Rede · 24.04.2013 Regierungserklärung und Anträge zum Atomausstieg, zur Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle und zur Energiewende

Mit dem parteiübergreifenden Beschluss, aus der risikobehafteten Atomenergie auszusteigen, wurde seinerzeit ein langer und weitgreifender Prozess in Gang gesetzt. Über die Parteigrenzen hinweg wurde der politische Ausstiegsbeschluss mehrheitlich gefasst, so dass er sich nun nicht mehr so leicht umstoßen lässt.
Die Energiewende stellt uns vor große Herausforderungen. Es ist der Schritt, die Energieversorgung auf nachhaltige Beine zu stellen und die Voraussetzungen für eine dezentrale Energieversorgung zu schaffen. Dies ist ein gesellschaftlicher Kraftakt, der nur in gemeinsamer Verantwortung gelingen kann.
Daneben gilt es aber auch, sich den Fragen zu stellen, was mit den alten Meilern geschehen soll und wo der Atommüll hin soll. Auch hier stehen wir vor großen Herausforderungen. Auch diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe, kann nur gemeinsam gelöst werden.

Das Entsorgungsproblem ist derzeit immer noch nicht gelöst. Es gibt in Deutschland kein Endlager für hochradioaktiven Müll. Dies wissen wir bereits seit langem. Die vorläufige Lösung des Problems heißt Zwischenlager. Diese befinden sich in Deutschland an den meisten Atomkraftwerken und am Standort Gorleben.
Der Salzstock Gorleben wurde seinerzeit als Endlagerstandort bestimmt – ohne dass es dafür fachlich fundierte Untersuchungen gegeben hat. Es war ein reiner politischer Beschluss und es war ein Fehler. Nun wird Gorleben seit Jahren als Zwischenlager genutzt und es sorgt bundesweit immer wieder für Aufsehen, wenn neue Castoren nach Gorleben rollen. Eine Lösung für Gorleben ist daher dringend notwendig.

Zugegeben, politisch ist es ein heißes Eisen, an dem sich keiner bisher wirklich die Finger verbrennen wollte. Doch wir müssen uns der Verantwortung stellen. Wir brauchen Alternativen zum Standort Gorleben. Union und FDP hatten diesen Punkt auf Bundesebene in ihrem Koalitionsvertrag von 1990 – doch umgesetzt wurde dieser Teil des Vertrages nicht. SPD und Grüne scheiterten später, bei dem Versuch ein Standortauswahlgesetz auf den Weg zu bringen, an dem Widerstand der Union. Zumindest ist es ihnen seinerzeit aber gelungen, einen Erkundungsstopp zu verhängen.
Wie kein anderes Thema spaltet Gorleben seit Jahrzehnten die politische Landschaft. Eine Einigkeit herbeizuführen schien nahezu unmöglich.
Mit dem gefundenen Konsens scheint nun doch eine Lösung in greifbarer Nähe zu sein. Über die politischen Lager hinweg, gibt es nun einen grundsätzlichen Konsens.

Das Projekt atomares Endlager ist eine nationale Aufgabe, der sich keiner entziehen kann. Hier müssen alle ihren Beitrag leisten, damit in Deutschland ergebnisoffen nach einem Endlager gesucht werden kann. Es darf bei der Suche keine Freifahrtscheine für bestimmte Bundesländer geben. An dieser Verantwortung und Bereitschaft hat es bisher gemangelt.
Nun wurde dieser gordische Knoten durchschlagen.
Es ist gelungen einen parteiübergreifenden Konsens zur Endlagersuche hinzubekommen. Die Einigung – getragen von der Bundesregierung, den Ländern und den Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP im Bundestag – sieht vor, ergebnisoffen nach einem Endlager zu suchen. Mit der Einigung auf ein Standortauswahlgesetz ist es gelungen, einen Jahrzehnte geführten Streit zu schlichten. Dafür gebührt allen Beteiligten unser Dank.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor:
-Die Einrichtung einer Bund-Länder-Enquete-Kommission – bestehend aus 24 Mitgliedern. Aufgabe der Kommission ist die Erörterung und Klärung von Grundsatzfragen für die dauerhafte Lagerung von hochradioaktiven Abfallstoffen. Hierfür sollen bis 2015 Vorschläge zu Sicherheitsanforderungen sowie Ausschluss- und Auswahlkriterien erarbeitet werden.
-Die Durchführung einer neuen Standortsuche nach dem Prinzip der „weißen“ Landkarte. Und keine Vorfestlegung durch Ausschluss einzelner Standorte. Gorleben bleibt somit auf der Landkarte.
-Den Transport weiterer Castoren nach Gorleben einzustellen.
-Die in Deutschland angefallenen Abfälle sollen auch in Deutschland entsorgt werden.
-Transparenz und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger bei allen Verfahrensschritten.
-Und dass wesentliche Entscheidungen durch Bundestag und Bundesrat getroffen werden.

Für den SSW möchte ich sagen, dass dies ein guter Kompromiss ist. Und auch wir nehmen unsere Verantwortung ernst und werden den Prozess weiter konstruktiv begleiten. Dies haben wir bei der Energiewende getan und werden es auch jetzt tun, wenn es um die Lösung für ein Endlagersuchgesetzt geht.

