Rede · 09.06.2016 Die Minderheitenpolitik ist in der Mehrheit angekommen

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 58 - Sprachenchartabericht 2016

Der Charta-Prozess ist ein äußerst erfolgreiches Verfahren zum Schutz und der Förderung der Minderheiten. Die Liste der Fortschritte in der Minderheitenpolitik des Landes Schleswig-Holstein liest sich beeindruckend. Diese Liste ist eben nicht nur ein wohlfeiles Papier, das sich Pressesprecher irgendwelcher Ministerien ausdenken, sondern enthält nachprüfbare und gemessene Maßnahmen, die eine unabhängige Expertenkommission geprüft und bewertet hat.

Ich erinnere an die Vorbehalte gegen die Charta, die sich ausgerechnet gegen den unabhängigen Evaluierungsprozess aussprachen. Experten, die von außen die Wirksamkeit der Landespolitik bewerten wollen – das rief viele Skeptiker auf den Plan. Der vorliegende Bericht straft diese Kritiker Lügen und belegt beeindruckend die Entwicklung eines Politikfeldes, für das das Land inzwischen viel Lob aus ganz Deutschland einheimsen konnte. Das ist nicht nur der Landesregierung zu danken und allen Fraktionen hier im Hause, sondern vor allem auch der Minderheitenbeauftragte Renate Schnack, die hinter vielen Verbesserungen steht. 

Die dänische Minderheit kann sich auf eine verlässliche und gerechte Finanzierung verlassen, was den gesamten Bildungsbereich angeht; und da beziehe ich ausdrücklich auch die Krippen mit ein, die eine solide pädagogische Arbeit machen. Für die friesische Minderheit, die nach wie vor einen enormen Nachholbedarf hat, war der Handlungsplan ein Riesenschritt in die richtige Richtung Eine durchgehende Beschulung auf Friesisch ist das erklärte Ziel. Dass das geht, zeigt die Eilun Feer Skuul in Wyk; und in unmittelbarer Zukunft werden hoffentlich andere Schulen folgen. 

Die zweisprachige Beschilderung ist von einem netten Beiwerk zu einer Verpflichtung geworden. Sie wird weiter dazu beitragen, die Sichtbarkeit der Minderheiten in Schleswig-Holstein zu fördern. Ähnliches gilt für unsere Forderung zum Paragraphen 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Wir wollen, dass Dänisch und Friesisch, genau wie Sorbisch bei den Sorben, als Gerichtssprache genutzt werden können. 

Auch wenn wir hier auf einem guten Weg sind, möchte ich bei dieser Gelegenheit trotzdem meine  Sorge um die mediale Unterrepräsentanz der Minderheiten zum Ausdruck bringen. Denn Medien spielen als wirkender Teil der Öffentlichkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Minderheitenpolitik. FriiskFunk ist ein Erfolgsprojekt, das den Friesen eine Normalität gewährt, und zwar die eigene Sprache im Rundfunk zu hören, die für die Mehrheitsbevölkerung zum Standard gehört. SyltRadio ist ein weiteres Beispiel. Der Sender ist vor wenigen Tagen on air gegangen und will den Beweis antreten, dass Friesisch keinen Ausschalt-Impuls auslöst. Genau das behauptet der NDR immer noch wider besseres Wissen; und zwar für Radio und Fernsehen. 

Die Präsenz der Minderheitensprachen ist im Fernsehen durch entsprechende deutsche Untertitel allerdings ganz einfach machbar. Hier ist der gebührenfinanzierten Norddeutsche Rundfunk noch lange nicht aus seiner Verantwortung zu entlassen. Da muss er nachlegen.

Der Schutz und die Förderung der Minderheiten sind laut unserer Verfassung ein hohes Gut und ein unumstrittenes Staatsziel. Der Chartabericht zeigt an vielen Stellen, wie gut dieses Ziel in der Praxis umgesetzt wird und dass die Minderheitenpolitik schon lange in der Mehrheit angekommen ist. Da spielt Neugierde eine große Rolle, aber eben auch Stolz auf die einzigartige Vielfalt in Schleswig-Holstein. Auch hier im Landtag erlebe ich die Debatten als sehr sachorientiert. Das Gegeneinander von Mehrheit und Minderheit, das die unmittelbare Nachkriegszeit geprägt hat, ist überwunden.  

Gerade darum ist es besonders wichtig, dass wir den Charta-Prozess weiter dynamisieren und uns nicht auf dem Erreichten ausruhen. In den Schulen des Dänischen Schulvereins Dänisch wird nicht nur ab und zu unterrichtet, sondern Dänisch ist die durchgängige Unterrichtssprache. Das Land Schleswig-Holstein sichert dies entsprechend finanziell ab. Der hohe Standard dieser Schulen sollte die Landesregierung dazu veranlassen, in dem menübasierten Charta-System eine Stufe höher zu schalten. 

Wenn der Handlungsplan Sprachen messbare und nachhaltige Verbesserungen für das friesische und niederdeutsche Schulangebot bringt, wäre das der nächste Punkt, der nachgemeldet werden kann.  Der SSW regt eine entsprechende Initiative vor der nächsten Evaluierungsrunde der Europäischen Charta ausdrücklich an. Die Dynamisierungsmöglichkeiten müssen wir nutzen, damit wir damit die erreichten Erfolge auch für künftige Generationen sichern.

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