Rede · 22.02.2006 Landesbericht zur Armutsbekämpfung

Anfang November letzten Jahres wurde die Öffentlichkeit und auch wir Landtagspolitiker wieder einmal aufgeschreckt durch neue erschütternde Zahlen über die Kinderarmut in Schleswig-Holstein. Demnach war nach Angaben des Sozialministeriums fast jedes 7. Kind bei uns von Kinderarmut betroffen. Das sind sage und schreibe ca. 64.000 Kinder. In Schleswig-Holstein leben 14% der Kinder unter 15 Jahre von der Sozialhilfe, in Kiel sogar 29% und in anderen kreisfreien Städten dürfte dieses ähnlich sein. Vor diesem Hintergrund kann man die Aussagen des AWO-Landesgeschäftsführers Volker Andresen nur unterstützen, wenn er sagt, dass es sich um einen handfesten sozialpolitischen Skandal handelt.

Nun hört man leider immer noch das Argument, dass es unseren Armen ja im Verhältnis zu anderen Ländern  - also z.B. Osteuropa oder gar Afrika – doch sehr gut gehe. Jeder der sich mit dem Thema auch nur ansatzweise beschäftigt, weiß dass dies eine Milchmädchenrechnung ist und mit der Realität absolut gar nichts zu tun hat. So belegt beispielsweise eine Studie des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, dass die Einkommensarmut von Familien zu gravierenden Benachteiligungen der Kinder bei Bildung und Ausbildung führt, zu höheren Gesundheitsrisiken, zu sozialer Ausgrenzung und zu Vernachlässigung führen kann.
Dazu kommt, dass es in Familien, die dauerhaft in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation belastet sind, viel eher Konflikte gibt, die eskalieren. Und dieser Druck wird meist an das schwächste Glied – an die Kinder – weitergegeben.

Armut bedeutet also Ausgrenzung von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ist deshalb ein ganz großes Problem in unserer Gesellschaft. Natürlich gilt dies insbesondere für die von Armut Betroffenen, aber das Armutsproblem betrifft auch uns übrige, da eine zu große gesellschaftliche Ungleichheit nicht nur zu Konflikten führt, sondern auch dazu führt, dass zu viele menschliche Ressourcen einfach verschwendet werden.

Nun liegen uns für Schleswig-Holstein außer der Zahl der Kinderarmut keine aktuellen Zahlen vor und deshalb ist die Erarbeitung eines Landesarmutsberichts, wie es die Grünen in ihren Antrag fordern, sehr wichtig. Denn natürlich geht es darum, dass wir ein detailliertes Wissen über die Ursachen,  Ausprägungen und Auswirkungen von Armut haben, bevor wir eine wirksame Bekämpfung anstreben können. Allerdings hatten wir dieses Wissen bereits 1999 mit dem letzten vorgelegten Armutsbericht und schon die damaligen Zahlen waren teilweise deprimierend.

Nach dem Landesarmutsbericht von 1999 waren 11% aller Haushalte von Armut betroffen. Die hauptsächlich Betroffenen waren kinderreiche Familien, Arbeitslose, gering Qualifizierte, Alleinerziehende, Kinder und Ausländer. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden war dreimal so groß wie das des Bevölkerungsdurchschnitts und bei Arbeitslosen war es sogar dreieinhalb mal so groß wie das der Durchschnitthaushalte. Das dürfte heute nicht wesentlich anders sein.

Ohne die exakten heutigen Zahlen für Schleswig-Holstein zu kennen, geht man kaum fehl in der Annahme, wenn man sagt,  dass Hartz IV zu einer weiteren Verschärfung der Schere zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik geführt hat. Denn nach allen was wir wissen, hat sich das Armutsproblem in den letzten Jahren vergrößert. Die Massenarbeitslosigkeit mit 5 Millionen registrierten Arbeitslosen, aber in Wirklichkeit fast 7 Millionen Menschen die reell ohne Beschäftigung sind, hat ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Wir haben vielfach schon Familien, wo die finanzielle Abhängigkeit von Sozialhilfe von einer Generation auf die nächste übertragen wird.

