Rede · 30.06.2006 Hartz IV – Fördern und fordern müssen im Einklang stehen

Hartz IV – die unendliche Geschichte. So könnte man die aktuelle Diskussion der letzten Monate über die Kostenexplosion und den angeblichen Missbrauch von Hartz IV benennen. Auch wenn die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe vom Grundsatz her richtig war: die größte Sozialreform der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bleibt ein undurchschaubares Desaster und hat bisher fast keines ihrer Ziele erreicht.

Bezeichnenderweise sieht dies der von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Ombudsrat genauso. Die Kritik des Ombudsrat ist eine vernichtende Kritik an der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der hochfliegenden Pläne von Peter Hartz und dem damaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement. So bezeichnet die Ombudsfrau Christine Bergmann Hartz IV „als ein bürokratisches Monster“. Insgesamt sieht der Ombudsrat insbesondere ein Problem darin, dass die Langzeitarbeitslosen völlig ungenügend betreut werden.

Dies liegt nach Ansicht des Ombudsrates vor allem am unübersichtlichen Kompetenzgerangel zwischen den Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit in dem gemeinsamen ARGEN vor Ort. Hier treffen vielfach zwei Unternehmenskulturen aufeinander, die scheinbar nicht in der Lage sind, vernünftig zusammenzuarbeiten. Und die Verlierer sind dabei natürlich die Arbeitslosen in unserem Lande, die zwei Jahre nach Beginn der Hartz IV-Reform immer noch nicht optimal vermittelt werden können. Das ist aus Sicht des SSW der eigentliche Skandal im Zusammenhang mit Hartz IV und nicht die angebliche Kosten- und Missbrauchexplosion.

Aus unserer Sicht ist es unanständig vom Missbrauch zu sprechen, wenn die Menschen die gesetzlichen Ansprüche ausnutzen, die vom Gesetzgeber gewollt sind. Das gilt zum Beispiel für Jugendliche unter 25, die von Zuhause ausziehen und ALG II beziehen. Das ist kann doch kein Missbrauch sein. Meines Wissens haben die meisten Experten bestätigt, dass der Missbrauch bei unter 3 % der betroffenen Fälle liegt und dass dieses im Rahmen des Normalen sei. Wer also öffentlich etwas anderes behauptet, der schürt nur den Neid auf Kosten der sozial Schwachen hier im Lande. 

Der SSW lehnt daher auch das Hartz IV-Fortentwicklungsgesetz ab, weil es einseitig auf eine Bestrafung der Arbeitslosen abzielt. Im Grunde macht dieses Gesetz aus dem Sozialgesetzbuch ein Strafgesetzbuch. So soll in Zukunft eine sogenannte  „Pflichtverletzung“ zu Kürzungen bei den Arbeitslosen führen. Wer zum Beispiel innerhalb eines Jahres drei Mal ein Arbeitsangebot oder eine Qualifizierung ablehnt, soll in Zukunft auf bis zu  100% seiner Leistungen verzichten. Sanktionen mögen zwar im Einzelfall vernünftig sein, aber pauschale 100% Kürzungen lehnen wir ab. Auch die neuen Regelungen für eheähnliche Gemeinschaften und Stiefeltern sind rechtspolitisch problematisch, weil sie die Beweislast umkehren. So müssen die Betroffenen in Zukunft beweisen, dass sie nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, wenn sie zusammen eine Wohnung haben. Wie das gehen soll, ist völlig ungeklärt.

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die Große Koalition die katastrophalen Versäumnisse bei der Umsetzung von Hartz IV auf den Rücken der Arbeitslosen austragen will. Das ist eine sozialpolitische Bankrotterklärung, weil man vor lauter Bestrafung der Arbeitslosen, das eigentliche Ziel, nämlich die Vermittlung und Qualifizierung von arbeitlosen Menschen scheinbar völlig aus dem Auge verliert. 
 
Die Grünen haben also Recht, wenn sie in ihrem Antrag anmahnen, dass man endlich das Fördern und nicht nur das Fordern der Arbeitslosen in den Mittelpunkt der Bestrebungen stellen muss. Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite bei dem beginnenden Aufschwung die Wirtschaft händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften sucht und auf der anderen Seite immer noch über 4 Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Eine moderne und zukunftsgerichtete Arbeitsmarktpolitik, die internationalen Standards entsprechen will, muss endlich bei der Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitslosen für den 1. Arbeitsmarkt ansetzen. Wir können es uns nicht länger leisten, dass die vielen Ressourcen dieser Menschen ungenutzt verschwendend werden. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

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