Rede · 21.02.2001 Berufschulunterricht

Vor rund einem Jahr stand in den Kieler Nachrichten zu lesen: „Beruflichen Schulen gehen die Lehrer aus“. Aus dem genannten Artikel geht auch hervor, was die Ursachen dieses Dilemmas sind: Der Berufsweg ist zu lang, das Einstiegsgehalt gering. Denn nicht nur ist die Lehre nach dem Abitur Studienvoraussetzung, auch mehrjährige Berufserfahrung ist wünschenswert, wenn es um die Anstellung als Berufsschullehrer geht. Dabei haben wir es nicht allein mit einem schleswig-holsteinischen, sondern mit einem Bundesproblem zu tun.
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass sich der Landtag mit der Situation an unseren Berufsschulen befasst. Ob mit den Anträgen der CDU weit genug gesprungen wird, bezweifle ich aber. Die Kernfrage lautet dennoch: Was können wir tun, um dem wachsenden Lehrermangel an den beruflichen Schulen entgegenzuwirken? Übergeordnet betrachtet lautet sie aber auch: Was muss getan werden, um die Attraktivität der beruflichen Bildung zu stärken?
Der CDU-Antrag schlägt vor, dass potentiellen Fachlehrern die Möglichkeit gegeben wird, im Vorbereitungsdienst die fehlenden formalen Schulabschlüsse nachzuholen. Mit anderen Worten: Eine Berufsschule stellt qualifizierte oder „hochqualifizierte“ Meisterinnen und Meister ein; damit aber der formalen Kriterien für eine Einstellung - die Fachhochschulreife z.B. - Genüge getan werden kann, soll das Land dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Was genau passieren soll, geht aus dem vorliegenden Antrag nicht hervor
Dieser Weg wirkt aus unserer Sicht unnötig kompliziert. Da gilt es viel eher, die schon existierenden Möglichkeiten auszuschöpfen, denn auf der Grundlage der bestehenden Verordnung kann durch Auswahl- oder Eignungsgespräche von der formalen Grundlage der Fachhochschulreife abgesehen werden. Dieser Weg bringt mehr, weil er schneller umzusetzen ist. Man darf nicht vergessen, dass es insgesamt wenig Bereiche gibt, die heute noch von Fachlehrern betreut werden – gemeint ist der gewerblich-technische Bereich.
Wer mehr Fachlehrer und Fachlehrerinnen an die beruflichen Schulen holen will, muss auch wissen, dass dadurch das Zwei-Klassen-System an den Berufsschulen weiter ausgebaut wird. Ich bin nicht gegen den Einsatz von Fachlehrern, man muss sich aber fragen, wie zukunftsweisend so ein Schritt ist, denn Fachlehrer sind „Schulassistenten“. Man sollte sich also auch andere Modelle überlegen. Ein Leiter einer Berufsschule meinte mir gegenüber z.B., es sei besser, die Lehrwerkmeister wieder „aufleben“ zu lassen, weil diese viel bessere Möglichkeiten hätten, an den Berufsschulen ein eigenständiges Profil zu entwickeln.
Als weiteren Vorschlag zur Aufbesserung der Situation an den Berufsschulen schlägt die CDU vor, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Erhöhung der Anwärterbezüge einsetzen soll. Tatsächlich wurde das Bundesbesoldungsgesetz - gegen die Stimmen Schleswig-Holsteins - dahingehend geändert, dass Referendarbezüge bis zu 25% gekürzt wurden. - Übrigens wurde das Gesetz im Juli 1998 noch unter der alten CDU/FDP-Bundesregierung geändert. - Trotzdem: Lehramtsanwärter haben häufig weniger im Portemonnaie als Azubis von Banken oder aus der Baubranche im dritten Lehrjahr.

