Rede · 25.02.2010 Optionszwang abschaffen (Doppelte Staatsbürgerschaft)

Eigentlich müssten wir in Schleswig-Holstein am besten wissen, dass der Pass nichts über die Gesinnung und die Loyalitäten eines Menschen aussagt. Es gibt hier viele Menschen, die sich zur dänischen Nationalität bekennen, trotzdem stellt niemand ihre Loyalität zum deutschen Staat in Frage. Unsere minderheitenpolitischen Erfahrungen stehen aber im Kontrast zum Staatsangehörigkeitsrecht, das auf die Exklusivität der deutschen Staatsbürgerschaft pocht. Es beruht immer noch auf dem veralteten Bild, dass Nationalität etwas Einzigartiges ist und dass jede andere Nationalität im Gegensatz zur Deutschen steht.

Dabei müssten – oder zumindest könnten – alle in diesem Saal wissen, dass das Leben sehr viel bunter ist. Wenn sie junge Menschen in den Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland nach ihrer Zugehörigkeit fragen, dann fällt die Antwort häufig so aus: Ich habe zwar den einen oder anderen Pass, aber eigentlich bin ich eine Mischung aus beidem. Dies hat nichts mit einer gespalteten Persönlichkeit zu tun. Eine doppelte Staatsbürgerschaft oder länderübergreifende Gesinnung ist kein Problem, sondern eine Bereicherung. Identität und Gefühle lassen sich eben nicht auf Schwarz oder Weiß reduzieren.

Die rot-grüne Bundesregierung hat in ihrer Regierungszeit versucht, eine Lösung für die Menschen zu finden, die seit Jahrzehnten in Deutschland wohnen, arbeiten und Steuern zahlen, aber aufgrund ihres Passes keine politischen Teilhabechancen haben. Wir erinnern uns sicherlich noch an die Weltuntergangsdebatte, die von konservativer Seite seiner Zeit losgetreten wurde, als es um die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland ging. Der Kompromiss war, dass § 4 III StAG die Möglichkeit bietet, die deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt in Deutschland zu erwerben, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Diese Kinder können auch zwei Pässe haben, müssen sich aber aufgrund des sogenannten Optionszwangs spätestens zum 18. Geburtstag von einem der beiden trennen.

Nun sind die ersten Jugendlichen mit zwei Pässen vom Optionszwang betroffen und die Zahl wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Dabei wird immer deutlicher, dass der Zwang, sich von einem der Pässe verabschieden zu müssen, die Betroffenen in eine unlösbare Konfliktsituation bringt. Sie müssen sich nicht nur offiziell gegen einen Teil ihrer persönlichen Identität entscheiden. Sie kommen auch familiär oftmals in eine dramatische Situation, wenn sie sich für eine und damit einhergehend gegen eine andere Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

Zu den persönlichen und sozialen Konsequenzen kommen auch noch handfeste rechtliche und finanzielle. Mit der Abwahl des deutschen Passes müssen sie auf das Wahlrecht in Deutschland verzichten. Die Abwahl des anderen Passes kann zum Beispiel dazu führen, dass sie ihre erbrechtlichen Ansprüche in dem anderen Land aufgeben. Einige Staaten machen die Entlassung aus ihrer Staatsangehörigkeit von derart unzumutbaren Bedingungen abhängig, dass immer mehr deutsche Gerichte diese rechtlichen Nachteile als unverhältnismäßig anerkennen. Sie verpflichten die Bundesländer, Betroffene einzubürgern, ohne dass die zweite Staatsangehörigkeit aufgegeben werden muss. So hat das Stuttgarter Verwaltungsgericht vor kurzem das Land Baden-Württemberg verpflichtet, eine 14-Jährige einzubürgern und ihre Mehrstaatlichkeit in Kauf zu nehmen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Staat zwingt Jugendliche, die hier geboren und hier aufgewachsen sind, sich für oder gegen eine Zugehörigkeit zu Deutschland zu entscheiden. Das ist vollkommen absurd und hat absolut nicht mit Integration zu tun. Deshalb begrüßt der SSW ausdrücklich, dass unser Justizminister Emil Schmalfuß im Januar angekündigt hat, sich in der Integrationsministerkonferenz für die Abschaffung des Optionsmodells im Staatsbürgerschaftsrecht einsetzen zu wollen. Die Wirklichkeit hat längst gezeigt, dass die Loyalität zu Deutschland nicht unter einem zweiten Pass leidet. Die doppelte Staatsbürgerschaft erleichtert im Gegenteil Menschen, die von Kindheit an zwei Pässe haben, die Identifikation mit diesem Land. Deshalb fordert der SSW ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das allen Kindern von Deutschen und allen in Deutschland geborenen Kindern mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft verleiht. Die breite Mehrheit in unserer Gesellschaft hat sich innerhalb des letzten Jahrzehnts zur Erkenntnis durchgerungen, das Deutschland ein Einwanderungsland ist. Jetzt ist es Zeit, den konsequenten zweiten Schritt zu tun und die Mehrstaatlichkeit ausdrücklich anzuerkennen.

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