Rede · 29.04.2004 Strategiepapier “Wachstum und Beschäftigung“

Der SSW begrüßt, dass der Landtag heute das Strategiepapier des Wirtschaftsministers „Wachstum und Beschäftigung für Schleswig-Holstein“ debattiert. Das gibt uns die Gelegenheit über die Tagespolitik hinaus langfristige Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung Schleswig-Holsteins aufzuzeigen. Obwohl es aus meiner Sicht etwas vermessen ist, zu glauben, dass wir bereits heute bis 2020 – wie es im Papier formuliert ist – planen können. Die Zukunft ist schwer vorauszusagen, aber wichtig ist, dass die Politik bereits heute die richtigen Weichen für eine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung des Landes stellt.

Bei allen politischen Unterschieden in der Bewertung der Arbeit der Landesregierung auf dem wichtigen Feld der Wirtschaftspolitik glaube ich doch, dass wir in der Analyse der Ausgangs­lage des Wirtschaftsminister weitgehende Überstimmungen haben. Denn die vier strukturellen Faktoren, die laut Dr. Rohwer Schleswig-Holstein in besonderer Weise belasten, kann man nicht wegdiskutieren. Schleswig-Holstein hat eine sehr dezentrale Lage gegenüber den euro­päischen Wirtschaftszentren, wir haben zum Teil immer noch eine veraltete Wirtschaftstruktur, unsere Wirtschaft wird von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert und wir haben immer noch zu wenig Forschung und Entwicklung im Lande.

Diese vom Wirtschaftminister angespro­che­nen strukturellen Defizite gelten viel stärker für den Norden des Landes und für die Westküste. Daher ist es auch kein Wunder, wenn diese strukturschwachen Gebiete in Punkto Arbeits­losigkeit, Wirtschaftswachstum und Industrie­dichte auch heute noch hinter dem Süden des Landes hinterherhinken. Dazu muss unter­strichen werden, dass der Landesteil Schleswig die Hauptlast bei der Verringerung der Dienstposten der Bundeswehr seit 1990 in Höhe von 30.000 Stellen zu tragen hatte, obwohl er nur einen Bevölkerungsanteil von knapp 20% ausmacht.

Vor dem Hintergrund dieser schwierigen strukturellen Ausgangslage, die auch noch von kaum beeinflussbaren weltwirtschaftlichen Entwicklungen geprägt ist, kann der SSW der Aussage des Wirtschaftsministers zustimmen, dass sich die Ergebnisse der Wirtschafts- und Struktur­politik durchaus mit anderen Bundesländer messen lassen können. Sieht man sich die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Wirtschaftsdaten von 1991 bis 2003 an, gibt es in wichtigen Kernbereichen einige Lichtblicke.

So sind Exportquote und die Direktinvestitionen in den vergangenen 12 Jahren überdurch­schnittlich angewachsen. Den größten Erfolg können wir im Bereich der Nettoneugründungen verzeichnen, wo Schleswig-Holstein mit einem Anstieg von 43,6% weit über den Bundes­durchschnitt von -2% liegt. Leider hat diese positive Entwicklung noch nicht dazu beigetragen, dass das größte soziale Problem des Landes gelöst worden ist: nämlich die viel zu hohe Arbeitslosigkeit.

Dabei ist es in keinster Weise ein Trost, dass Schleswig-Holstein seit 1991 nur einen Anstieg von 51% bei den Arbeitslosen hatte, während im Bundesdurchschnitt sogar 56,8% mehr Arbeitslose registriert worden sind. Die neuesten Arbeitslosenzahlen für Schleswig-Holstein lassen leider noch nicht eine Trendwende erkennen. Auch bei der Entwicklung des Brutto­inlandsproduktes liegt Schleswig-Holstein leider unter dem Bundesdurchschnitt. Aus Sicht des SSW muss die aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weiterhin ein zentraler Pfeiler der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des Landes bleiben.

Licht und Schatten halten sich also bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung Schleswig-Holstein in den letzten Jahren die Waage. Das Strategiepapier des Wirtschafts­ministers macht aber sehr deutlich, dass wir in den nächsten Jahren mit internationalen und nationalen Entwicklungstrends zu rechnen haben, die eine sehr große Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein darstellen. Im Papier werden acht Entwicklungs­trends angesprochen, die alle weitreichende Folgen für unseren Land und unser wirtschaft­liches Handeln haben werden.

