Rede · 21.11.2013 Zukunft der Flüchtlingspolitik

„Man muss offen dafür sein, dass die Menschen möglicherweise auch bleiben werden. Deshalb brauchen die Menschen Sprachkurse und den dauerhaften Kontakt zu ihrer näheren Umgebung. So erreichen wir echte Integration.“

Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat; lässt Freunde, Nachbarn und Familienmitglieder zurück. Niemand macht sich freiwillig mit nur wenigen Habseligkeiten auf den Weg. Und kaum jemand denkt bei der Abreise daran, dass es möglicherweise keine Rückkehr geben wird.
Diese, eigentlich bekannten Tatsachen stelle ich voraus, weil wir uns immer wieder vor Augen halten müssen, dass die Menschen nicht freiwillig zu uns kommen, sondern weil sie aufgrund von politischer Verfolgung oder existenzieller Not dazu gezwungen sind. Damit wir uns erinnern, über was wir eigentlich reden. Ja, wir reden über Sprachkurse, Arbeitsplätze, dezentrales Wohnen und eine angemessene Kinderbetreuung für die Flüchtlinge. Aber - daran möchte ich ausdrücklich erinnern - wir reden auch über Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Verantwortung. Flüchtlingspolitik hat nur eine Zukunft, wenn wir wirklich begreifen, dass wir über Menschen sprechen.

Einige haben wir auf der Reise einer Delegation nach Rumänien und Mazedonien kennen gelernt. Das war eine gute Reise, bei der wir wirklich viel lernen konnten. Schleswig-Holstein hat damit ein Zeichen gesetzt – auch in Richtung der anderen Bundesländer, die es mit ganz ähnlichen Problemen zu tun haben. Gut war, dass Matthäus Weiß, der Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma, als Experte und Ansprechpartner mit uns unterwegs war. Auf der Reise haben wir mit Politikern und einigen engagierten Aktivisten gesprochen, die uns durchaus auch verdeutlichen konnten, dass das Flüchtlingsproblem auch in den nächsten Jahren nicht abnehmen wird. Wir haben aber auch die elenden Lebensumstände vieler Rumänen und Mazedonier gesehen; die wirklich erbärmlich sind. Familien leben in Pappkartons ohne ausreichenden Schutz gegen Wind und Wetter und ohne Privatsphäre. Ich denke, dass ich für alle Kolleginnen und Kollegen sprechen kann, dass uns hautnah klar wurde, dass solche sozialen Missstände die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Und da ist es ein Akt der Mitmenschlichkeit, die Menschen dann, wenn sie zu uns kommen, menschenwürdig zu behandeln und ihnen gegebenenfalls auch eine Zukunft hier bei uns zu geben.

Wir hörten aber auch dem Teufelskreis des Flüchtlingsschicksals, in dem die vor allem die Kinder und Jugendlichen regelrecht stranden: Immer wieder von einem Land ins andere und nach der Ausweisung dann wieder zurück. Jedesmal wird die Schulbildung im Heimatland abgebrochen und nach der Rückkehr hat dann ein Kind oder ein Jugendlicher den Stoff des vergangenen halben Jahres verpasst. Und dies wiederum erhöht die Perspektivlosigkeit in der Heimat, was dazu führt dass man im nächsten Winter aus der schieren Not heraus wieder weiterzieht.
Die Vorstellung eines Europas mit starken Regionen wird derzeit kräftig auf die Probe gestellt, wenn einige Regionen so schwach entwickelt sind. Die Elendsquartiere, die wir gesehen haben, haben nun wirklich nichts mit dem Rest Europas zu tun. Man fühlt sich eher wie in einem Entwicklungsland in der 3. Welt. Ich denke, das haben wir alle auf der Reise gespürt: Brüssel ist politisch unglaublich weit entfernt. Darum sollte die Europäische Union ihre politischen Prioritäten überdenken. Allerdings wird auch klar, dass das kleine Schleswig-Holstein angesichts der riesigen Probleme die soziale Situation auf dem Balkan nicht allein verbessern kann.

Trotzdem kann man auch etwas vor Ort tun. Anknüpfend an das, was ich bereits am Anfang sagte, sollten wir uns davor hüten, dieses Politikfeld ausschließlich abstrakt zu betrachten. Integration erfordert nicht nur politische Maßnahmen, sondern auch zivilgesellschaftliche Veränderungen. Manches Boulevardblatt haut ordentlich auf die Flüchtlinge drauf und hütet sich dabei, Einzelschicksale zu schildern: die Flüchtlinge sollen ganz bewusst entmenschlicht werden. Wir sollten dagegen steuern. Es kommen eben nicht Flüchtlinge, sondern diese Menschen haben eine Geschichte, haben Vorlieben, Interessen und Talente. Dort müssen wir sie abholen: Als neues Mitglied im Chor oder im Fußballverein. Der SSW hat die dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge immer wieder propagiert, weil die Vorteile auf der Hand liegen. Wichtig ist aber hierbei, dass man auch offen dafür ist, dass die Menschen möglicherweise auch bleiben werden. Deshalb brauchen die Menschen Sprachkurse und den dauerhaften Kontakt zu ihrer näheren Umgebung. So erreichen wir echte Integration. Erste Initiativen in diese Richtung gibt es bereits. Die gilt es nachhaltig zu unterstützen.


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