Rede · 30.11.2006 Familienpolitik in Schleswig-Holstein ist ein Querschnittsaufgabe

Vorab ein Lob an die Fragesteller: der vorliegende Bericht zur Familienpolitik ist durch die breit angelegten Fragen ein hervorragendes und aktuelles Nachschlagewerk über alle Maßnahmen der Landesregierung bezüglich der Förderung von Familien geworden. Ob es sich um die Wohneigentum oder um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf handelt: alle Programme und Maßnahmen werden in diesem Kompendium dargestellt. Allerdings finde ich den betrieblichen Bereich etwas unterrepräsentiert. Gerade die betriebliche Wirklichkeit ist es doch, die die Entscheidungen zugunsten einer Familie besonders stark beeinflussen.
Zugleich zeigen bereits die Fragen, dass eine solide und nachhaltige Familienpolitik eine anspruchsvolle Querschnittsaufgabe ist, die viele Bereiche betrifft. Angesichts dieser Mammutaufgabe sind Koordinierungsschwierigkeiten und Reibungsverluste durch Doppelstrukturen sehr wahrscheinlich. Umso besser, dass sozusagen die aktuelle Fassung der Familienpolitik auf dem Tisch liegt. Jetzt können wir an die weitere Optimierung der Strukturen gehen, weil viele Fakten bekannt sind.

Es geht aber auch Grundsätzliches. So wird allein die Familienförderung von fünf unterschiedlichen Stellen ausgezahlt. Wann eine allein zuständige Familienkasse eingerichtet würde, die alle diese Leistungen zusammenfasst und damit den Familien eine einfachere und transparentere Struktur anbietet, ist völlig unklar. Die Landesregierung vertraut hier auf entsprechende Initiativen der Bundesregierung. Die ist allerdings, wie wir beim Elterngeld sehen, nicht gerade mit Hochdruck dabei, die finanzielle Familienförderung institutionell zu straffen.
Eltern werden immer noch häufig als Bittsteller gesehen. Wer einen Antrag auf Erziehungsgeld schon einmal in der Hand hatte, den wird es nicht wundern, dass die Antragszahlen rückläufig sind. Das derzeitige Antragsverfahren ist nicht der optimale Weg, weil die Verfahren kompliziert und nicht per se gerecht sind. Daran Krankt das System schon seit Jahren, ohne dass sich etwas ändert.
Leider zitiert die Sozialministerin an vielen Stellen Zahlen aus bereits bekannten Drucksachen. Der SSW hätte sich an manchen Stellen eine weitere Konkretisierung gewünscht. Ich wiederhole noch einmal, was ich vor wenigen Wochen an dieser Stelle eingefordert habe: die Nennung von Adressen von Beratungsstellen lässt allenfalls Rückschlüsse auf eine angemessene regionale Verteilung zu. Erst Angaben über Aufgabenprofil, Nachfragezahlen und Mitarbeiterzahl machen eine Bewertung der Strukturen möglich. Ich möchte hier nur ein einziges Beispiel nennen: Frage 18 nach dem lokalen Bündnissen der Familien. Die Sozialministerin antwortet zwar auf die Frage, wo es welche gibt, schweigt aber zu den konkreten Angeboten, obwohl die Fragesteller ausdrücklich nachgefragt haben. Ziele kann man viele formulieren, was steckt aber an konkreten Angeboten dahinter? So weiß ich jetzt, dass sich in Flensburg das Bündnis für Familie für den Wirtschaftsstandort stark machen will. Welche Akteure dabei sind und was sie genau planen, weiß ich allerdings nicht. Das gleiche gilt auch für Kiel, Neumünster, Schwarzenbek usw. Hier habe ich mehr erwartet.

Überrascht war ich wirklich darüber, wie dünn die statistische Grundlage in manchen Politikbereichen ist. Der SSW will keineswegs einer Datensammelwut das Wort reden, denn der bürokratische Aufwand in manchen sozialen Institutionen ist bereits jetzt zu hoch. Aber bei vielen Fragen muss der Mikrozensus aus dem Jahr 2002 herangezogen werden, aktuelleres Material liegt nicht vor. Bei einigen Fragen muss diese Quelle sogar passen. So weiß niemand, wie viele Väter Elternzeit in Schleswig-Holstein in Anspruch nehmen. Das finde ich bedauerlich. Allerdings habe ich auch kein Patentrezept, wie man das ändern kann.
Zur Statistik noch eine Bemerkung: warum liegen Ende 2006 noch keine Daten für das Jahr 2005 zu den Bedarfsgemeinschaften vor? Ich dachte, dass die Zusammenarbeit der statistischen Landesämter Schleswig-Holstein und Hamburgs alles beschleunigen sollte. Wann dürfen wir die Zahlen erwarten? Wir sollten die Zahlen so schnell als möglich haben, damit wir daraus Konsequenzen ziehen können. Veraltetes statistisches Material taugt nur fürs Bücherregal. Das ist Verschwendung von Landesmitteln.

