheuen!

Schleswig-Holstein steht in zweifacher Hinsicht in den Geschichtsbüchern der Kolonialzeit. Einmal der deutschen und einmal der dänischen. Der Kolonialismus ist Teil unserer Regionalgeschichte. 

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 18 - Konzept zur Aufarbeitung der kolonialen Geschichte des Landes  (Drs. 19/2880)

Sicher haben auch viele von Ihnen den Prozess um die Rückgabe der Benin-Bronzen gespannt verfolgt. 
Schätzungsweise 95% der Beninobjekte, die in Europa ausgestellt werden, wurden in Benin auf Strafexpeditionen geraubt. Sie wurden auf dem europäischen Markt weiterverkauft und der Gewinn diente perfider Weise als Finanzierung der britischen Benin-Feldzüge. 
Über Jahrzehnte wurden Rückgabeforderungen aus Benin ignoriert und beiseite gewischt. 
Jetzt steht aber fest, zumindest die Benin-Bronzen in Sammlungen deutscher Museen werden ab 2022 an Nigeria zurück gegeben, in dessen Südwesten das einstige Königreich Benin lag. 
Unsere Museen und unsere Gesellschaft befinden sich sehr langsam aber wohl trotzdem sicher im Prozess der Dekolonisierung. 
Mancherorts konnte man lesen und hören, die Rückgabe der Bronzen durch die Bundesrepublik seien ein Zeichen von Größe, ein Wendepunkt der Aufarbeitung. 
Aber dies ist kein Moment des Schulterklopfens. Dies ist ein Moment der Demut und der Anerkennung. Und es ist ein Moment des Bewusstwerdens, dass sich auch in der Art und Weise, wie wir über koloniale Machtverhältnisse reden, noch einiges ändern werden muss.


Auch für uns als SSW war die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in Schleswig-Holstein in dieser Legislatur besonders bedeutsam. 
„Warum ausgerechnet ihr?“, wurde ich in dieser Zeit manchmal zwischen den Linien, manchmal aber auch direkter gefragt. 
„Gerade wir!“, habe ich darauf geantwortet. Denn Schleswig-Holstein steht in zweifacher Hinsicht in den Geschichtsbüchern der Kolonialzeit. Einmal der deutschen und einmal der dänischen. Der Kolonialismus ist Teil unserer Regionalgeschichte. 

Wenn Sie im Landtagsinformationssystem nach Begriffen wie „Kolonialgeschichte“ suchen, merken Sie schnell, dass es erst in dieser Legislatur eine wirkliche parlamentarische Auseinandersetzung mit diesem Teil unserer Geschichte gegeben hat. 
Im Juli 2019 haben wir unsere Große Anfrage zur Aufarbeitung der deutschen und europäischen Kolonialzeit eingereicht. Im Juni 2020 folgte die erste Debatte im Plenum und über die darauf folgenden Monate die Beschäftigung im Bildungsausschuss. Die dortige enorm spannende schriftliche wie mündliche Anhörung führte schlussendlich zu unserem aktuellen Antrag, den wir nun mit Ihnen diskutieren wollen. 

Nach über zwei Jahren gemeinsamer Auseinandersetzung fordern wir ein Konzept zur Aufarbeitung der kolonialen Geschichte des Landes von der Landeregierung ein. 
Besonderen Wert legen wir auf die Stärkung des zivilgesellschaftlichen 
Beteiligungsprozesses. Und deswegen denken wir, dass die Einrichtung eines „Runden 
Tisches“, der Legislatur übergreifend weiter arbeiten kann, an dieser Stelle der richtige Weg ist. 
Inhaltlich geht es darum, dass von Seiten des Landes ein Raum geschaffen wird, in dem die Auseinandersetzung weiter stattfinden kann. Und zwar zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Wissenschaft, Verwaltung und Politik sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern. 
Wir haben alle in der Anhörung merken können, wie sinnvoll die parlamentarische Auseinandersetzung war, aber der Bedarf an weiterer Arbeit im Aufarbeiten der kolonialen Beziehungen und ihrer Folgen ist augenscheinlich enorm. 
Aus diesem Rahmen heraus kann ein dekolonisierendes Konzept für die Erinnerungspolitik und -kultur des Landes entstehen, wie wir es beispielsweise als Eckpunktepapier aus Hamburg kennen. Es gibt aber auch viele ungeklärte Fragen im Umgang mit kolonial belasteten 
Straßennamen und anderer Spuren kolonialer Vergangenheiten im öffentlichen 
Raum. Und auch die Handlungsoptionen für umstrittene koloniale Denkmäler hätten für sich eine Anhörung füllen können. 
Als SSW liegt unser Augenmerk im Besonderen auf dem bereits laufenden 
Aushandlungsprozess im Land über die deutsch-dänische koloniale Vergangenheit.
Die Komplexität der deutschen, dänischen und europäischen Kolonialgeschichte, samt ihrer politischen, sozialen und ökonomischen Folgen sind auch heute noch in Schleswig-Holstein erlebbar.  Daher muss die Zusammenarbeit zwischen dem Flensburger Schifffahrtsmuseum, der Dänischer Zentralbibliothek und dem Museum Sønderjylland Kulturhistorie Aabenraa unbedingt weiter ermöglicht werden. 

So vielseitig die Forderungen, die wir aufgestellt haben sind, so knapp ist unsere Begründung: 
Es wurde ein nicht zu ignorierender Mehrbedarf an politischer und gesellschaftlicher Auseinandersatzung mit der kolonialen Geschichte des Landes offenbart. 
Wir dürfen uns nicht vor der Auseinandersetzung mit unserem Kolonialen Erbe scheuen!

(Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag oder, falls es noch Diskussionsbedarf gibt, um die Überweisung des Antrags in den Bildungsausschuss.)

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