Damit die Endlagerfrage in Zukunft gelöst werden kann, gilt es jedoch Fragen im Vorfeld zu klären. Hierbei gilt es insbesondere zu klären, was kurz- und mittelfristig mit den Castoren aus der Wiederaufbereitung geschehen soll.
Die Rolle Schleswig-Holsteins in dieser Angelegenheit wurde deutlich, als es darum ging, wie die Castoren aus den Wiederaufbereitungsanlagen Sellafield und La Hague zwischengelagert werden sollen, wenn Gorleben als Zwischenlager entfällt. Und dass Gorleben als Zwischenlager entfällt, ist vor dem Hintergrund, dass in keinster Weise nachgewiesen wurde, dass Gorleben als Standort geeignet ist, nicht nur nachvollziehbar, sondern notwendig. Und wer nun aber fordert, dass Gorleben trotz aller Bedenken weiterhin als Zwischenlager genutzt werden soll, der gefährdet nicht nur den Konsens, sondern handelt verantwortungslos, weil es eben keinen Nachweis für die Eignung von Gorleben derzeit gibt.

Es ist manchmal die Gunst der Stunde, die genutzt werden muss, um große und wichtige Entscheidungen zu treffen. Schleswig-Holstein hat dies erkannt und gehandelt. Wir erklären uns bereit, hier Verantwortung für diese nationale Aufgabe zu übernehmen. Doch auch für uns gilt, dass wir dies nicht allein tun werden. So ist die Zustimmung Schleswig-Holsteins Castoren aus Sellafield in Brunsbüttel zwischenzulagern, an klare Bedingungen geknüpft.
Wir stimmen einer Zwischenlagerung nur dann zu, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind:
1.Nicht alle 26 Castoren aus Sellafield und La Hague sollen in Schleswig-Holstein zwischengelagert werden. Hier müssen sich mehrere Länder an einer Lösung beteiligen.
2.Die Sicherheit für eine Zwischenlagerung ist nach den neuesten Standards zu gewährleisten. Eine Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darf von einem möglichen Standort nicht ausgehen.
3.Die Zwischenlager dürfen definitiv nicht zu Endlagern werden. Es darf keine künftige Entscheidung über die Frage der Endlagerung mit der Zwischenlagerung vorweggenommen werden. Der Genehmigungszeitraum von 40 Jahren ab der ersten Genehmigung des Zwischenlagers darf nicht verlängert und der Umfang nicht erweitert werden.
4.Die Kosten für die Endlagersuche dürfen nicht von den Bürgerinnen und Bürgern oder dem Staat aufgelastet werden. Die AKW-Betreiber haben die Kosten für die Endlagersuche zu tragen. Die von den Betreibern gebildeten Rückstellungen sind für Stilllegung und der Entsorgung des Atommülls zu verwenden. Um die Rückstellungen nicht zu gefährden, sind diese in einem öffentlich-rechtlichen Fonds zu übertragen.
5.Die Kosten für Polizeieinsätze werden nicht vom Land Schleswig-Holstein getragen. Der Bund muss die Folgekosten der Zwischenlagerung übernehmen.
6.Es ist zu gewährleisten, dass die Bevölkerung frühzeitig und umfassend über die jeweiligen Sachstände informiert und an den Verfahren beteiligt wird.

Anhand dieses Forderungskataloges ist klar ersichtlich, dass Schleswig-Holstein bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht zu jedem Preis.
Natürlich stellen wir Forderungen, wenn es um die Frage geht, wohin mit den Castoren? Das ist auch legitim. Aber wir verweigern uns nicht in dieser Frage. Wir wollen bei der nationalen Aufgabe Endlagersuche unseren Teil übernehmen und dazu beitragen, damit dieses Problem gelöst werden kann. Wir werden uns hier nicht aus der Verantwortung stehlen. Aber wir wollen auch mitreden. Und deshalb ist es nach unserer Auffassung notwendig, dass natürlich bestimmte Kriterien auch an die Standortsuche für Zwischenlager gebunden werden. So ist es nur verständlich, wenn man sagt, die zukünftige Zwischenlagerauswahl muss sich auch am Verursacherprinzip orientieren. Gleichzeitig ist aber auch der Sicherheitsaspekt ein Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden kann. Deshalb muss natürlich die technische Eignung von Standorten eine Rolle spielen und es muss darauf geachtet werden, dass auch die Transporte der Castoren sicher ablaufen können. All diese Kriterien müssen bei der Zwischenlagersuche eine Rolle spielen und es gibt keine Vorfestlegung. Was es gibt, ist die Bereitschaft unseres Landes Teil einer Lösung zu sein und dazu stehen wir.

Wir erwarten aber auch, dass andere Länder sich ebenfalls ihrer Verantwortung stellen. Denn der Atommüll, der heute in Sellafield und La Hague liegt, stammt nicht allein aus Schleswig-Holstein. Und ich denke, wenn Schleswig-Holstein hier Verantwortung übernimmt und die im Antrag formulierten Forderungen verabschiedet, dann ist dies ein gutes Signal an die anderen Bundesländer und an den Bund.

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