Dazu kommt, dass gerade die Berufsschulen in einem harten Wettbewerb zur freien Wirtschaft stehen, denn junge Berufsschullehrer werden von der Industrie mit Kusshand genommen, wie mir gesagt worden ist.
Diesen Wettbewerb können die Berufsschulen nur bestehen, wenn der Beruf der Berufsschullehrer an Attraktivität gewinnt. Von daher ist es ein richtiger Ansatz, die Bezüge zu erhöhen - ein Ansatz aber, der für andere Referendarstellen des Bildungssystems gleichermaßen gerechtfertigt ist. Die Kürzung betrifft eben nicht nur die beruflichen Schulen, und genau darin liegt die Schwäche des Antrages.
Drittes Element in dem Berufsschul-Vorstoß der CDU ist die „Flexibilisierung der Ausbildungsordnungen“ – gemeint ist der kleine Gesellenbrief. So ein Antrag hat es in den letzten Jahren vonseiten der CDU schon mehrfach gegeben. Statt sich aber mit alten Hüten zu befassen, ist es an der Zeit zu fragen, wie man insgesamt das System der beruflichen Bildung modernisieren könnte. Der SSW erkennt sehr wohl die Notwendigkeit einer Flexibilisierung der Ausbildungsordnung. Wir sind aber nicht der Meinung, dass dies zu einem „kleinen Gesellenbrief“ führen soll. Zum einen werden „Abbrecher“ dadurch weiterhin als Versager gestempelt – sie sind eben nicht so gut, dass sie den „richtigen“ Gesellenbrief schaffen können. Zum anderen sind wir der Meinung, dass es an der Zeit ist, sich zu überlegen, ob die Forderungen, die bis heute an die berufliche Bildung in Deutschland gestellt wird, noch zeitgemäß sind. Gefragt ist u.a., wie mit Modulen und Zertifikaten andere Ausbildungsgänge und Abschlüsse geschaffen werden können. Gefragt ist auch, wie wir uns eine Reform der beruflichen Bildung insgesamt vorstellen. Dass in den kommenden Jahren solche Überlegungen auf der Tagesordnung stehen werden, steht für uns außer Frage; dafür wird die EU schon sorgen. – Als Stichwort sei hier die Zukunft des Meisterbriefes auf europäischer Ebene genannt.
Es wird Sie nicht überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der SSW auch hier den Blick über die Grenze wagt – nicht nur, weil gute Nachbarn immer voneinander lernen sollten, sondern auch, um den bayrischen Einfluss auf die Politik in Schleswig-Holstein einzuschränken. Dennoch stimmt es, dass das dänische Berufsschul-Modell 1999 mit dem Carl Bertelsmann-Preis ausgezeichnet wurde.
Das dänische Modell beruht - ähnlich wie in Deutschland - auf einer 400 Jahren alten Handwerkstradition, in der die jungen von den alten Meistern auf der Walz lernten. Heute hat Dänemark eine sehr flexible berufliche Bildung entwickelt mit sieben Hauptberufsfeldern. Dabei ergibt sich die Flexibilität des Modells aus der Tatsache, dass es Teil- und Grundqualifikationen gibt - und Module der Aus- und Weiterbildung für die Menschen, die mehr wollen und können.
Wichtig ist auch, dass der Lehrling nicht mehr in den herkömmlichen Hierarchien eingebunden ist, sondern dass differenzierte Ausbildungsgänge dazu dienen, die individuellen Stärken und Qualifikationen der Auszubildenden gezielt zu fördern. So wird das Interesse der Jugendlichen mit den modernen Anforderungen der Arbeitswelt kombiniert. Dabei schafft der Staat die Rahmenbedingungen, während Arbeitgeber, Gewerkschaften und Schulen in enger Zusammenarbeit auf regionaler Ebene die Ausbildungen gemeinsam entwickeln. Dieses Modell ist aus unserer Sicht ein Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zum Wohle des Gemeinwesens, die sich der SSW auch für Schleswig-Holstein wünscht.
Erste Ansätze in diese Richtung gibt es. Ich nenne hier nur das Stichwort: Lernort-Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule. Dennoch benötigen wir insbesondere ein neues Denken, nur so wird es uns gelingen, die Attraktivität der beruflichen Bildung zu steigern – und die Berufsschulen zu stärken.
Die berufliche Bildung wird in absehbarer Zeit auf dem Prüfstand bleiben müssen. Wir begrüßen deshalb die Anträge der CDU als Diskussionsanstoß und freuen uns auf die Beratungen in den Ausschüssen.

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