Die Bundesregierung hat bereits vor einigen Jahren einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung beschlossen. Darin sind verschiedene Handlungsfelder und Strategien angeführt. Es geht um bessere Bildungschancen, um zielgenaue Unterstützung von Problemgruppen am Arbeitsmarkt, um nachhaltige Familienpolitik z.B. bei der Kinderbetreuung, um Perspektiven für jugendliche Arbeitslose, um eine bessere Integration von Migrantinnen und Migranten und um vieles mehr.

Jeder dieser Ansätze ist an sich richtig und doch greifen sie zu kurz, weil es sich entweder eigentlich um landespolitische Kompetenzen handelt oder weil sie von anderen politischen Zielsetzungen und Entwicklungen konterkariert werden. Dazu muss man klar sagen, dass unserer Wirtschaftssystem in Zeiten der Globalisierung zu viele Verlierer und zu wenig Gewinner produziert und somit stark zur Ausgrenzung von vielen Bevölkerungsgruppen beiträgt. Das ist aber ein anderes abendfüllendes Thema und ehrlicherweise müssen wir uns eingestehen, dass es unter den gegebenen bundespolitischen Voraussetzungen für uns in Schleswig-Holstein nur sehr schwer ist, eigene Akzente zu setzen. Aber wir müssen es natürlich versuchen.

Für Schleswig-Holstein sollten wir uns deshalb auf das für uns machbare konzentrieren und da ist es gut, dass es Organisationen gibt, die sich mit diesem Problemstellungen befassen. So wird im vorliegenden Antrag der Grünen auf die Kampagne „Gemeinsam gegen Kinderarmut“ von Kinderschutzbund, Landesjugendring, Arbeiterwohlfahrt und Sozialverband unter der Schirmherrschaft von Heide Simonis und UNICEF Deutschland hingewiesen.

Mit acht Thesen gegen Kinderarmut wollen sie eine breite Öffentlichkeit informieren und der Politik konkrete Vorschläge zur Bekämpfung der Kinderarmut an die Hand geben. Es geht bei diesen Forderungen unter anderem um mehr Öffentlichkeit für Kinderrechte, um eine Grundsicherung von mindestens 300 Euro für jedes Kind, um die Einrichtung von kommunalen Netzwerken zur Prävention und zur Minderung von Kinderarmutsfolgen, um die Verbesserung des Angebotes für die null- bis dreijährigen Kinder usw.

Auch wenn nicht alle Vorschläge unmittelbar auf Landesebene umsetzbar sind,  sieht der SSW sie doch als eine vernünftige Grundlage zur weiteren Diskussion. Die Sozialministerin hat ja schon ihre Bereitschaft zur Unterstützung der Forderungen signalisiert. Das begrüßen wir. Schließlich geht es darum, den sozialen Kitt unserer Gesellschaft zu erhalten und da muss die Politik alle positiven gesellschaftlichen Kräfte mit einbinden.

Wir begrüßen also, dass Bündnis90/Die Grünen dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt haben und können auch die beiden ersten Abschnitte des Antrages unterstützen. Allerdings haben wir uns gefragt, warum in den vorliegenden Antrag von der Landesregierung im dritten Abschnitt nur gefordert wird, dass sie darlegen soll, wann eine Berichterstattung über die sozialen Lagen der Bevölkerung in Schleswig-Holstein vorgelegt wird.

Wir meinen, dass der Landtag schon selber etwas präziser sagen sollte, wann er dann einen Landesarmutsbericht haben will und was für eine Zielsetzung er haben soll. Der SSW fordert daher in seinem Änderungsantrag, dass die Landesregierung bis zur 15. Tagung - also im September - einen Landesarmutsbericht vorlegen muss. Dazu wollen wir auch gleichzeitig einen konkreten Handlungsplan zur Bekämpfung der Armut in Schleswig-Holstein vorlegt bekommen. Denn es muss doch darum gehen, dass wir als Land selbst handeln und daher muss die Landesregierung darlegen, welche Maßnahmen sie im Rahmen der Landeskompetenzen bereits mit dem Haushalt 2007/2008 in Gang setzen kann. Deshalb bitten wir um Unterstützung für unseren Änderungsantrag.

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