Ich möchte von den angesprochenen Trends nur drei Punkte herausheben, die aus Sicht des SSW besonders wichtig sind. Ein vielfach unterschätztes, aber für unsere wirtschaftliche Entwicklung entscheidendes Problem sind die enormen Schwierigkeiten, die der Mittelstand bei der Kapitalbeschaffung hat. In einem Artikel in „Der Zeit“ haben namhafte Experten vor einigen Wochen sogar behauptet, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nicht kommt, weil die Banken zu restriktiv bei der Kreditvergabe sind. Kurzfristig mag dies eine Folge der schlechten Konjunktur sein, aber langfristig spielt vor allem Basel II eine sehr negative Rolle.

Gerade der Mittelstand – insbesondere auch in Schleswig-Holstein - ist von dieser Entwicklung betroffen. Denn die meisten mittelständischen Betriebe haben eine sehr geringe Eigenkapital­quote. In Zukunft werden sie zu ihrer weiteren Entwicklung große Investitionsbeträge brauchen. Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung versucht neue Finanzierungs­instru­mente für den Mittelstand zu entwickeln. Übrigens wäre gerade die von der FDP angestrebte Privatisierung der Sparkassen in dieser Frage äußerst kontraproduktiv. Dieses Instrument sollte weiterhin als öffentliches Finanzierungsinstrument für den Mittelstand erhalten bleiben.

Der aus Sicht des SSW zweite ganz wichtige Punkt, um die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern, ist die Weiterentwicklung einer hochwertigen Aus- und Fortbildungs­struktur für die Menschen in Schleswig-Holstein. Weder Schleswig-Holstein noch die Bundesrepublik als ganzes werden jemals mit den Billiglohnländern – sei es in Osteuropa, Asien oder anderswo – konkurrieren können. Wir müssen am Weltmarkt durch Qualität, Innovationen oder Nischenprodukte bestehen. Das setzt gut ausgebildete und flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus, die durch lebenslanges Lernen immer auf der Höhe der neuesten Entwicklung sind.

Wir brauchen also eine gezielte Technologie- und Innovationspolitik, um neue Produkte und Märkte zu erschließen, und eine Aus- und Weiterbildungspolitik, die genügend qualifizierte Arbeitskräfte bereitstellt. Im Zeitalter der Globalisierung kommt es mehr denn je darauf an, eine regionale Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die die Wettbewerbsfähigkeit der geogra­phischen Randgebiete – wie zum Beispiel des Landesteils Schleswig oder des Amtes Sønderjylland – auch für die Zukunft sichert.

Drittens ist dabei auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Wirtschaft vor Ort entscheidend. Insbesondere bei der Entwicklung von regionalen Clustern. Wir müssen uns darüber im klaren sein, dass technologische Trends auch die bisher in Schleswig-Holstein angedachten Cluster sehr stark beeinflussen werden. Das bedeutet, dass die regionalen Cluster eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Wissenschaft erarbeiten müssen, um auf diese technologische Entwicklung vorbereitet zu sein oder sie sogar selber zu beeinflussen.

Obwohl wir also die übergeordneten Weichenstellungen des Wirtschaftsministers in seiner wirtschaftspolitischen Strategie bis 2020 unterstützen, so fehlt uns doch für den nördlichen Landesteil und die Westküste eine mehr ins Detail gehende Strategie. Der SSW baut dabei darauf, dass die Landesregierung dem Norden des Landes helfen muss, seine Stärken besser zu nutzen. Dazu gehört auch die von der Landesregierung angekündigte „Cluster“-Bildung für den Norden des Landes - sei es in der Kommunikationstechnologie, in der maritimen Wirtschaft oder in der Biotechnologie und Windenergie. Diesen Weg kann der SSW unterstützen. Allerdings fehlen uns seitens der Landesregierung etwas mehr detailiertere Planungen darüber, wie sich die „Cluster“ vor Ort zum Beispiel die „Kommunikations­technologie“- Zusammenarbeit zwischen der FH Flensburg und Motorola ganz konkret entwickeln sollen? Was macht Flensburg eigentlich, wenn Motorola doch noch den Schlüssel umdrehen sollte? Welche weiteren Firmen sollen in diesem Cluster eine Rolle spielen? Und wie soll sich Flensburg entwickeln?