Politik hat Grenzen. Sie kann und sollte nicht in Familien und private Entscheidungen hinein regieren. Der Bericht zeigt es deutlich: Politik sollte Entscheidungsräume öffnen. Wie diese dann genutzt werden, unterliegt der Freiheit jedes Einzelnen. Ohne eine vernünftige Kinderbetreuung mit Öffnungszeiten, die sich an Zeiten in Betrieben organisieren, kommt eine Berufstätigkeit für Eltern gar nicht infrage. Der Umkehrschluss lautet aber nicht, dass automatisch alle Erwachsenen berufstätig sein müssen, solange es ein breit gefächertes Unterstützungsangebot gibt. Die Kinderbetreuungsangebote in Schleswig-Holstein haben sich in den letzten Jahren auf beeindruckende Weise verbessert. Hinter den Zahlen steht ein enormes Wachstum, was noch vor einigen Jahren als illusorisch galt. Auch der Ausbau der Ganztagsschulen ist beeindruckend. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass bei alle dem das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Die pädagogische Förderung von Kindern ist vorrangig. Auch wenn die CDU-Fraktion das Wort „Geburtenrate“ in Anführungsstricken verwendet, möchte ich davor warnen, Familienpolitik allein unter demografischen Aspekten zu betreiben.
Die Vorbemerkung der Fragesteller, die die Bedeutung einer guten Familienpolitik auf funktionierende Rentenkassen pointiert, zeigt in eine falsche Richtung. Nicht die Familie ist für die Gesellschaft bzw. die Sozialkassen da, sondern die Gesellschaft muss die Entscheidung für Familie unterstützen.
Dabei spielt es keine Rolle, wie diese Familie aussieht. Der Wandel der Familie in den letzten Jahrzehnten hat eine Vielzahl unterschiedlicher Familienformen hervorgebracht. Davon sind Familien mit nur einem erziehenden Elternteil nur eine Form. Aber nur danach fragt die CDU. Es gibt zusammenlebende Mehrgenerationenfamilien, Familien mit homosexuellen Eltern und Patchworkfamilien. Alle diese Familien haben ihre Kompetenzen, aber auch ihre Defizite und Probleme. Gerne hätte ich mehr gewusst über aktuelle Unterstützungsangebote für diese Familien. „Die“ Familie gibt es nicht, wenn es sie denn überhaupt jemals gegeben hat.
Genauso wenig gibt es den einen Grund, keine Kinder zu haben. Wer eine eigene Familie gründen möchte, diesen Wunsch aber nicht in die Tat umsetzen kann, verweist auf viele Gründe. Berufliche Unsicherheit rangiert dabei an erster Stelle. Die Entscheidung für ein Kind zieht eine langjährige Verpflichtung nach sich. Zeitverträge und Kettenpraktika lassen keine langfristige Perspektive zu. Hier müssen die Betriebe einen anderen Kurs einschlagen: man kann nicht über steigende Sozialkosten jammern und gleichzeitig den Mitarbeitern den Boden unter den Füßen wegziehen. Darum kritisiert der SSW die Pläne der Bundesregierung, den Kündigungsschutz für Berufsanfänger für zwei Jahre auszusetzen. Wer auch nach 24 Monaten ohne Angabe von Gründen auf die Straße gesetzt werden kann und in den sozialen Abstiegsstrudel gerät, wird sich schwerlich für eine Familie entscheiden. Hier müssen wir Initiativen unterstützen, die familienfreundliche Strukturen in den Betrieben schaffen. Dabei sollten wir uns nicht nur auf Appelle und die Auszeichnung beispielhafter Betriebe beschränken. Bereits in wenigen Jahren werden wir einen so massiven Facharbeitermangel haben, dass es zum Wettbewerb um gute Bewerberinnen und Bewerber kommen wird. In Dänemark ist es derzeit so: faktische Vollbeschäftigung beflügelt die Unternehmen zu sehr kreativen Arbeitszeitmodellen. Ich bin davon überzeugt, dass auch die Unternehmen bei uns erkennen müssen, dass familienfreundliche Strukturen in ihrem ureigensten Interesse liegen.
Um ein Thema kommen wir nicht herum: Computerspiele und ihre Auswirkungen. Die CDU-Fraktion hat nach dem Schutz vor gewaltverherrlichenden Angeboten im Internet gefragt. Wir haben über Egoshooter-Spiele a la Counterstrike bereits gestern gesprochen. Die Landesregierung ist in ihrer vorliegenden Antwort ehrlich. Das rechne ich ihr hoch an, denn die Ministerin weiß, dass sich das Internet den „klassischen Regelungsversuchen“ entzieht. Seitenbetreiber sind nur schwer auszumachen und die Überwachung von Chatrooms läuft oftmals ins Leere: bekommen die jugendlichen Nutzer das mit, wechseln sie nämlich einfach auf eine andere Plattform. Die Stärkung der Medienkompetenz ist meines Erachtens der vordringlichste Weg, mit den Gefahren dieser Spiele umzugehen. Hinhören und Zuhören, was Jugendliche sagen, ist wichtiger denn je. Vielleicht sollten wir Eltern noch mehr schauen, was unsere Kinder im Internet treiben. Ich meine das nicht als Kontrolle, sondern auch als gemeinsames Miterleben. Heutzutage hat der Computer das gemeine Brettspiel schon bei den unter 10Jährigen verdrängt. Die Eltern sollten sich darauf einlassen und die Kinder in der virtuellen Gemeinschaft nicht allein lassen.

Die Antwort der Landesregierung zur Familienpolitik zeigt, dass wir in vielen Punkten auf dem richtigen Weg sind, allen voran beim Ausbau der Kinderbetreuung. Dennoch ist die Familienpolitik noch keineswegs die Querschnittsaufgabe, wie sie der Titel nahe legt. Im Gegenteil: manche Probleme sind klein gehackt, damit sie überhaupt an bestehenden Strukturen andocken können. Die Vernetzung bestehender Angebote bleibt nach wie vor eine vorrangige Aufgabe. Das muss aber nachhaltig geschehen. Wir sollten dabei nicht nur auf Kongresse und Bündnisse setzen. Koordinierung kostet Zeit und die muss bezahlt werden. Ein: „Setzt euch mal zusammen“ ist nicht genug. Transparente und eindeutige Strukturen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen finanziell unterstützt werden. Viele Projekte, die die Ministerin nennt, müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Eine institutionelle Förderung, auch im Sinne einer verlässlichen Familienpolitik wäre hier besser.

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