Wir schlagen weiterhin vor, einen „Cluster“ im Westen rund um Husum zu bilden, der sich mit erneuerbaren Energien und mit nachwachsenden Rohstoffen beschäftigt. So könnten wir die durchaus vorhanden Stärken des Nordens besser nutzen als bisher. Diese Stärken zu nutzen, ist Aufgabe der Landespolitik. Der Norden will keine Almosen, aber ebenso wie andere Regionen in seinen Stärken gefördert werden. Hier gibt es genügend Ansatzpunkte für die Landesregierung, die wir mit Sicherheit positiv begleiten würden.

Zum Beispiel ist für uns ist der Ausbau der Flensburger „Phänomenta“ zum Science Center des Landes alternativlos. Schleswig-Holstein verfügt mit der „Phänomenta“ über eine gute Einrichtung, die weit über die Landesgrenzen hinaus einen hervorragenden Ruf genießt und herausragende internationale Kooperationspartner hat. Die Erweiterungspläne der Flensburger sind attraktiv und zeigen, dass die bestehende „Phänomenta“ das richtige Fundament für ein großes Science Center ist. Ich kann verstehen, dass die Kieler das Science Center lieber in der eigenen Stadt hätten. Ein Neuanfang in Kiel wäre aber unsinnig. Das Land hat bereits Millionen Fördergelder in den Aufbau der Flensburger Einrichtung gesteckt. Deshalb wäre es auch volkswirtschaftlich falsch, ein zweites Science Center aufzubauen, das in Konkurrenz zur „Phänomenta“ stehen würde. Im übrigen Stünde die Erweiterung der „Phänomenta“ auch in Übereinstimmung mit den touristischen Zielen, die sich die Landesregierung für die Region gesetzt hat.

Nach 2006 wird die bisher erfolgreiche Regionalförderung der Europäischen Union im Zuge der Osterweiterung für die westdeutschen Bundesländer und damit auch unsere Region entweder stark reduziert oder sogar abgeschafft werden. Daher müssen alle politischen und wirtschaftlichen Akteure in Schleswig-Holstein und den anderen betroffenen Bundesländern eng zusammenarbeiten, um bei der konkreten Ausgestaltung der neuen EU-Regionalförderung nach 2006 weiterhin eine angemessene Förderung der strukturschwachen Regionen auch in den verhältnismäßig wohlhabenden Staaten zu sichern.

Die von der Landesregierung vorgeschlagene neue Schwerpunktsetzung beim „Regional­programm 2000“ bis 2006 kann der SSW nachvollziehen. So macht es Beispielsweise keinen Sinn, weitere Gewerbeflächen oder Technologie- und Gewerbezentren zu fördern. Davon haben wir schon genug im Land und somit ist hier eine ausreichende Basis für Existenz­gründungen und Ansiedlungen geschaffen worden. Die verstärkte Förderung des Touris­mus­sektor ist dagegen der richtige Weg. Das wirtschaftliche Potential ist in diesem Bereich bei weitem noch nicht ausgenutzt und wir dürfen nicht hinnehmen, dass wir weitere Marktanteile an Mecklenburg- Vorpommern verlieren. Gerade der strukturschwache ländliche Raum kann und muss sein Tourismusangebot ausweiten und verbessern. Gezielte Förderung seitens des Landes wäre hier hilfreich. Das setzt aber auch voraus, dass auch große Projekte nicht aus ideologischen Gründen von vornherein torpediert werden. Hier erwartet der SSW, dass die Landesregierung die bisherige ungleiche Mittelverteilung bei der Restlaufzeit des Regional­programms zugunsten der nördlichen Region verändert.

Der SSW vertritt die Auffassung, dass es neben der formalisierten Zusammenarbeit in der Region Schleswig/Sønderjylland zu einer verstärkten Kooperation zwischen dem Land Schleswig-Holstein und Sønderjyllands Amt kommen muss. Wir stehen vor einer wichtigen Weichenstellung und müssen endlich konkrete Fortschritte für die Bürgerinnen und Bürger der Region erreichen. Wobei sich nicht so sehr die unterschiedlichen Steuer- und Sozialsysteme als Hemmschuh erwiesen haben, sondern vielmehr die Kultur- und Verwaltungsunterschiede in der Grenzregion. Der SSW fordert daher einen weiteren Abbau der kulturellen und büro­kratischen Hemmnisse im deutsch-dänischen Grenzgebiet. Auch vor diesem Hintergrund ist unser Vorschlag für eine Gemeindereform zu sehen, die auch bürokratische Hemmnisse abbauen hilft. Außerdem brauchen wir eine zentrale Anlaufstelle, an die sich sowohl die Menschen als auch die Wirtschaft wenden können, um Informationen über die unterschied­lichen Regeln und Bedingungen im Grenzgebiet zu bekommen.

In Zukunft wird es auch darum gehen, dass das Hanse-Office in Brüssel noch mehr als bisher in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft EU-Fördermittel für konkrete Projekte nach Schleswig-Holstein holt. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit den dänischen EU-Repräsentanzen in Brüssel ist dabei anzustreben. Auch die regionalen Schleswig-Holstein-Büros an der Ostsee zum Beispiel in den baltischen Ländern müssen mehr als bisher von der regionalen Wirtschaft zum Ausbau von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Schleswig-Holstein und den Ostsee­anrainern genutzt werden. Noch wichtiger für die Zukunft der strukturschwachen Regionen ist aber aus Sicht des SSW eine verstärkte betriebliche Innovationsförderung, damit wir die wirtschaftlichen Entwicklungspotentiale der Regionen besser nutzen.

Je mehr Sprachen unsere Kinder bereits in der Schule lernen, je leichter können sie später die nötigen Fremdsprachen erlernen, die als Schüsselqualifikation auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden. Der SSW plädiert deshalb dafür, die Minderheitensprachen Dänisch und Friesisch verstärkt an den öffentlichen Schulen im nördlichen Landesteil zu lehren und somit unseren Kindern das Rüstzeug für das Erlernen weiterer Sprachen an die Hand zu geben. Hier haben wir natürliche sprachliche Voraussetzungen und Kompetenzen in der Region, die wir immer noch nicht gut genug nutzen. Auch die vorbildliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Universität Flensburg muss zusammen mit der Lehrerbildung gestärkt werden, damit Flensburg als Hochschulzentrum insgesamt eine Rolle spielen kann.

Aus unserer Sicht geht es zu guter letzt auch weiter darum, die bestehende Infrastruktur in Schleswig-Holstein zu verbessern und auszubauen, bevor man Milliardensummen für eine Fehmarnbelt-Querung ausgeben will. Dazu hat für den SSW weiterhin der Bau einer west­lichen Elbquerung bei Glückstadt mit Anbindung an die Westküste erste Priorität, um den nördlichen Landesteil wirtschaftlich zu stärken. Weiter brauchen wir einen dreispurigen Ausbau der A7 von Bordesholm nach Hamburg, um einen reibungsloseren Verkehrsfluss zu ermöglichen.

Auch die Schienenanbindungen im Lande müssen verbessert werden. So müssen die Eisenbahnbrücken bei Rendsburg und an der Westküste, die über den Nord-Ostsee-Kanal führen, endlich vollständig renoviert werden, um mehr Schienengüterverkehr über den Nordostseekanal bringen zu können und eine vernünftige Bahnanbindung der Bevölkerung zu gewährleisten. Bevor man also eine Kilometer lange Querung über den Fehmarnbelt baut, muss erst einmal dafür gesorgt werden, dass Züge wieder die paar hundert Meter über den Nord-Ostsee-Kanal ordentlich überqueren können. Neue Eisenbahnbrücken in Rendsburg und Hochdonn und die westliche Elbquerung müssen fertig werden, bevor die Fehmarnbelt-Verbindung gebaut wird.

Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade auch der Norden unseres Landes hat Stärken und Kompetenzen. Diese Stärken und Kompetenzen müssen wir nutzen, damit es auch für den Norden wirtschaftliche bergauf geht.

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